Insekten Klein, aber mächtig
Insekten sind unsere ständigen Begleiter und strategische Überlebenskünstler. Sie gehören zu den ältesten und erfolgreichsten Bewohnern unserer Erde. Was macht sie so einzigartig?
Die Geschichte der Insekten beginnt mit den Anfängen des Lebens überhaupt: Die ersten Insekten bevölkerten schon vor 400 Millionen Jahren die Erde. Der Mensch kann lediglich auf drei Millionen Jahre Entwicklung zurückblicken. In der Jahrmillionen langen Evolution passten sich die Gliederfüßer an die klimatischen Bedingungen an und entwickelten eine unglaubliche Vielfalt. Über eine Million verschiedene Insektenarten sind schon beschrieben. Biologen schätzen jedoch, dass es insgesamt bis zu zehnmal so viele Arten geben könnte. Und eine Ameise oder eine Wanderheuschrecke kommt selten allein: Ihre Zahl reicht ins Unermessliche. Was macht die Sechsbeiner so erfolgreich?
Besondere Eigenschaften der Insekten
Der Körper
Alle Insekten besitzen ein gemeinsames Kennzeichen: Sie haben sechs Beine. Wie die Spinnentiere und Krebse gehören sie zu den Gliederfüßern, die rund 80 Prozent aller bekannten Tierarten ausmachen. Der Insektenkörper gliedert sich in drei Abschnitte, in Kopf, Brust und Hinterleib. Meistens besitzen die Sechsbeiner am Brustbereich zwei Flügelpaare. Zum Tasten und Riechen haben sie am Kopf zwei Fühler. Ihre Mundwerkzeuge sind je nach Ernährungsweise sehr unterschiedlich ausgebildet - zum Saugen, Stechen, Lecken oder Beißen. Allen Insekten gemeinsam ist ein Panzer aus Chitin. Er dient als Skelettersatz und schützt den Körper vor Austrocknung. Spinnen sind übrigens keine Insekten, sie laufen auf acht Beinen.
Die Augen
Auffällig am Kopf der meisten Insekten sind die beiden Facettenaugen, die, je nach Lebensweise, bis zu 90 Prozent der Kopfoberfläche ausmachen können. Die Facetten- oder Komplexaugen vermitteln dem Insekt ein Rasterbild. Ein durchschnittliches Facettenauge setzt sich aus rund 2.500 Einzelaugen zusammen, bei räuberisch lebenden Insekten, wie der Libelle, können es bis zu 30.000 sein. Damit können sie andere fliegende Insekten im Flug verfolgen und ergreifen. Libellen sind in der Lage, bis zu 250 Bilder pro Sekunde einzeln wahrzunehmen. Das menschliche Auge schafft nicht mehr als 20. Ab 25 Bildern pro Sekunde erscheint uns im Kinofilm eine Bewegung bereits fließend. Libellen, Fliegen, Schmetterlinge und Honigbienen können sogar farbig sehen.
Die Flügel
Mit der Entwicklung ihrer Flugfähigkeit vor gut 350 Millionen Jahren kam es zur ersten großen Artentfaltung der Insekten. Der Flugapparat der Insekten gilt als einzigartig. Und er ist so komplex, dass man seine Funktionsweise bis heute nicht richtig versteht. Segelnde Vögel etwa machen sich ihre gewölbten Flügel zunutze, deren Profil die Luft so leitet, dass ein Auftrieb erzeugt wird. Insektenflügel aber sind nicht gewölbt, sondern flach wie ein Blatt Papier. Diesen Mangel kompensieren die Tiere durch ein unvorstellbares Tempo, mit dem sie ihre Flügel auf- und abschlagen: Einige schaffen 400 bis 500 Schläge in der Sekunde, und die Spitzenflieger bringen es auf Werte von bis zu 1.000 Schlägen pro Sekunde.
Die Verwandlung
Insekten machen vom Ei zum fortpflanzungsfähigen Tier mehrere Entwicklungsstadien durch: Einige Tage nach der Eiablage schlüpft eine Larve. Wir kennen sie als Raupe beim Schmetterling, als Made bei der Fliege oder Engerling beim Maikäfer. Ihre einzige Aufgabe ist es, unermüdlich zu fressen und zu wachsen. Drei bis vier Mal häutet sich die Larve während ihres Wachstums, einzelne Arten auch öfter. Schließlich hört die Larve auf zu fressen und verpuppt sich. Jetzt findet die Verwandlung statt: Aus der Larve wird das fertige Insekt, der Schmetterling, die Fliege, der Käfer.
Die Wirkstoffe
An der Justus-Liebig-Universität Gießen wird erforscht, welche Wirkstoffe sich Insekten zunutze machen. Andreas Vilcinskas baut dort seit 2010 die Disziplin Insektenbiotechnologie auf. Er ist überzeugt: "Von Insekten lernen, heißt Siegen lernen. In der Evolutionsbiologie wird Erfolg durch Biodiversität definiert. Und allein mit ihren beschriebenen 1,2 Millionen Arten sind Insekten mit Abstand die artenreichste Organisationsgruppe." In Insekten schlummert eine gigantische Naturstoff-Bibliothek, mit unterschiedlichsten Substanzen können sie sich zum Beispiel vor Angreifern oder Parasiten schützen.
