Flüssiggas Brückenenergie oder Klima-Killer?

Von: Constanze Alvarez

Stand: 19.12.2022

Europa will so schnell wie möglich unabhängig werden von russischem Erdgas. Deswegen importiert es neuerdings im großen Stil Flüssiggas (LNG) aus den USA, Katar und Australien. Doch wie wirkt sich das auf die Umwelt aus?

Ein Tankschiff liegt im Gashafen von Ras Laffan bei Doha in Katar und wird befüllt. | Bild: picture-alliance/ dpa | Tim Brakemeier

Flüssiggas: Was ist LNG?

LNG steht für Liquefied Natural Gas und bezeichnet verflüssigtes Erdgas, nicht zu verwechseln mit LPG (Liquefied Petroleum Gas). Die Herstellung von Flüssigerdgas ist enorm aufwendig und kostet eine Menge Energie. LNG besteht aus bereinigtem Methan, das durch extreme Kühlung flüssiggemacht wird. Das Gas wird in mehreren Stufen bis auf minus 162 Grad heruntergekühlt. Dadurch wird es auf ein Sechshundertstel seines ursprünglichen Volumens zusammengepresst, es verändert sein Aggregatszustand und wird flüssig. Im ungünstigsten Fall verbraucht allein die Verflüssigung so viel Energie, wie in einem Viertel der gesamten Gasmenge steckt.

Anschauen: LNG vs. Klimaschutz

Flüssiges Methan: Wie wird es transportiert?

Flüssiggas kann in Lagertanks gespeichert oder in spezielle Tankschiffe gepumpt werden. Die Behälter müssen besonders gut isoliert sein und während des gesamten Transports gekühlt werden, also teilweise über tausende Kilometer. Am Zielort werden Terminals benötigt, um das LNG wieder in Gas zurückzuverwandeln. Auch für den Transport muss also eine Menge Energie aufgebracht werden. Je nachdem, welche Kompressionstechnik angewendet wird, könne man davon ausgehen, dass der Gastransport durch Pipelines weniger klimaschädlich ist als der Flüssiggastransport per Tanker, erklärt Johannes Betz vom Öko-Institut e. V. "Vorausgesetzt, die Entfernung beträgt nicht mehr als 6.000 Kilometer."

Import: Woher bezieht Deutschland sein Erdgas?

Im LNG-Terminal wird Flüssiggas wieder erwärmt und zu Gas zurück verwandelt. | Bild: picture alliance/dpa/BELGA | Kurt Desplenter

In Deutschland werden erst seit Mai 2022 eigene schwimmende LNG-Anlagen gebaut. Wilhemshaven und Brunsbüttel werden die ersten Stationen sein.

Vor Beginn des Kriegs in der Ukraine bezog Deutschland mehr als 50 Prozent seiner Gasimporte aus Russland. Mittlerweile fließt gar kein Gas mehr von Russland nach Deutschland. Dafür kommen die meisten Gasimporte aktuell aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien. Niederlande und Belgien verfügen über große Häfen, in denen LNG-Frachter andocken können.

Infrastruktur: Braucht Deutschland eigene LNG-Terminals?

Jahrelang gab es in Deutschland Pläne, LNG-Terminals zu bauen, die aber dann nicht umgesetzt wurden. Nach Putins Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 gab es eine Kehrtwende in der Energiepolitik: Das Bundeskabinett verabschiedete das LNG-Beschleunigungsgesetz. Dieses erlaubt den Bau von Pipelines, bevor das dazugehörige Planfeststellungsverfahren abgeschlossen ist. Normalerweise vergehen Jahre zwischen Planung und Fertigstellung einer LNG-Anlage. Durch das neue Gesetz wurde das erste Terminal innerhalb einer Rekordzeit von zehn Monaten fertiggestellt. Bundeskanzler Olaf Scholz weihte es am 17. Dezember 2022 in Wilhelmshaven ein. Eine weitere LNG-Anlage soll zum Jahreswechsel in Brunsbüttel in Betrieb genommen werden. Insgesamt sollen in den nächsten Jahren elf Terminals entstehen: acht schwimmende, drei auf festem Boden.

Nicht nur die Umweltschutzorganisationen NABU und BUND kritisieren das beschleunigte Verfahren. Im Dezember 2022 präsentierte das New Climate Institut eine Studie, aus der hervorgeht, dass die geplanten deutschen LNG-Import-Terminals überdimensioniert sind und die Einhaltung der Klimaziele massiv gefährden. Drei Terminals würden reichen, um bis 2035 die Lücke zu füllen, die aufgrund fehlender Gasimporte aus Russland entstanden ist, so die Experten.

