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Schwamm Hirnloser Hubbel mit Superkräften

Kennen Sie dieses merkwürdig geformte Ding vom Schnorcheln oder Tauchen? Sie dachten immer, ein Schwamm macht und kann nichts? Der Schwamm ist ein Tier. Hirnlos zwar, aber mit Eigenschaften, die auch Ihnen helfen könnten.

Published at: 21-7-2018 11:35 AM

Schwamm im Meer | Bild: picture alliance/blickwinkel/McPHOTO

Schwämme sehen aus wie Kissen, Knollen, Keulen oder Kuhfladen. Auch welche in Becher- oder Vasenform gibt es. Sie können millimeterklein oder metergroß sein. Grau oder knallig bunt. Beim Schnorcheln oder Tauchen nimmt man sie oft gar nicht wahr. Und wenn, dann als unspektakuläre Unterwasserhubbel oder merkwürdig geformte Gebilde. Dass Schwämme Tiere und keine Pflanzen sind, haben Forscher erst im 19. Jahrhundert herausgefunden. Unter dem Mikroskop waren Mehrzeller zu erkennen, die Partikel einstrudelten und fraßen.

Der Schwamm, das Hotel im Meer

Ein Schwamm bietet viele kleine und große Zimmer - alle mit Badewanne.

In der Zoologischen Staatssammlung in München lagern Proben von mehr als 8.000 Schwammarten. Weltweit existieren wohl doppelt so viele. Die Art eines Schwammes zu bestimmen, ist aber schwierig. Dafür müssen DNA-Sequenzen isoliert werden. Ein Schwamm aber ist wie ein Hotel und beherbergt in seinen wasserdurchströmten kleinen Kammern unzählige Meeresbewohner. Bei einer Probe weiß man nie: Stammt sie vom Schwamm - oder hat man einen seiner Bewohner erwischt?

Wimpern und Lebenspartner sorgen für Schwamm-Futter

Schwämme

Schwämme (Porifera, vom Lateinischen porus "Pore" und ferre "tragen") leben in allen Meeren der Erde. Einige wenige Arten sogar im Süßwasser. Die Porenträger fühlen sich im warmen Wasser der Tropen ebenso wohl wie im kalten Wasser der Arktis.

Schwämme bestehen aus feinen, wasserdurchlässigen Poren. Sie haben kein Gehirn, keine Nervenzellen, keine Organe, keine Muskeln. Normalerweise sind sie fest mit ihrem Untergrund verwachsen und bewegen sich nicht vom Fleck. Weil sie nicht aktiv nach Nahrung suchen können, muss die Nahrung zu ihnen kommen. Dafür haben sie verschiedene Strategien entwickelt. In den gemäßigten Breiten und in den kühleren Meeren wird gefiltert: Mit dem Wasser werden winzige Nahrungspartikel, zum Beispiel Bakterien, eingestrudelt und gefressen. Das machen bewimperte Zellen möglich. Die Wimpern wedeln Wasser und damit Nahrung in den Schwamm. Tropische Schwämme dagegen ernähren sich von den Stoffwechselprodukten ihrer Lebenspartner, Algen oder Bakterien, mit den sie hochspezialisierte Gemeinschaften eingehen.

Faszination Schwamm

Wissenschaftler sind fasziniert von Schwämmen. Zum Einen, weil es sie schon seit Hunderten von Millionen Jahren gibt. Sie sind ein evolutionäres Erfolgsmodell aus der Frühzeit der Erde und haben ihren Bauplan bis heute nur geringfügig geändert.

"Man kann sich das so vorstellen, dass die Schwämme ganz unten am Stammbaum irgendwo abzweigen. Der Ursprung geht rund 700 Millionen Jahre zurück. Der Vorfahre der heutigen Schwämme kann eventuell auch ein Modell sein für das ursprünglichste Tier. Ganz nah an der Basis."

Gert Wörheide, Professor am Lehrstuhl Paläontologie und Geobiologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Außerdem ist der Schwamm ein Lebewesen, das aus vielen eigenständigen Zellen entsteht, die kaum Spezialisierungen aufweisen und trotzdem zusammen als ein Tier funktionieren. Die einzelnen Zellen bilden nicht nur eine Kolonie, sondern kommunizieren und reagieren. Sie verhalten sich zusammen.

"Es sind vielleicht die ältesten und vielfältigsten Lebewesen. Und da drin steckt eben die Frage, die wir Biologen heute alle haben: Wie funktioniert das, wenn so ein Tier eigentlich aus einzelnen Zellen besteht, kein echtes Gewebe hat, sondern Zellen, die in der Lage sind, auch einzeln lebensfähig zu sein. Die zusammen koordinierte Arbeitsteilung machen. Aber all das ohne Nervensystem, ohne Muskeln, ohne Organe. All das kann nur der Schwamm."

Antje Boetius, Meeresbiologin, Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen

Rätselhafter Schwamm-Sprinter

Badeschwämme

Der Schwamm in Ihrer Badewanne ist all seiner Bewohner beraubt. Mithilfe von Lauge wurde alles Organische weggeätzt. Übrig ist nur das nackte Skelett.

