Vögel in der Großstadt Die Sprache der Singvögel
Rotkehlchen werden zu Nachtschwärmern, Kohlmeisen zu Hochtönern und Nachtigallen zu Schreihälsen. Um einen Partner zu finden, versuchen Singvögel gegen den vom Menschen erzeugten Lärm anzukämpfen.

Damit sie im Großstadttrubel erhört werden, lassen sich Amseln und Stare zunehmend von den Klängen ihrer menschlichen Mitbewohner inspirieren und bezirzen ihre Partnerin inbrünstig mit Wecker-Alarm und Handyklingeltönen. In Berlin etwa trällern Singvögel bis zu 14 Dezibel lauter als ihre Artgenossen in den umliegenden Wäldern. Henrik Brumm vom Max-Planck-Institut Seewiesen hat schon Werte von 90 Dezibel gemessen: "Das entspricht ungefähr dem Lärm, den eine Kreissäge in einem Meter Entfernung produziert."
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Große Belastung für kleine Vogelkörper
Die Nachtigallen steigern die Lautstärke ihres Gesangs proportional zum Pegel der Hintergrundgeräusche. Das kostet die zierlichen Sänger viel Kraft - und auch die Nachtvorstellung der Rotkehlchen ist nicht ohne: Die Tiere schlafen weniger und haben einen gesteigerten Stoffwechsel, allein die körperliche Belastung ist enorm. Ornithologen fürchten jedoch viel schlimmere Folgen.
Von Schweigern und Schwätzern
Von Menschen kennt man das: Es gibt welche, die klopfen wilde Sprüche, doch wenn es darauf ankommt, bleiben sie friedlich. Und es gibt diejenigen, die still vor sich hinkochen und plötzlich laut werden. Diese Verhaltensweise haben Forscher der University of Washington in Seattle zum ersten Mal auch bei Tieren festgestellt: Die Männchen der nordamerikanischen Singammer variieren vom aggressiven Schweiger bis hin zum laut drohenden Schwätzer. In einem Experiment spielten die Wissenschaftler Singammer-Männchen den eigenen Gesang mittels Lautsprecher vor und beobachteten, wie die Tiere darauf reagierten. Der Gesang eines anderen Männchens löste bei den Revierbesitzern unterschiedliche Drohreaktionen aus: Einige machten dem Eindringling sofort sehr deutlich klar, dass er zu verschwinden habe. Andere blieben zunächst ruhig, griffen dann fast ohne Vorwarnung an. Umgekehrt gab es auch Vögel, die zwar lauthals drohten, den vermeintlichen Eindringling aber nicht angriffen. Die Forscher folgerten daraus, dass individuelle Unterschiede in der Persönlichkeit eines Tieres mit verschiedenen Kommunikationsweisen verknüpft sind. Bei gleichem Aggressionspotenzial sind einige Vogelmännchen kommunikativer als andere - so wie auch wir Menschen.
Vom Unterschied zwischen Stadt- und Landvogel
Wie Straßenlaternen die Vögel beeinflussen
Wenn Sie morgens früher als gewohnt vom Geträller eines Buchfinks geweckt werden - nicht wundern! Den armen Vogel hat zu viel Licht aus dem Rhythmus gebracht, wie Forscher des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell am Bodensee herausgefunden haben. Im Schnitt wachen Stadtvögel im Schnitt 30 Minuten früher auf und gehen rund neun Minuten später zu Bett als ihre Artgenossen auf dem Land. Das allerdings bringt ihren biologischen Rhythmus gehörig durcheinander. So kann es passieren, dass ein Rotkehlchen mitten in der Nacht die schönsten Arien trällert. Oder eine Amsel morgens Ihren Handy-Weckruf piepst. Während Waldamseln ihren Tag mit dem Sonnenaufgang und -untergang starten und beenden, können Stadtvögel schon früher auf Futtersuche gehen. Unklar ist noch, ob auch eine genetische Veränderung stattgefunden hat.
Stadtvögel sind besonders vorsichtig
Stadtvögel sind stärker auf der Hut als ihre Artgenossen im Wald. Das haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell am Bodensee herausgefunden. Sie warten deutlich länger ab als Waldvögel, bis sie sich neuen Gegenständen nähern. Auch lassen sie sich länger vom Fressen abhalten, wenn fremde Gegenstände vor ihrer Futterstätte liegen. Die Forscher konfrontierten mehrere Stadt- und Landvögel einige Monate lang immer wieder mit unbekannten Gegenständen. Die Tiere wurden dabei von Hand aufgezogen, damit die Forscher sicher sein konnten, dass es sich bei den Unterschieden zwischen den beiden Populationen um angeborene und nicht um erlernte Verhaltensweisen handelt. Die genaue Ursache für das Verhalten ist noch nicht klar.
Neue Vogel-Arten könnten entstehen
Zwischen Asphaltpisten und Bahntrassen beobachten die Vogelforscher gerade eine Evolution im Zeitraffer. Die Anpassungsstrategien der Vögel sichern deren Überleben jedoch nur kurzfristig: Die Tiere in Stadt und Land werden sich dadurch weiter auseinanderentwickeln. Die Experten gehen sogar davon aus, dass langfristig neue Arten entstehen, die sich untereinander nicht mehr verstehen werden.
