Telekolleg - Psychologie


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Entwicklungspsychologie Entwicklungsphasen

Stand: 31.10.2016 | Archiv

Strichmännchen jeden Alters | Bild: colourbox.com

Neugeborene können nicht nur hören, sondern sind auch bereits wenige Stunden nach der Geburt in der Lage, zu schmecken und angenehme von unangenehmen Gerüchen zu unterscheiden. Anders sieht es mit der Fähigkeit zur visuellen Wahrnehmung aus. Insbesondere die Sehschärfe muss sich nach der Geburt noch entwickeln. Erst im Alter von etwa einem Jahr erreichen die Kinder die Sehschärfe eines Erwachsenen.

Vorsicht Klippe!

Ein Kleinkind krabbelt über einen karierten Glasboden | Bild: BR

Ob ein Baby über die Fähigkeit zur Tiefenwahrnehmung verfügt, lässt sich anhand des "Visual Cliff"-Versuchs überprüfen. Bei diesem Experiment sitzt das Baby auf einer durchgängigen Glasplatte, unter der sich eine visuell dargestellte Klippe befindet. Die Mutter versucht nun, das Baby, das auf der flachen Seite der Klippe sitzt, über die Klippe und die tiefe Seite hinweg zu sich zu locken.

Nimmt es die Klippe, d.h. den Tiefeneindruck, wahr, dann krabbelt es möglicherweise nicht weiter, obwohl der Tastsinn eine stabile Unterlage signalisiert. In diesem Fall kann man davon ausgehen, dass das Baby zum Tiefensehen befähigt ist und deshalb an der visuellen Klippe halt macht.

Auf dem Weg zur eigenen Persönlichkeit

Machen wir einen Sprung von der frühkindlichen Entwicklung ins Jugendalter. Diese "Sturm-und-Drang-Zeit" von Jugendlichen (Altersbereich: 12-17 Jahre) und Heranwachsenden (18-21 Jahre) ist besonders durch die Suche nach der eigenen Identität gekennzeichnet. Angetrieben wird diese Suche durch kognitive Veränderungen der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme.

Im Gegensatz zu Kindern sind die Jugendlichen mehr und mehr in der Lage, die Perspektive einer dritten, außenstehenden Person einzunehmen. Darüber hinaus können sie nun auch die Perspektiven mehrerer Personen koordinieren und ihr eigenes Urteilen und Handeln darauf aufbauen. Hinzu kommt noch die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion. Alles zusammen bildet eine "brodelnde Ursuppe", aus der sich eine individuelle neue Persönlichkeit entwickelt.

Moralische Entwicklung

Die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme ist nicht nur für das Finden der eigenen Identität von besonderer Bedeutung, sondern auch für die Entwicklung des moralischen Denkens und Urteilens. Nach Lawrence Kohlberg lassen sich sechs Stufen der moralischen Entwicklung unterscheiden, die in drei Stadien zusammengefasst werden können.

Drei Stadien der moralischen Entwicklung

1. Das präkonventionelle Stadium
Das präkonventionelle Stadium entspricht dem moralischen Denken von Kindern bis etwa zum 9. Lebensjahr. Gekennzeichnet ist es durch die Sicherung der eigenen Interessen. Die Interessen anderer werden nur berücksichtigt, wenn sie direkt erkennbar sind. Soziale und gesellschaftliche Normen spielen noch keine Rolle.

2. Das konventionelle Stadium
Im konventionellen Stadium dienen soziale und gesellschaftliche Normen Jugendlichen und Erwachsenen als Orientierungshilfe. Voraussetzung für das Erreichen dieses Stadiums der Moralentwicklung ist die Fähigkeit zu einer erweiterten Perspektivenübernahme. Ein kritisches Hinterfragen bestehender Regeln und Gesetzmäßigkeiten findet jedoch noch nicht statt.

3. Das postkonventionelle Stadium
Das postkonventionelle Stadium wird frühestens und auch nicht von allen im Erwachsenenalter erreicht. Dabei kommt es zur rationalen Überprüfung allgemein vorgeschriebener Regeln unter Abwägung der Interessen des Einzelnen gegenüber denen der Allgemeinheit. Es besteht Einsicht in die Veränderbarkeit gesellschaftlicher Normen. Ethische Grundanschauungen finden als oberste Gebote Berücksichtigung.

Kohlbergs Vorstellungen zur moralischen Entwicklung mögen zwar eine gewisse Plausibilität haben, sind aber nicht unumstritten. Häufig wird an ihnen die stark westliche Ausprägung kritisiert sowie die einseitige Betrachtung moralischen Urteilens, ohne auch das moralische Handeln zu berücksichtigen. Völlig unhaltbar ist auch die Annahme Kohlbergs, dass Frauen nur niedrigere Stufen der Moralentwicklung erreichen als Männer.

Auch im Alter geistig fit

Im Alter kommt es in der Regel zu einem Nachlassen der Seh- und Hörfähigkeit. Beklagt werden häufig auch ein schlechteres Gedächtnis und eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit. Nach der "Fähigkeitshypothese" werden geringere Gedächtnisleistungen durch geistige Defizite erklärt, die sich mit dem Alter entwickeln. Die "Verarbeitungshypothese" dagegen ist für uns alle weit positiver, geht sie doch von einer sich im Alter entwickelnden, ineffektiven Art der Informationsverarbeitung aus.

Welche der beiden Hypothesen hat nun Recht? Die großen Erfolge von Gedächtnistrainings und anderen Trainingsmaßnahmen kognitiver Fähigkeiten sprechen für die "Verarbeitungshypothese". Wer seinen Geist immer wieder fordert, kann so bis ins hohe Alter fit bleiben - zumindest solange keine gravierenden organischen Schädigungen des Gehirns vorliegen. Beherzigen Sie also den Wahlspruch: "Selber denken macht klug!".


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