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Gift-Anschlag auf Nawalny 2020 Was ist das Nervengift Nowitschok?

Der verstorbene Regimekritiker Alexej Nawalny, der Überläufer Sergej Skripal und dessen Tochter. Sie alle wurden mit dem Kampfstoff Nowitschok vergiftet. Was ist das für ein Gift? Wie wirkt Nowitschok?

Stand: 20.02.2024

Gift-Anschlag auf Alexej Nawalny 2020: Nawalny wird am 22. August 2020 in einer Isolationskapsel von einem russischen Krankenhaus in Omsk zur Berliner Charité transportiert. Nawalny überlebt den Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok nur knapp. | Bild: picture alliance/dpa/TASS | Vyacheslav Filippov

Der Name Nowitschok bedeutet "Neuling". Das Nervengift gilt als einer der tödlichsten je erfundenen Kampfstoffe. Sowjetische Forscher entwickelten eine Serie neuartiger Nervengifte in den 1970er- und 1980er-Jahren. Diese Kampfmittel wurden geschaffen, um der Erkennung durch internationale Inspektoren zu entgehen. Nervengifte wurden ursprünglich in den 1930er-Jahren durch Zufall entdeckt, weil deutsche Wissenschaftler versuchten, kostengünstige Pestizide zu entwickeln. Dabei entdeckten sie die hochgiftige Phosphor-Fluor-Verbindung. Diese erwies sich als tödliches Nervengift und wurde später unter dem Namen Sarin bekannt.

Russischer Oppositioneller Alexej Nawalny mit Nowitschok vergiftet

Am 20. August 2020 brach der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny († 16. Februar 2024) auf einem Flug zusammen und wurde mit schweren Vergiftungserscheinungen in ein Krankenhaus in Sibirien eingeliefert. Später wurde er nach Deutschland ausgeflogen und in der Berliner Charité unter Polizeischutz behandelt. Er überlebte den Anschlag nur knapp. Am 2. September konnte nach Angaben der Bundesregierung zweifelsfrei festgestellt werden, dass Nawalny mit einem chemischen Nervenkampfstoff vergiftet worden sei. Bei dem russischen Oppositionellen wurde das Nervengift Nowitschok festgestellt. Es ist nicht das erste Mal, dass Russland in den Verdacht geriet, Regime-Kritiker mit Nowitschok aus dem Weg räumen zu wollen.

Doppelagent Skripal 2018 mit Nowitschok vergiftet

2018 war Nowitschok weltweit in den Medien, nachdem der ehemalige russische Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Julia mit dem Kampfstoff vergiftet worden waren. Am 4. März 2018 wurden die Skripals bewusstlos auf einer Parkbank in Salisbury aufgefunden. Nach Erkenntnissen der Polizei kamen die beiden an ihrer Haustür in Kontakt mit dem Nervengift Nowitschok. Nowitschok-Spuren seien auch an anderen Stellen gefunden worden, "aber in geringerer Konzentration" als in Skripals Haus, erklärte die Polizei damals. Die Ermittler hatten die Parkbank, einen Pub, ein Restaurant und einen Friedhof auf Giftspuren überprüft. Vater und Tochter erholten sich später wieder. Im Juni 2018 wurde auch ein Ehepaar im südenglischen Amesbury mit Nowitschok vergiftet. Die Frau starb kurz darauf, ihr Mann konnte nach einem Monat die Klinik wieder verlassen.

Wie wirkt Nowitschok?

Das Nervengift kann in flüssiger oder gasförmiger Form vorliegen und durch die Haut absorbiert werden, häufiger aber findet es sich in Form eines feinen Puders. Als solches wird es leicht inhaliert.

Ein tödliches Nachtschattengewächs: Belladonna. Das Gift der Pflanze wirkt gegen das Nervengift Nowitschok.

Nowitschok kommt manchmal auch als "binäre Waffe" daher. Ähnlich wie bei einem Zweikomponentenkleber sind die einzelnen Bestandteile ungiftig und fallen beim Transport oder bei Kontrollen nicht auf. Erst, wenn man die beiden Komponenten zusammenmischt, entfalten sie ihre tödliche Wirkung.

Atropin als Gegenmittel

Atropin kommt als giftiger Inhaltsstoff in der Tollkirsche (Atropa belladonna) vor. In der Augenheilkunde dient es zur Pupillenerweiterung. Auch bei Herzrhythmusstörungen mit verlangsamtem Herzschlag wird es eingesetzt. Außerdem dient es als Gegenmittel bei Vergiftungen mit chemischen Waffen.

Nervengifte gelangen über die Haut oder die Atemwege in den Körper und führen meist binnen weniger Stunden zum Erstickungstod. Sie wirken, indem sie das Enzym Acetylcholinesterase blockieren, das die Kommunikation zwischen Nervenzellen und Muskeln steuert. Fällt das Enzym aus, werden Muskeln überstimuliert. Krämpfe sind die Folge. Das Gift ist nur schwer nachzuweisen, die Überlebenschancen eher gering. Selbst das bei Vergiftungen dieser Art übliche Gegenmittel Atropin kann meist nur wenig ausrichten. Es muss vor allem so schnell wie möglich verabreicht werden.

Wie wirkt Nowitschok auf den Körper?

Die Giftstoffe wirken innerhalb von Sekunden oder Minuten, wenn sie eingeatmet werden, und etwas langsamer, wenn sie über die Haut aufgenommen werden. Sie wirken direkt auf das Nervensystem und unterbrechen die Verbindung von Nerven- und Muskelzellen. Die Folge: Atemlähmungen treten ein. Die mangelnde Sauerstoffversorgung führt schließlich zu Schäden im Gehirn.

Zu den weiteren Symptomen gehören: die Pupillen verengen sich, Krämpfe, Übelkeit, Speichelfluss und im schlimmsten Fall kommt es zu Koma, Atemstillstand und Tod.

Was sollte nach einer Kontamination mit Nowitschok getan werden?

Die Kleidung der kontaminierten Personen sollte entfernt und gewaschen werden. Die Menschen selbst mit Wasser und Seife abgewaschen werden. Die Augen müssen gespült und die Menschen an die Luft gebracht werden.

Wann wurden Gifte in der Vergangenheit eingesetzt?

VX bei Kim Jong-nam

Nowitschok ist Berichten zufolge fünf- bis achtmal toxischer als der VX-Kampfstoff, der eine Person innerhalb von Minuten töten kann. Mit der öligen bernsteinfarbenen Flüssigkeit wurde im Jahr 2017 der Halbbruder des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un auf dem Flughafen von Kuala Lumpur ermordet. 

Sarin in Syrien

Es gibt drei Gruppen von Nervengiften Sarin, VX und Nowitschok. Nach UN-Angaben ist Sarin von der syrischen Regierung bei einem Angriff auf Ghouta bei Damaskus im August 2013 eingesetzt worden und erneut im April 2017 im Nordwesten des Landes in der Provinz Idlib. Hunderte Menschen wurden getötet.

Sarin in U-Bahn Tokio

Sarin war auch bei dem Anschlag auf die U-Bahn in Tokio am 20. März 1995 im Spiel. Das in Plastiktüten ausgelegte flüssige Nervengift wurde von Schirmspitzen durchbohrt. Ein Dutzend Menschen kamen zu Tode.

Polonium bei Litwinenko

Der Ex-KGB-Agent Alexander Litwinenko wurde 2006 nicht mit einem Nervengift, sondern beim Teetrinken mit Polonium 210, einer radioaktiven Substanz, tödlich vergiftet.

Sendungen über das Nervengift Nowitschok und Alexej Nawalny


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