Europäische Weltraumforschung Kooperation statt Konkurrenz: Die ESA-Strategie im All

Von: Stefan Geier, Ortrun Huber, Simon Sachseder

Stand: 27.10.2021 09:46 Uhr

Große Weltraummissionen sind so komplex, dass oft mehrere Staaten zusammenarbeiten. Zugleich konkurrieren die Nationen aber um die Führungsposition beim Wettlauf ins All. Die Europäische Weltraumagentur ESA, die seit über 40 Jahre das Universum erforscht, setzt im internationalen Wettbewerb auf Allianzen.

Künstlerische Darstellung der europäischen Trägerrakete 6 der ESA, die erstmals im Jahr 2022 starten soll. | Bild: ESA - D. Ducros

Grosse Ambitionen, begrenztes Budget: Wofür die ESA Geld ausgibt

Künstlerische Darstellung von BepiColombo, der ersten Mission der ESA zum Merkur. | Bild: ESA

Künstlerische Darstellung von BepiColombo, der ersten Mission der ESA zum Merkur.

Rund 6,7 Milliarden Euro bekommt die Europäische Raumfahrtagentur ESA jedes Jahr von ihren 22 Mitgliedsstaaten. Damit kann sie zwar Astronauten wie den Deutschen Matthias Maurer ausbilden oder Missionen wie die Raumsonde BepiColombo in Richtung Merkur starten. Aber bei wirklich großen Vorhaben, wie bemannten Flügen zum Mond oder zum Mars, hat meist die amerikanische Weltraumagentur NASA die Federführung. Kein Wunder, immerhin hatte die US-Behörde zuletzt ein rund dreimal so hohes Budget zur Verfügung – umgerechnet rund 20 Milliarden Euro pro Jahr.

"Wir müssen sehr gezielt setzen, an welchen Stellen wir die Führung reklamieren und an welchen Stellen nicht", erklärt ESA-Wissenschaftsdirektor Günther Hasinger. Wenn man auf die künftigen Unternehmungen der ESA in den kommenden Jahrzehnten schaue, dann gebe es zwei riesige Projekte: das Röntgenteleskop Athena und das Gravitationswellen-Interferometer LISA. „In beiden Projekten hat ESA die Führung und NASA macht mit. Das gelingt uns aber nur, weil wir uns auf ganz wenige solcher Sachen spezialisieren. "Ein Beispiel dafür ist auch das James-Webb-Teleskop, das im Dezember 2021 ins All geschossen werden soll.

International gefragt: Die Kooperationsprojekte der ESA  

Das James Webb-Weltraumteleskop wird in einer speziellen Vorbereitungsanlage für Raumfahrzeuge in Französisch-Guayana ausgepackt und untersucht, um sicherzustellen, dass es nach seiner Reise zum europäischen Weltraumbahnhof unbeschädigt und in gutem Zustand ist. Das James Webb-Teleskop soll als  größtes und leistungsstärkstes Teleskop im Dezember 2021 ins All starten.  | Bild: ESA

Das James Webb-Weltraumteleskop wird im Raumfahrtzentrum Guayana bei Kourou ausgepackt. "Webb" soll Ende 2021 ins All starten.

Insgesamt gebe es in der wissenschaftlichen Raumfahrt international gesehen tatsächlich mehr Kooperation als Wettbewerb, sagt ESA-Wissenschaftler Günther Hasinger. Trotzdem versuche man natürlich an manchen Stellen die Nase vorne zu haben. "Aber selbst bei diesen Dingen laden wir andere Partner mit ein. Die Japaner, Chinesen, die Amerikaner. Solar Orbiter ist beispielsweise eine europäische Mission, bei der es aber eine starke NASA-Komponente gibt. Umgekehrt ist die ESA an fast allen großen strategischen Missionen der NASA beteiligt."

So haben die Europäer zu zwei der vier wissenschaftlichen Instrumente des James-Webb-Weltraumteleskops beigetragen. Zudem ist die ESA für den Start des Teleskops am 18. Dezember verantwortlich, denn das gigantische Fernrohr wird mit der europäischen Ariane-5-Trägerrakete ins All gebracht. Das gemeinsame Projekt von NASA, ESA und der kanadischen Weltraumagentur CSA ist der Nachfolger des Hubble-Teleskops und soll deutlich leistungsfähiger sein. Auch bei den geplanten Mondmissionen der US-Amerikaner hat die ESA ihre Finger im Spiel – beim neu entwickelten Raumschiff Orion steuern die Europäer das Service-Modul ESM bei.  

