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Das absolute Gehör Musikalisch den richtigen Ton treffen

Es gibt Musiker, die können, wenn ein Ton erklingt, genau sagen, um welche Tonhöhe es sich handelt. Absoluthörer nennt man sie. Die Forschung rätselt immer noch, ob diese Fähigkeit angeboren oder erlernt ist.

Published at: 18-2-2019

Ein chinesischer Student spielt Klavier. | Bild: Wang Jianliang/ChinaFotoPress

Nur einer von 10.000 Erwachsenen besitzt das absolute Gehör. Studien deuten darauf hin, dass die Fähigkeit bei Babys noch weit häufiger vorkommt, anschließend aber verkümmert, weil kaum ein Kind sie nutzt. Kinder bis zu einem Alter von sieben bis acht Jahren können ihr absolutes Gehör ausbilden. Danach, wenn ihre Sprachentwicklung abgeschlossen ist, verliert sich dieses Können.

Ist das Absoluthören angeboren oder erlernt? Dieser Frage geht die Forschung schon länger nach.

Eine Studie von Larissa McKetton und Keith Schneider an der York University in Toronto im Februar 2019 untersuchte, ob das absolute Gehör angeboren oder erlernt ist. Die Forscher sind der Frage nachgegangen, ob das Hirn von Absoluthörern anders arbeitet als bei Personen ohne absolutes Gehör. Dazu haben sie Personen, die ein absolutes Gehör besitzen, Töne vorgespielt und ihre Hirnströme gemessen. Diese haben die Hirnforscher dann mit denen von Personen ohne absolutes Gehör verglichen.

Angeborene Sensibilität gepaart mit musikalischem Training

Heraus kam, dass bei Absoluthörern Teile des Hörzentrums im Hirn um die Hälfte größer sind als bei Personen ohne absolutes Gehör. Außerdem schalten sich bei ihnen auch Neuronen benachbarter Hirnareale ein, wenn sie einen Ton hören. Diesen Vorteil scheinen Absoluthörer nutzen zu können, um gehörte Töne sehr schnell und präzise bestimmen zu können. Dazu Kathrin Schlemmer, Professorin für Musikwissenschaften an der Universität Eichstätt: "Man kann sich das so vorstellen, dass es vermutlich eine angeborene Sensibilität gibt, und dass die aber zusammenkommen muss mit irgendeiner Art von Training."

Das heißt aber auch, dass die Fähigkeit des Absoluthörens nicht rein genetisch bedingt sein kann. "Ein rein gelernter Faktor ist aber auch nicht vorstellbar, weil dafür wiederum zu viele Ergebnisse vorliegen für den Einfluss von angeborenen Faktoren," sagt Schlemmer. Das unterstreicht auch die kanadische Studie. Der vergrößerte Teil der Hirnrinde bei Absoluthörern spricht nach Ansicht von Keith Schneider eher für die Genetik. "Und trotzdem geht es am Ende nicht ohne musikalisches Training, um Noten benennen zu können. Genauso wie wir die Namen von Farben lernen müssen."

Wer tonale Sprachen spricht, profitiert

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Also nur, wer im Kindesalter das absolute Hören trainiert, der wird sich diese Fähigkeit bis ins Erwachsenenalter beibehalten können. Diese These unterstützte schon die Psychologin Diana Deutsch von der University of California in San Diego im Januar 2016 in einer umfassenden Studie. Die Psychologin hatte festgestellt, dass Musikschüler aus China mindestens viermal häufiger ein absolutes Gehör besitzen als ihre Klassenkameraden aus den USA. Die Chinesen sprechen Mandarin, eine sogenannte Tonsprache. Bei ihr hängt die Bedeutung der Wörter von der Tonhöhe ab; wer mit ihr aufwächst, schult sein Ohr darin, Klänge genau zu unterscheiden. So kann das Wort "ma", je nach Tonverlauf, "Mutter", "Hanf", "schimpfen" oder "Pferd" heißen.

Angeboren oder antrainiert?

Was ist das absolute Gehör?

So wird die Fähigkeit bezeichnet, ohne Vergleichston einen einzelnen Ton benennen zu können. Diese Menschen verfügen damit über die Fähigkeit, die Frequenz eines Tones unabhängig von den Begleitumständen zu erkennen – beispielsweise die 440 Hertz des Kammertons a. Nach einer Studie der Psychologin Diana Deutsch von der University of California in San Diego besitzen Chinesen das absolute Gehör häufiger als Amerikaner oder Europäer, weil sie von klein auf ihr Gehör besser trainieren.

Dass ein absolutes Gehör nicht rein angeboren ist, davon gehen auch die Untersuchungen von Diana Deutsch aus. Ihr Team verglich 115 Musikstudenten der amerikanischen Eastman School of Music in Rochester, im Staat New York, mit 88 Studenten einer Pekinger Musikhochschule. Von den Chinesen hatten 52 Prozent das absolute Gehör, bei den amerikanischen Studenten waren es nur sieben Prozent. Die amerikanischen, die erst nach dem achten Lebensjahr mit der Musik anfingen, konnten ein absolutes Gehör nicht mehr entwickeln. Das sei ähnlich wie mit dem Lernen von Sprachen, so Deutsch: Wer zu spät beginnt, lernt nicht mehr, akzentfrei zu sprechen. Chinesen dagegen trainieren ihr Gehör von klein auf besser, weil in Mandarin die Tonhöhe Worten eine Bedeutung verleiht. Deshalb sei es auch so wichtig, bereits mit vier bis fünf Jahren mit dem Musizieren anzufangen.

Liegt das gute Hören in den Genen?

Ein absolutes Gehör entwickelt nur, wer früh genug mit dem Musizieren anfängt.

In einer späteren Kontrollstudie testete Diana Deutsch 203 Musikstudenten der Thornton School in Südkalifornien mit vietnamesischer und chinesischer Abstammung. Die Teilnehmer sollten zufällig abgespielte Töne identifizieren. Am erfolgreichsten waren dabei asiatische Studenten, die ihre Muttersprache fließend beherrschten. Sie konnten etwa 90 Prozent der vorgespielten Noten richtig benennen. Diejenigen dagegen, die sie nicht fließend sprachen, schnitten ähnlich schlecht ab wie ihre Kommilitonen, die keine tonale Sprache gelernt hatten. Das spricht gegen eine besondere Veranlagung für das absolute Gehör bei Chinesen.

Für Musikalität ist Absoluthören nicht zwingend notwendig

Mit einem weiteren Vorurteil konnte Deutsch auch aufräumen: Nur, weil viele Chinesen ein absolutes Gehör haben, heißt das noch lange nicht, dass sie auch Musikgenies sind. Denn ein absolutes Gehör ist weder ein Zeichen für ausgesprochene Musikbegabung, noch kommt es wirklich selten vor. Denn auch unter den begabtesten Musikern gibt es einige mit einem absoluten Gehör - wie Mozart und Glenn Gould - und andere ohne - wie Richard Wagner oder Robert Schumann.


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