Vilcinskas will herausfinden, wie man diese Stoffe in der Medizin, in der Lebensmittelwirtschaft oder für den Pflanzenschutz nutzen kann. Im asiatischen Marienkäfer zum Beispiel konnte bereits eine Substanz isoliert werden, die gegen Malariaerreger wirkt. Auf der Suche nach Antibiotika werden Arten näher untersucht, die über ein besonders starkes Immunsystem verfügen, weil sie in Kot leben - Rattenschwanzlarven zum Beispiel. Konservierungsstoffe lassen sich aus dem Totengräberkäfer gewinnen. "Wir erforschen Dinge, die vielleicht erst in 10, 20 Jahren auf den Markt kommen. Man kann so viel mit Insekten machen", sagt Vilcinskas, "sogar Fett für die Kosmetikindustrie herstellen."
Anpassungstalente
Das Zauberwort in der Erfolgsgeschichte der Insekten heißt Anpassung. Ameisen in der Sahara haben eine Taktik entwickelt, extremer Wüstenhitze zu begegnen: Jeden Morgen krabbeln einige von ihnen vor den Bau und messen die Temperatur. Liegt die Temperatur bei 46 Grad Celsius, benachrichtigen sie die anderen und verlassen ihr Loch. So sind sie vor ihren Fressfeinden, den Echsen, geschützt, denen es zu heiß ist.
Klein, fies und unkaputtbar: Kakerlaken als Erfolgsrezept
Es gibt aber auch Wasserkäfer, die bis zu neun Monate eingefroren im Eis überleben können - dank einer Art Frostschutzmittel in ihrer Körperflüssigkeit. Für die vielfältigen Herausforderungen in der Natur haben die Insekten im Laufe ihrer Geschichte diverse Lösungen entwickelt: Es gibt blutsaugende Schmetterlinge, eine Ameise kann ein Vielfaches des eigenen Körpergewichts schleppen und von einem Nashornkäfer ist bekannt, dass er das 800-fache des eigenen Körpergewichts wegträgt.
Strategie der Fortpflanzung
Die erfolgreiche Fortpflanzung ist entscheidend für das Überleben jeder Insektenart. Viele Arten setzen auf kurze Vermehrungszyklen und viele Nachkommen. Ein Taufliegen-Pärchen kann in einem Jahr theoretisch Billionen Nachkommen erzeugen. Die meisten davon werden jedoch gefressen, bevor sie diese Lawine fortsetzen können. Ähnliches gilt für die Blattläuse, deren Fortpflanzungsfreude durch Marienkäfer drastisch eingeschränkt wird.
Staatenbildung
Gemeinsam ist man stärker. Mehrmals kam es in der Entwicklung der Insekten zur Staatenbildung: bei Ameisen, Termiten, Bienen und Hummeln. Das Prinzip lautet Arbeitsteilung. Arbeiterinnen sind für Bau und Verteidigung des Nests und für die Pflege der Brut zuständig, mehrere Männchen begatten die Königin, die als Einzige Eier legt.
Täuschung
Manche Insekten machen sich die erfolgreiche Abwehrstrategie anderer Insektenarten zunutze. Harmlose Schwebfliegen imitieren zum Beispiel die schwarz-gelbe Färbung von Bienen, Wespen und Hornissen. Die Imitationen sind so gut gelungen, dass sogar die 'Originale' Schwebfliegen für ihre Artgenossen halten und unter sich dulden.
Nachahmung
Kaum zu erkennen: Eine Stabheuschrecke sitzt auf einem dünnen Ast. Eine Überlebensstrategie von Insekten ist es, Gegenstände oder Lebewesen nachzuahmen, die für Fressfeinde uninteressant sind. Das Insekt kann vom Feind zwar gesehen werden, wird aber für etwas anderes gehalten.
Verteidigungsstrategien
Es gibt Weichwanzen, die ihre Beine abwerfen und damit den Feind ablenken - ähnlich wie die Eidechse ihren Schwanz abstreift. Während der Feind noch mit den Beinen beschäftigt ist, bringt sich das Tier in Sicherheit. Das Dumme ist nur, dass die Beine von erwachsenen Insekten nicht mehr nachwachsen. Die Verteidigungsstrategie ist damit langfristig nicht wirklich erfolgreich. Geschickter ist da der Bombardierkäfer, der ein dampfendes, bis zu 100 Grad heißes Reizgas ausstößt und damit Ameisen in die Flucht schlägt. Weil der Käfer zu klein ist, kann er dem Menschen nicht gefährlich werden.
Groß genug, um dem Menschen Schaden zuzufügen, können Insekten auf lange Sicht nicht werden, weil sie keinen geschlossenen Blutkreislauf und kein Skelett besitzen. Damit ist ihr Wachstum begrenzt. Das ist unser Glück, sonst wären wir Menschen von den Insekten wohl schon zu Beginn unserer Entstehung im Keim erstickt worden.
Großes Insektensterben
Doch mit einem hat die Evolution nicht gerechnet: dem Menschen und seinem großzügigen Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft. Die Folge ist ein Insektensterben von ungeheurem und globalem Ausmaß: Die Insekten werden weniger, sowohl in ihrer Gesamtzahl als auch in ihrer Artenvielfalt. In manchen Regionen sind bis zu vierzig Prozent der Fluginsekten bedroht.