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Multiple Sklerose Autoimmunerkrankung mit vielen Gesichtern

Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems in Europa, die bei jedem Patienten ein wenig anders verläuft. Die Krankheit ist nicht heilbar, aber durch verschiedene Maßnahmen behandelbar.

Stand: 30.05.2021

MS schädigt die Nervenzellen | Bild: picture-alliance/dpa

Weltweit sind mehr als 2,5 Millionen Menschen an Multipler Sklerose erkrankt. In Deutschland leben etwa 250.000 Menschen mit dieser Autoimmunerkrankung. Die Patientenzahlen nehmen zu, Wissenschaftler können jedoch bislang nicht genau erklären, warum das Immunsystem bei so vielen Patienten verrückt spielt.

Ursachen für Multiple Sklerose

Bis heute wird über die Ursachen der Multiplen Sklerose spekuliert. Die aktuelle Forschung geht davon aus, dass viele Faktoren zur Krankheitsentstehung beitragen. Es gibt sicherlich eine genetische Veranlagung für diese Autoimmunerkrankung. Aber zum Ausbruch kommt sie erst, wenn auch noch weitere Faktoren wie Umwelteinflüsse oder Virusinfektionen wie etwa eine Epstein-Barr-Infektion hinzukommen.

"Selbst bei genetisch identischen eineiigen Zwillingen sind nur in 30 Prozent der Fälle beide an MS erkrankt."

Reinhard Hohlfeld, Professor für Neuroimmunologie am Uniklinikum Großhadern

Vitamin-D-Mangel begünstigt Multiple Sklerose

Zu den Umwelteinflüssen, die Multiple Sklerose begünstigen, zählen vor allem ein Vitamin D-Mangel: Nimmt das Sonnenscheinvitamin ab, steigt das Risiko, an MS zu erkranken. Das erklärt auch, warum die Häufigkeit der Erkrankung mit wachsendem Abstand zum Äquator zunimmt.

Auch eine bestimmte Zusammensetzung der Darmflora kann die Entwicklung von MS begünstigen. Das konnten Münchner Forscher im Tiermodell bei Mäusen zeigen.

"Das könnte letztlich auch bedeuten, dass es in Zukunft vielleicht möglich wird, durch eine gezielte Manipulation der Darmflora, etwa über eine bestimmte Ernährung oder bestimmte Antibiotika, den Verlauf der MS positiv zu beeinflussen."

Reinhard Hohlfeld, Professor für Neuroimmunologie am Uniklinikum Großhadern

Krankheitsanzeichen von Multipler Sklerose

MS ist eine Erkrankung, die schon in jungen Jahren ausbrechen kann. Die ersten Symptome treten meist zwischen dem 15. und 40. Lebensjahr auf. Zu Beginn der Erkrankung leiden Erkrankte häufig unter Sehstörungen, weil sich der Sehnerv entzündet. Das macht sich in einer Sehunschärfe oder einem milchigen Schleier bemerkbar.

Diffuse Symptome und schwierige Diagnose bei MS

Computertomographie vom Kopf einer jungen Frau mit der Krankheit Multiple Sklerose, MS

Manchmal kommt es auch zu diffusen Schmerzen, Taubheitsgefühlen oder Krämpfen. Oft sind die Füße und Unterschenkel betroffen. Es können Gleichgewichtsstörungen, Unsicherheit beim Gehen und motorischen Ausfallerscheinungen auftreten. Auch die Aussprache kann vorübergehend gestört sein.

Typisch sind auch Gefühlsstörungen auf der Haut. Betroffene berichten auch von Problemen mit der Blase, sexuellen Funktionsstörungen und depressiven Verstimmungen. Die Krankheitsanzeichen sind also diffus und müssen von einem Arzt genauer in Augenschein genommen werden.  

"Im Prinzip wären 50 bis 100 verschiedene Differentialdiagnosen denkbar. Meist ist die Symptomkonstellation, die zu sehen ist, allerdings doch so typisch für MS, dass die Diagnose recht frühzeitig richtig gestellt wird."

Reinhard Hohlfeld, Professor für Neuroimmunologie am Uniklinikum Großhadern

Verlaufsformen bei Multipler Sklerose

Etwa 90 Prozent der Erkrankten erleben in den ersten 10 bis 15 Jahren, dass sich MS in Schüben zeigt. Ein Schub kann einige Tage oder Wochen anhalten. Anfangs bilden sich die Einschränkungen in der Regel wieder zurück, später meist nicht mehr.

