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Telekolleg Deutsch - Folge 7 Drama: Das zeitgenössische Theater

"Alle Macht dem Regisseur" war das Motto der 70er und 80er Jahre. Während der Dramentext am Theater lange als unantastbar galt, wurde er fortan nur noch als Vorlage, als Leitfaden verstanden. Regisseure setzten sich über Konventionen hinweg, schrieben um und provozierten mit eigenwilligen Inszenierungen.

Published at: 7-9-2016 | Archiv

Theaterprobe  - "Der Park" von Botho Strauß | Bild: picture-alliance/dpa

1. Theaterexperimente seit den 70er Jahren

Hansgünther Heyme, geboren 1935 in Bad Mergentheim und Wolff Vostell (1932-1998) provozierten mit ihrer Hamlet-Inszenierung 1983 in Stuttgart einen Skandal. Sie hatten ausdrücklich eine eigene Deutung von Shakespeares meistgespieltem Stück inszeniert. Zerrieben wird der tragische Protagonist hier durch die Medienflut, "Medien-Hamlet" wurde von da an die Aufsehen erregende Inszenierung genannt.

Auch das "Enfant terrible" der deutschsprachigen Theaterszene, Christoph Schlingensief (1960-2010), erprobte seine provokanten Künste an diesem berühmten Stück. Im Frühjahr 2001 führte er den Hamlet erstmals in Zürich auf. Das Skandalon bestand hier darin, dass er das Stück mit aussteigewilligen Neonazis besetzte. Aus dem Hamlet wurde eine Politshow mit Rechtsradikalen.

Frank Castorf, der berüchtigte "Stückezertrümmerer", schrieb Friedrich Hebbels Trauerspiel "Die Nibelungen" komplett um. So mancher Zuschauer konnte da nicht mehr mit: Protestierend verließen die Liebhaber der traditionellen Bühnen das Theater.

"Wenn es nicht an irgendeinem Platz der Gesellschaft diese Traum- und Experimentiermöglichkeit mit Alternativen gibt, dann führt das zur Versteinerung." So rechtfertigt der Regisseur Claus Peymann (geb 1937) die skandalträchtigen Theaterexperimente. Im Vergleich zu Castorf und Schlingensief ist Peymann eher zurückhaltend.

Der große Einfluss, den die Regisseure plötzlich auf die Stücke ausübten, war eine Folge der 68er, wie der Germanist Dr. Thomas Irmer (geb. 1962) erklärt. "Die emanzipatorische Bewegung hat die Regisseure so stark gemacht, das Theater sollte aus seiner bürgerlichen Rolle heraus. Und der Regisseur allein war in der Position, es da rauszuführen, es zu politisieren und zu aktualisieren. Die Schauspieler konnten das nicht in die Hand nehmen und die Klassiker, die gespielt wurden, waren tot."

Man experimentierte indes nicht nur mit Klassikern, auch mit zeitgenössischen Autoren wagten die Regisseure Neues. Fruchtbar gestaltete sich die Zusammenarbeit von Regisseur Peter Stein (geb. 1937) und dem Dramatiker Botho Strauß an der Berliner Schaubühne. Durch Stein, etwa seine Inszenierung von Strauß "Der Park" wurde der Dichter zu einem der wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker. "Weil das Bedürfnis nach Aktualisierung des Theaters so groß war, gab es auch einen großen Bedarf an zeitgenössischen Autoren. Daraus ist in den 70er Jahren eine ganze Autorengeneration hervorgegangen", erklärt Thomas Irmer: "Rainer Werner Fassbinder, Peter Hacks, Botho Strauß, Peter Handke, Franz Xaver Kroetz, Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard und Peter Handke zum Beispiel."

2. Zwei kritische zeitgenössische Autor/innnen

Zwei weitere Autor/innen haben bereits Ende der 60er Jahre mit dem Schreiben angefangen und sich, bis heute, durchgesetzt: Die Österreicherin Elfriede Jelinek (geb. 1946) und der gebürtige Münchner Franz-Xaver Kroetz (geb. 1946). Etwas untypisch für einen echten Bayern bevorzugte Kroetz, zumindest eine Zeitlang, eine Mischung aus Schampus und Creme de Cassis anstelle des eigentlich standesgemäßen Weißbiers: in Kir Royal, einer erfolgreichen Fernsehserie von Regisseur Helmut Dietl. (geb. 1944).