Gert Wörheide untersucht am Lehrstuhl für Paläontologie und Geobiologie in München lebende Schwämme in Meerwasseraquarien. Ein kleiner kugelrunder weiß-gelber Kerl fühlt sich dort besonders wohl und vermehrt sich fleißig: Tethya wilhelma, der schnellste Schwamm der Welt. Er sitzt nicht fest, sondern bewegt sich - ganze vier Millimeter pro Stunde. Ohne einen einzigen Muskel oder ein Nervensystem zu besitzen schafft er es, sich regelmäßig zusammenzuziehen und dadurch voranzukommen. Auch Sauerstoff braucht er fast keinen zum Überleben.

Selbstverteidigung mit der chemischen Keule

Für die Wissenschaft besonders spannend sind auch die Abwehrmechanismen der Schwämme. Weil sie nicht weglaufen können und ständig Wasser durch ihren Körper strömt, müssen sie gegen Fressfeinde und Eindringlinge gewappnet sein. Chemische Substanzen sind ihre Geheimwaffen, weiß Gerhard Haszprunar, Direktor der Zoologischen Staatssammlung München: "So einfach Schwämme vom Zellbau her sind, so toll sind sie in der Biochemie. Die bauen Substanzen, da sagt man: wow! Meistens giftig, damit sie nicht gefressen werden." Die Abwehrstoffe sind für die medizinische Forschung hochinteressant und werden seit Jahrzehnten untersucht.

Putzen mit Chemie

Die chemische Keule setzen Schwämme aber nicht nur zur Abwehr, sondern auch zum Putzen ein: "Wenn man taucht und sich einen Schwamm anschaut und sieht, dass die Oberfläche relativ sauber ist, dann heißt das, dass er ein System an Abwehrmechanismen entwickelt hat, um sich gegen die ablagernden Partikel zu schützen - zum Beispiel durch Schleimproduktion", sagt Molekularbiologe Werner Müller vom Institut für Physiologische Chemie an der Universität Mainz.

Chemischer Cocktail gegen Bakterien

Jede Schwammart besitzt einen eigenen Überlebenscocktail, um sich gegen Erreger zur Wehr zu setzen. Diese Substanzen können verheißungsvoll für Anwendungen beim Menschen sein. "Man kann nahezu jeden Stoffwechselprozess bei den Schwämmen wiederfinden, den wir von den Menschen her kennen. Das heißt: Wenn der Schwamm sich wehrt gegen ein bestimmtes Bakterium, und man erkennt, an welcher Stelle der Schwamm ansetzt, um die Bakterien abzutöten, kann man mit höchster Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die gleichen Mechanismen auch der Mensch einsetzen kann", erklärt Molekularbiologe Werner Müller.

Die Pharmazie interessiert sich für komplex gebaute Biomoleküle, die in der Lage sind, Entzündungen zu hemmen oder gegen Krebszellen zu wirken. Medikamente, die auf Schwamm-Substanzen basieren, sind bereits auf dem Markt: ein Mittel wird bei Leukämie eingesetzt, ein anderes bei Herpes. Medizinische Wirkstoffe aus Schwämmen zu gewinnen, ist jedoch nicht einfach. Der Schwamm selbst produziert nur Kleinstmengen. Um eine für einen Menschen relevante Dosis zu erhalten, müsste man riesige Schwammmengen ernten. Schwämme im Labor zu züchten ist in diesen Größenordnungen auch noch nicht gelungen. Die Substanzen im Labor künstlich nachzubauen ist ebenfalls problematisch.

"Der andere Ansatz ist eben, die Natur als Initialzündung zu nehmen, als Ideengeber. Und dann diese Moleküle synthetisch zu verfeinern. Das dauert ewig lang - und dann wirken die irgendwie gegen Krebs oder töten Zellen. Aber die töten dann nicht nur Krebszellen ab, sondern auch die anderen Zellen. Das ist ein extrem langwieriger und schwieriger Prozess. Das dauert."

Gert Wörheide, Professor am Lehrstuhl Paläontologie und Geobiologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Der Schwamm, rätselhaft mit Superkraft

Von der Entdeckung einer Substanz bis zur Marktreife könne das schon mal 15 Jahre dauern und einige Millionen verschlingen, erzählt Gert Wörheide.

Ein weiterer Beweis dafür, dass der Schwamm nur scheinbar primitiv ist. Er ist hochkomplex, hat höchsterfolgreiche Überlebensstrategien entwickelt - und gibt den Forschern noch heute Rätsel auf.

"Wir wissen, dass da wirkliche Geheimnisse des Lebens auf der Erde drin stecken. Für mich bedeutet das: Wir müssen da ins Meer schauen. Wir müssen verstehen, wo die Schwammriffe sind. Und wir müssen auf diese Lebensräume achten und sie auch schützen."

Antje Boetius, Meeresbiologien, Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen


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