Etwa 10 Prozent der Erkrankten erleben MS nicht in Schüben, sondern als eine schleichende, langsam voranschreitende Einschränkung. Bei manchen beginnt MS in Schüben und wechselt später zu einer kontinuierlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands.

Schwere Verläufe der MS sind nicht die Regel

Nicht jede MS verläuft zwangsläufig schwer. Gerade zu Beginn kann es zu einer weitgehenden Abheilung der Entzündungsherde kommen. Nur in wenigen Fällen von unter fünf Prozent führt die Erkrankung innerhalb weniger Jahre zu einer schweren Behinderung. MS ist keine tödlich verlaufende Krankheit, bringt aber im Laufe der Zeit meist zu Einschränkungen für die Patienten mit sich.

"Ganz sicher stellt die Unvorhersagbarkeit des Krankheitsverlaufes eine besondere Belastung für Neuerkrankte und ihre Angehörigen dar. Gespräche mit dem Arzt, anderen MS-Erkrankten oder Mitarbeitern der DMSG helfen im konkreten Fall, ein realitätsnahes Bild von der MS zu bekommen."

Informationen der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft DMSG

Therapieansätze bei Multipler Sklerose

Generell unterscheidet man bei MS die Behandlung eines akuten Schubs und die allgemeine Regulierung des Immunsystems, das sich bei einer Autoimmunerkrankung wie MS gegen den eigenen Körper richtet.  

Kortisonbehandlung bei akuten MS-Schüben

Ein akuter MS-Schub wird in der Regel mit Kortison behandelt, das entzündungshemmend wirkt. So klingt der Schub meist nach kurzer Zeit wieder ab und macht die schwierige Phase etwas besser verträglich.

Gegen die Begleiterscheinungen wie Schmerzen, Spastiken, Behandlung der Blasenfunktion und Depressionen gibt es Medikamente, die diese Symptome regulieren.

Immunsystem mit Medikamenten dämpfen

Sehr stark greifen Arzneien ein, die das Immunsystem beeinflussen. Bei MS-Kranken schießt der Körper gegen sich selbst: Immunzellen greifen die Myelin-Hülle der Nerven an und lösen Entzündungen im Gehirn und Rückenmark aus. Ärzte versuchen deshalb, das Immunsystem zu dämpfen. Das geht mit immunmodulierenden oder immunsupprimierenden Substanzen, die erhebliche Nebenwirkungen haben können.  

Chemotherapie gegen Multiple Sklerose

Ein anderer Ansatz ist, das Immunsystem mithilfe einer Chemotherapie auszuschalten. So gehen Informationen und Zellen verloren, die zum fehlgeleiteten Angriff aufs eigene Nervensystem geführt haben. Im Anschluss erhalten Patienten eine Infusion aus zuvor entnommenen Knochenmarkszellen. Diese produzieren dann quasi ein neues Immunsystem, das aber die Nervenhüllen nicht angreift.

"Es ist wichtig anzumerken, dass diese Therapie schwere Nebenwirkungen und Risiken hat und nur für einen kleinen Anteil von Patienten mit sehr aggressiver MS geeignet ist."

Harold Atkins, Mediziner an der University of Ottawa, Kanada

Kompetenznetz Multiple Sklerose und MS-Zentren in Bayern

Das Kompetenznetz Multiple Sklerose begleitet Patienten in einer Langzeitstudie, in der auch MS-Zentren aus Bayern eingebunden sind. Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft gibt einen Überblick, wo MS-Zentren angesiedelt sind.  

"Das Vorurteil, gegen Multiple Sklerose könne man nichts machen, ist weit verbreitet. Es hat bei den Ärzten zu einem therapeutischen Nihilismus geführt, der nicht gerechtfertigt ist."

Judith Haas, Professorin für Neurologie am Jüdischen Krankenhaus Berlin. 

Welttag für Multiple Sklerose

Der Welttag für Multiple Sklerose wird seit dem Jahr 2009 begangen. Er hat seit 2019 einen festen Termin: Immer am 30. Mai startet die von Jahr zu Jahr größer werdende internationale Kampagne. Sein Ziel ist, das öffentliche Bewusstsein für diese Krankheit zu schärfen und über neue Forschungsansätze zu informieren.


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