Mit Heimarbeit und Hartnäckig schaffte Kroetz 1969 seinen Durchbruch: Das Stück, das einen frustrierten Heimarbeiter vorführt, der das uneheliche Baby seiner Frau umbringt, provozierte Stinkbomben in den Münchner Kammerspielen und lautstarke Proteste der konservativen Katholiken auf der Straße. Mit seinen darauf folgenden Stücken Wildwechsel (1971) und Stallerhof (1972) knüpfte der damalige DKPler (Deutsche Kommunistische Partei) an die Tradition des sozialkritischen Volksstücks nach dem Vorbild des österreichisch-ungarischen Dramatikers Ödön von Horvarth an.

Das Neue an diesen und an den Stücken des Dramatikers Martin Sperr (1944-2002) war, dass sie so drastisch den "Zusammenhang zwischen Sexualität und Arbeitswelt" thematisierten. "Bislang tendierte das Volksstück zum Folkloristischen und zur Harmonisierung aller Konflikte. Damit war es in den 70er Jahren mit Sperr und Kroetz vorbei", erläutert Dr. Thomas Irmer. Gezielt setzte Kroetz den bayrischen Dialekt ein, um damit "den autoritären Provinzcharakter" (zitiert nach Beutin S.563) zu kennzeichnen. Er siedelte seine Stücke meist im Arbeiter- und Bauernmilieu an. Inzwischen hat Kroetz allerdings das Schreiben von weiteren Theaterstücken aufgegeben und sich mehr den Kurzgeschichten gewidmet. (siehe Interview Abendzeitung).

"Uns hat an diesem Volkstheater fasziniert, dass man auf der Bühne richtig arbeiten musste. Da entstand etwas ganz Neues, dass man den Menschen nicht nur als quatschenden Menschen, sondern auch mal als arbeitenden spielt", sagte die große Schauspielerin Ruth Drexel (1930-2009).

Eine noch bissigere, radikal feministische Sozialkritik prägt die Stücke von Elfriede Jelinek. Krankheit oder Moderne Frauen (1987) führt eine Frau vor, die bei der Geburt ihres sechsten Kindes stirbt. Der Ehemann ist zwar dabei, interessiert sich aber ausschließlich für das Kind. Jelineks Protagonistinnen stehen immer wieder gegen die Männerwelt auf, sie werden geradezu blutsaugende Vampire. Aber damit entzünden sie den Machtwillen der Männer nur noch mehr: Die Männer schlagen zurück. Die zur Passivität erzogenen Frauen gehen aus den brutalen Geschlechterkämpfen immer wieder als Verliererinnen hervor.

3. Autorenorientiertes Theater

Ein Blick auf das Theaterverständnis der Folkwang-Universität Essen zeigt, dass nicht überall die Regisseure das erste und letzte Wort haben: Die Autoren haben hier ihre Autorität zurückgewonnen. "Hinter dem Text, ob klassisch oder modern, soll wieder die Wirklichkeit herausgekehrt werden", erklärt Hanns-Dietrich Schmidt, Professor für Regie, Dramaturgie, Ensemble an der Hochschule.

Die Regisseure halten sich mit ihren Einfällen zurück: Das Bühnenbild ist karg, man baut auf die Kraft der Schauspieler. Die absolvieren an dieser renommierten Hochschule eine äußerst vielseitige Ausbildung: Interdisziplinarität lautet das Programm, auf dem neben dem Schauspielunterricht u.a. Pantomime, Gesang, allgemeine Musikerziehung, Sprechübungen, Tanz und Regie stehen. "Wer später Regie machen will, soll sich in den Schauspieler reindenken können", erklärt eine Folkwang-Studentin. Im Juli 2012 wurde die Universität der Künste neben sieben weiteren Hochschulen vom Stifterverband mit dem Zertifikat „Vielfalt gestalten“ ausgezeichnet. Es bescheinigt, dass die Hochschule eine individuelle Vielfalts-Strategie entwickelt hat.

Insbesondere seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre haben die Theaterautor/innen wieder mehr zu sagen: Gefeierte Autor/innen wie Rainald Goetz, John von Düffel, Roland Schimmelpfennig, Theresia Walser und Albert Ostermaier bestimmten wieder das Geschehen auf der Bühne.

Quellen:

  • Wolfgang Beutin, Klaus Elert, Wolfgang Emmerich (Hrsg.) Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart/Weimar 1994

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