Nicht alle Vögel können sich anpassen
Dass die Tiere gegen tieffrequentes Gemurmel mit hohen Tönen ankämpfen, ist laut Martin Nipkow, Vogelschutzexperte beim Naturschutzbund Deutschland, kein neues Phänomen: "Man kennt das von Vögeln an reißenden Flüssen." Erstaunlich sei jedoch, dass sich viele Großstadt-Tiere innerhalb weniger Generationen an den Lärmpegel angepasst haben. Doch es gibt auch weniger anpassungsfähige Arten: Die Goldamsel, der Kuckuck, der Drosselrohrsänger und der Hausspatz können nicht höher singen. Wenn sie nicht zu lärmenden Frühaufstehern werden, droht ihnen das Aus.
Warum singen Vögel?
Aus den Ohren, aus dem Sinn
Die australischen Zebrafinken haben eine bequemere Lösung gefunden: Normalerweise sind sie ihrem Partner ein Leben lang treu. Im Trubel der Großstadt hören sie jedoch die vertrauten Laute ihrer angestammten Männchen nicht mehr – und suchen sich einfach neue Partner.
Vogelgesang ist keine "Männerdomäne"
Bisher schien klar zu sein, dass vor allem Männchen singen, um eine Partnerin zu finden und sich gegen Konkurrenz abzugrenzen. Doch Karan Odem und ihre Mitarbeiter von der Universität von Maryland in Baltimore haben in der Fachliteratur nach Hinweisen auf weiblichen Vogelgesang bei weltweit 1.000 Arten gefahndet. Bei immerhin 323 Spezies aus 34 von 44 untersuchten Singvogelfamilien fanden sie verwertbare Hinweise. Experten hatten bei rund 230 Arten beschrieben, dass die Weibchen regelmäßig sangen. Dies entspricht einem Anteil von über 70 Prozent. Daraus schließen die Biologen, dass der weibliche Gesang bei den Vögeln nicht nur eine Ausnahme ist und wahrscheinlich von deren frühen Vorfahren abstammt.
Alarmruf oder lieber nicht?
Bei den Vögeln ist es wie bei den Menschen: Ist der Nachwuchs zu laut, wird er zur Ordnung gerufen. Manche Sperlingsvögel unterscheiden dabei aber genau und schlagen nur dann Alarm, wenn sich ein Fressfeind in der Nähe befindet. Ein solches Verhalten war bislang nur von Primaten bekannt. Tonya Haff und Robert Magrath von der australischen National-Universität in Canberra hatten mit Vögeln der Gattung Sericornis experimentiert, die zu den Südseegrasmücken zählt. Beim Füttern wurde entweder eine ausgestopfte Dickschnabel-Würgerkrähe, der bedeutsamste Fressfeind von Sericornis, zwei Meter entfernt vom Nest aufgestellt - oder aber ein harmloser Papagei. Lärmte der Nachwuchs, wenn sich der Papagei neben dem Nest befand, blieben die Eltern ruhig. Bei der Krähe bewahrten sie nicht so lange Ruhe, sondern riefen die krakeelenden Küken zur Ordnung - wohl wissend, dass sie damit ein Risiko eingingen.
Die Grammatik des Gezwitschers
Japanische Kohlmeisen können einzelne Töne zu Wörtern zusammensetzen. Ob sie die Wörter auch zu neuen Bedeutungen kombinieren können, war bislang unklar. Forscher um den Japaner Toshitaka Suzuki sind dem nachgegangen und fanden heraus, dass der Warnruf vor Feinden die Form ABC hat. Lockrufe sind einfacher, sie haben die Form D. Die Tiere kombinieren diese Lautfolgen manchmal zu ABC-D, was dann so viel bedeutet wie: "Achtung ein Feind - komm her!" Im Experiment zeigten die Tiere die passsende Reaktion, suchten nach Feinden und flogen zum warnenden Artgenossen. Einer Kombination von D-ABC schenkten sie dagegen kaum Beachtung. Das Experiment zeigt: Die Singvögel verstehen auch Kombinationen von Rufen - aber nur, sofern sie in der richtigen Reihenfolge erfolgen und keine Grammatikfehler wie in der Lautfolge D-ABC enthalten.
Auch Grashüpfer übertönen aus Liebe den Lärm
Wie Singvögel in der Stadt stimmen auch Grashüpfer an der Autobahn ein anderes Liebeslied an als ihre Artgenossen aus Wald und Flur. Die Biologin Ulrike Lampe und ihr Team von der Universität Bielefeld haben herausgefunden, dass männliche Nachtigall-Grashüpfer bei ständigem Straßenlärm höher und schneller zirpen. Die Forscherin nimmt an, dass sich der Balzgesang in Autobahnnähe zu höheren Frequenzen verschoben hat, weil sich das Werben der Grashüpfer-Männchen dadurch deutlicher vom Hintergrundlärm des Straßenverkehrs abhebt. Nach Ansicht der Wissenschaftler könnte zunehmender Verkehrslärm langfristig Folgen für das Paarungsverhalten der Grashüpfer haben.