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Blutegel Parasiten und wundersame Heiler

In der freien Wildbahn lauern sie in kleinen Gewässern auf ihre badenden Opfer und rufen dabei oft dieselbe Reaktion hervor: Igitt, wie eklig! Doch in der Medizin können Blutsauger wahre Wunder bewirken. Wie schaffen sie das?

Stand: 05.11.2020

Ärztin setzt Blutegel zur Therapie auf den Arm einer Patientin. | Bild: picture-alliance/dpa

Sie sind braun oder schwarz, etwa zehn Zentimeter lang und lassen uns meist schaudern: Blutegel. In der freien Natur begegnet man den Tieren immer seltener, weil ihr natürlicher Lebensraum wie Teiche, Tümpel oder kleine Seen zunehmend verschwindet. Der bekannteste Vertreter der Egel ist der Medizinische Blutegel (Hirudo medicinalis). Das wurmartige Tier, das eng mit dem Regenwurm verwandt ist, kann als Therapie zur Linderung von Schmerzen eingesetzt werden und sogar auch bei Transplantationen. Grund dafür ist ein gerinnungshemmendes Protein namens Hirudin im Speichel des Tieres.

Blutsaugen - wie macht ein Egel das?

Einmal auf seinem Opfer angelangt, ritzt der Blutegel mit seinen drei Kieferreihen und seinen winzigen, aber äußerst scharfen Zähnen zunächst dessen Haut auf. Die Zähne seien sogar so scharf, dass es dem Egel gelingt, auch dicke Haut und Leder von Rindern schnell durchzubeißen, erklärt Martin Heß, Biologe an der Ludwigs-Maximilian-Universität in München. Gleich nachdem der Egel die Haut angeritzt hat, schleust er außerdem ein Schmerzmittel in die Wunde, damit das Opfer nichts merkt und der Parasit in Ruhe mit dem Blutsaugen loslegen kann. Dafür erzeugt der Egel mit der Muskulatur seines Verdauungstraktes einen Unterdruck, ähnlich wie bei einer Saugpumpe. Der Egel kann so bis zum Fünffachen seines eigenen Körpergewichts an Blut aufnehmen. Der Medizinische Blutegel fällt entgegen manch anderer Arten nach dem Saugen von seinem Opfer, Menschen oder anderen Säugetieren, ab Für die medizinische Therapie ist dieses Verhalten praktisch: Der Behandelnde sieht genau, wann das Tier seine Arbeit erledigt hat.

Blutegel-Therapie: Wodurch wird die heilende Wirkung erzielt?

Die Wirkung, die die Blutegel bei einer Therapie erreichen sollen, wird anscheinend durch einen echten "Pharma-Cocktail" erzeugt, den die Blutsauger in ihrem Wirt hinterlassen Bis zu 100 Substanzen sollen - so der derzeitige Stand der Forschung - im Speichel eines Blutegels sein. Zumindest bei Arthrose ist aber trotzdem nicht ganz klar, warum die Therapie mit Blutegeln einen schmerzlindernden Effekt hat. "[...] wir gehen davon aus, dass diese bis zu 100 Inhaltstoffe im Blutegelspeichel, auch stark entzündungshemmend und schmerzstillend sind", sagt Andreas Michalsen, Naturheilkundler und Chefarzt im Berliner Immanuel Krankenhaus.

Studie: Schmerzlinderung durch Blutegel-Behandlung bei Arthrose

In einer Studie, die Michalsen betreut hat, spürten 90 Prozent der Patienten mit schmerzhafter Arthrose nach der Blutegel-Behandlung eine Besserung. In den günstigsten Fällen hielt die Schmerzlinderung mehr als acht Monate an. Ein erstaunlich langer Zeitraum, denn eigentlich müssten die ins Gelenk eingebrachten Wirkstoffe nach ein paar Wochen abgebaut sein. "Das verstehen wir auch nicht, warum die Wirkung des Blutegels so viel länger ist, als die einer schmerzstillenden Spritze im Gelenk. Das können wir leider nicht erklären", sagt Michalsen. Auch ein Placebo-Effekt wird nicht ausgeschlossen.