Im Fall der LNG-Anlage in Wilhelmshaven kritisieren BUND und NABU unter anderem den Einsatz des Frachters "Höegh Esperanza". Für die nächsten zehn Jahre soll dieses Spezial-Schiff Gas in die deutschen Leitungen einspeisen. Das Schiff verwendet Chlor, um die Rohrleitungen freizuhalten. Laut Schätzungen des NABU würden etwa 35 Tonnen Chlor pro in die Nordsee gelangen und das Wattenmeer belasten.

Flüssiggas aus den USA: Hauptsächlich durch Fracking gewonnen

Erdgas-Bohrung in Midland, Texas. | Bild: picture alliance/AP Images | Steve Gonzales

Beim Fracking wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und chemischen Substanzen in den Boden gepumpt.

Der ökologische Fußabdruck von Flüssigerdgas hängt jedoch nicht nur vom Transport ab, sondern auch von dessen Herkunft. In den USA wurden 2021 mehr als drei Viertel der gesamten Erdgasproduktion durch Fracking gewonnen. Das geht aus einer Statistik der Energy Information Administration hervor, der öffentlichen Statistikbehörde der USA. "Das Problem in den USA ist, dass die `Low hanging Fruits, die einfachen Vorkommen zum größten Teil mittlerweile erschöpft sind und die Firmen teilweise alte, teilweise auch neu entdeckte Ölquellen durch Fracking weiter ausschöpfen," erklärt Wissenschaftler Johannes Betz.

Beim Fracking wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und chemischen Substanzen per Hochdruck in den Boden gepumpt. Dadurch entstehen Risse im Gestein, durch die das Erdgas herausgeschwemmt wird. Ein höchst umstrittenes Verfahren. Anders als bei konventionellen Bohrungen versiegen die Quellen beim Fracking schneller, weshalb öfter gebohrt werden muss. Dabei besteht die Gefahr, dass Fracking-Wasser durch die Risse in das Grundwasser sickert und es verschmutzt. Außerdem besteht der Verdacht, dass dieses Verfahren Beben auslöst. Natürlich seien in den USA Regulierungen vorhanden, die das verhindern sollen, dennoch kommt es immer wieder vor, " dass Haushalte plötzlich nach Gas riechendes Leitungswasser haben," sagt Johannes Betz.

Problematisch ist auch, dass beim Fracking Methan in die Atmosphäre entweicht. Methan hat eine starke Treibhausgaswirkung. Sobald 3,2 Prozent des geförderten Erdgases als Leckage in die Atmosphäre gelangt, ist es ähnlich klimaschädlich wie Kohle. Wie groß und wie häufig diese Leckagen sind, ist schwer zu erfassen. Ein Forscherteam um Lydia Plante und James Browning, die u. a. Daten für den Global Energy Monitor zusammentragen, konnten jedoch zeigen, dass die US-Erdgas-Industrie weit mehr Methan ausstößt, als sie in ihren offiziellen Messungen angibt.

Da die Nachfrage nach Flüssigerdgas durch den Krieg in der Ukraine weltweit sprunghaft angestiegen ist, werden die USA dessen Förderung um ein Vielfaches ausbauen. Allein die Flüssiggas-Lieferungen in die EU sollen dieses Jahr um 15 Milliarden Kubikmeter aufgestockt werden. Dafür verpflichtet sich Brüssel dazu, auch in den nächsten acht Jahren mehr zu importieren: 50 Milliarden Kubikmeter zusätzlich.

Statt LNG-Terminal: Erneuerbare Energien ausbauen

Möglichst schnell Ersatz finden für die fehlenden russischen Gasimporte und noch dazu möglichst klimafreundlich - wie soll das gehen? Dafür gibt es keine einfach Lösung. Energieökonomin Claudia Kemfert fordert den sofortigen Ausbau der erneuerbaren Energien und die Einführung energiesparender Maßnahmen durch ein "staatliches Booster-Programm". Dazu gehöre die energetische Sanierung von Gebäuden, der Ausbau von Wärmepumpen, eine Schulung für Handwerker, schnellere Genehmigungsverfahren und einen Abbau bürokratischer Barrieren. Doch wie kompliziert das ist, zeigen aktuelle politische Debatten, wie beispielsweise der Wirbel um das Heizungsgesetz von Wirtschaftsminister Robert Habeck.