Blick zurück: Stationen der Europäischen Raumfahrt

  • Mai 1968: Eine amerikanische Trägerrakete bringt den Satelliten ESRO 2B in die Umlaufbahn der Erde - der erste erfolgreiche Start eines europäischen Satelliten ins All und die erste Mission, die vom European Space Operations Centre (ESOC) in Darmstadt gesteuert wird.
  • Mai 1975: In Paris unterzeichnen zehn Staaten das "Übereinkommen zur Gründung einer Europäischen Weltraumorganisation" und gründen damit die ESA. 
  • Dezember 1979: Mit der Ariane 1 startet erstmals eine europäische Trägerrakete vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou, Französisch-Guayana. Seit ihrer Gründung beförderte die ESA bis heute weit über 60 Satelliten, Sonden und Raumschiffe in den Erdorbit und ins All.
  • November 1983: Im Rahmen der STS-9-Mission startet erstmals das europäische Forschungslabor Spacelab. An Bord befindet sich Ulf Merbold, der erste Westdeutsche im All. Seitdem waren elf deutsche Männer im Weltraum, zuletzt Alexander Gerst 2014 und 2018. Am 31. Oktober 2021 wird Matthias Maurer als zwölfter deutscher Astronaut ins All starten.
  • März 1986: Die europäische Raumsonde Giotto nähert sich dem Kometen Halley auf einen Abstand von nur 596 Kilometern und schickte erstmals Aufnahmen vom Kern eines Kometen zur Erde.
  • April 1990: Das Hubble-Weltraumteleskop, ein Gemeinschaftsprojekt von ESA und NASA, startet in seine Umlaufbahn 550 Kilometer über der Erde und sendet seitdem Bilder aus den Tiefen des Universums. 
  • November 1998: Das erste Bauteil der Internationalen Raumstation ISS wird in seine Umlaufbahn um die Erde gebracht. An dem Projekt sind neben der ESA die Raumfahrtagenturen NASA (USA), Roskosmos (Russland), CSA (Kanada) und JAXA (Japan) beteiligt.
  • März 2002: Mit Envisat startet einer der ersten großen Erdbeobachtungssatelliten ins All. Heute gibt es ein Netzwerk von Nachfolgesatelliten im Rahmen des Copernicus-Programms.
  • Februar 2008: Das europäische Forschungslabor Columbus dockt an die ISS an.
  • 2008 bis 2015: Ein eigener Raumtransporter "Automated Transfer Vehicle" (ATV) der ESA versorgt die Besatzung der ISS mit Treibstoff, Wasser, Sauerstoff, Lebensmittel und Ausrüstungsmaterial.
  • seit 2014: NASA und ESA bauen gemeinsam das Raumschiff Orion. Mit ihm sollen Menschen Richtung Mond fliegen, später vielleicht auch zu Asteroiden oder zum Mars. Die ESA entwickelt für Orion das Servicemodul ESM, das für den Antrieb, die Energieversorgung, die Thermalkontrolle und weitere zentrale Elemente des Lebenserhaltungssystems des Raumschiffs verantwortlich ist.

Ulf Merbold: Als einziger Deutscher für die ESA dreimal im All

Partner der ESA oder Rivale?  Chinas Ambitionen im Weltall

Die Weltraummission SMILE soll ab Ende 2024 die Wechselwirkung zwischen der Magnetosphäre der Erde und dem Sonnenwind beobachten und das Plasma am Ort der Sonde untersuchen.   | Bild: ESA

Die Weltraummission SMILE soll ab Ende 2024 die Wechselwirkung zwischen der Magnetosphäre der Erde und dem Sonnenwind beobachten.

Ein vergleichsweise neuer, aber sehr bedeutender Akteur im Weltraum ist China. Bereits mehrere Mondmissionen, einen Rover auf dem Mars und seit kurzem auch eine eigene modulare Raumstation gehen auf das Konto der chinesischen Raumfahrtbehörde CNSA.

"Es ist tatsächlich so, dass China jetzt wie eine Rakete abzieht und viele Dinge machen kann, die wir einfach aufgrund der finanziellen und Manpower-Limitationen nicht machen können", sagt ESA-Wissenschaftsdirektor Hasinger. Und auch wenn das Reich der Mitte eine junge Raumfahrtnation ist, sei es doch so, dass China "sehr, sehr gut ist im Wiederherstellen und Bessermachen von Dingen, die andere Leute bisher gemacht haben".

Dennoch liege die ESA aus Sicht des Astrophysikers Hasinger immer noch in Führung, wenn es um die Entwicklung sehr neuer Technologien geht, zum Beispiel in der Gravitationswellenforschung. Zudem habe die ESA die Chinesen bei den ersten Schritten in die Raumfahrt sehr unterstützt, war also eine Art Geburtshelfer.

Aktuell arbeitet die ESA mit der chinesischen Akademie der Wissenschaften unter anderem an der gemeinsamen Satellitenmission SMILE, die die Wechselwirkung zwischen dem Magnetfeld der Erde und dem Sonnenwind beobachten soll.

Juice, Euclid und die anderen:  Künftige ESA-Missionen    

JUICE, der Jupiter Icy Moons Explorer der ESA, wurde im April 2020 Umwelttests unterzogen, um die extremen Heiz- und Kühlzyklen nachzubilden, denen das Raumfahrzeug auf seinem Weg zum Jupiter ausgesetzt sein wird. JUICE soll mindestens drei Jahre lang detaillierte Beobachtungen des riesigen Gasplaneten Jupiter und seiner drei großen ozeanischen Monde Ganymed, Callisto und Europa durchführen. | Bild: ESA

JUICE soll drei Jahre lang den riesigen Gasplaneten Jupiter und seiner drei großen Monde Ganymed, Callisto und Europa beobachten.

Eine Reihe von künftigen Weltraumerkundungs-Missionen unterliegen der Federführung der Europäische Raumfahrtagentur - unter anderem beim 2022 geplanten Start der Sonden JUICE und EUCLID. JUICE soll den Jupiter und drei seiner Monde untersuchen, das Teleskop EUCLID soll dunkle Energie und Materie erforschen.

2026 und 2028 sind dann zwei weitere Starts von ESA-Wissenschafts-Missionen angesetzt. PLATO und ARIEL werden Planeten außerhalb unseres Sonnensystems untersuchen. Die Großprojekte ATHENA und LISA könnten 2031 und 2034 starten. ATHENA ist ein Röntgenteleskop, das Antworten auf die Frage finden soll, wie Schwarze Löcher wachsen und das Universum formen. LISA wird eine Konstellation aus drei Sonden bilden, die ein Dreieck mit einem Abstand von 2,5 Millionen Kilometern markieren. Über Laser verbunden sollen sie mithilfe extrem sensibler Instrumente an Bord die Gravitation und mögliche Gravitationswellen messen.

ESA-Direktor Günther Hasinger: "Wir laden andere Partner ein."

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