Der Effekt des Hirudin bei Blutegeln

Der positive Effekt des Hirudin - nach Aussage Michalsens "das stärkste beschriebene gerinnungshemmende Protein, das es gibt" - ist für die Transplantationsmedizin dagegen unbestritten. Bei einem Verlust von Gliedmaßen zum Beispiel. Weil die Mediziner wegen des technisch zu hohen Aufwands in solchen Fällen die Venen nicht zusammennähen können und es dadurch oft zu Blutstauungen kommt, können Blutegel helfen. Das blutgerinnungshemmende Protein Hirudin, das sich im Speichel der Tiere befindet, lässt das gestaute Blut des Patienten durch die fehlende Gerinnung nach außen abfließen. So ist "der Druck weg und die Heilung kann wieder beschleunigt erfolgen", erläutert Michalsen vom Berliner Immanuel Krankenhaus.

Was man bei einer Blutegel-Therapie beachten sollte

Etwa 30 bis 40 Milliliter Blut verliert ein Patient pro Egel durch das Saugen und dem bis zu zwölf Stunden und manchmal auch noch längerem Nachbluten. Deshalb dürfen nicht zu viele Blutegel bei einer Therapie angelegt werden. Sechs bis maximal zehn Blutegel dürfen es pro Therapiesitzung sein. Andernfalls würde man eine Blutarmut beim Patienten erzeugen, erklärt Experte Michalsen. Auch wichtig ist, bei der Therapie auf Duftstoffe wie Parfums und Cremes zu verzichten. Das mögen die Tiere nicht und beißen sich dann nicht in die unnatürlich riechende oder glitschige Haut.

Verwendung von Blutegeln schon in der Antike

Die Blutegel-Therapie gehört zu den ältesten Heilmethoden. Schon in der Antike setzte man die Tiere ein. "Es gibt tatsächlich auch aus dem Alten Griechenland Reporte, dass Egel dort eingesetzt worden sind. Und einige Leute glauben, dass diese Schlange, die sich um den Äskulap-Stab windet [der Stab, der oft Arztpraxen und Apotheken ziert], in Wirklichkeit gar keine Schlange ist, sondern tatsächlich einen Blutegel darstellen soll", sagt Jan-Peter Hildebrandt, Biologe an der Universität Greifswald

Von Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Blutegel sogar völlig übertrieben eingesetzt. Nahezu jedes Leiden sollten die Blutsauger heilen, so die Vorstellung damals. Zum Teil wurden pro Behandlung 20 bis 30 Tiere dafür angesetzt, sodass die Menschen verbluteten. Der Handel mit Blutegeln war zu jener Zeit ein einträgliches Geschäft. Vor allem in ländlichen Regionen lebten viele Familien davon, Egel zu sammeln und an Krankenhäuser zu verkaufen.

Blutegel stehen unter Naturschutz

Heute gibt es Egel auf allen fünf Kontinenten in etwa 300 verschiedenen Arten. Ein paar von ihnen leben im Meer, aber die meisten der Tiere, die keine Ohren haben und kaum sehen können und ihrerseits von Fischottern und Wasservögeln gefressen werden, bevorzugen Süßwasser – Teiche, Tümpel, Moore, kleine Seen. Bei uns ist Hirudo, so sein wissenschaftlicher Name, wegen des knappen Lebensraums fast ausgestorben. Nach dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora - kurz CITES) steht der Blutegel unter Naturschutz, das heißt, er darf nicht ohne eine ausdrückliche Genehmigung des Bundesamtes für Naturschutz gesammelt werden.

Blutegel werden für Therapie gezüchtet

Die für therapeutische Zwecke eingesetzten Blutegel stammen von speziellen Züchtern. Wenn die Tiere Glück haben, dürfen sie nach der Behandlung auch wieder dorthin zurück - in ein sogenanntes "Rentnerbecken", in dem sie ihren nur noch mehrere Monate währenden Lebensabend verbringen dürfen. Die Therapie setzt den Blutsaugern offenbar sehr zu. In freier Wildbahn können die Parasiten bis zu 30 Jahre alt werden

Aber: Blutegel zur Therapie nur einmal verwenden!

Blutegel dürfen nur einmal für eine Therapie eingesetzt werden. Würde der Blutegel von Patient zu Patient wandern, könnten mögliche Krankheitserreger übertragen werden.


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