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Medizin-Nobelpreis 2014 Drei Hirnforscher ausgezeichnet

Wo waren Sie, als Sie erfahren haben, dass Sie den Nobelpreis bekommen? Das müssen Nobelpreisträger immer wieder beantworten. Edvard Moser jedenfalls ist Montagmorgen auf dem Münchner Flughafen mit der Nachricht überrascht worden.

Stand: 07.10.2014 | Archiv

John O'Keefe, May-Britt und Edvard Moser | Bild: picture-alliance/dpa

Der Medizin-Nobelpreisträger Edvard Moser ist nach Angaben eines wissenschaftlichen Kollegen am Flughafen München von der Nachricht überrascht worden, dass er einer der diesjährigen Medizin-Nobelpreisträger ist. Er wusste nicht einmal, dass es das Datum ist, an dem Medizin-Nobelpreise bekannt gegeben werden.

"Ich habe mit ihm telefoniert, als er an der Gepäckausgabe stand. Er wusste noch gar nichts. Die Lufthansa hat ihn mit einem Blumenstrauß abgeholt und er fragte mich: Tobias, what is this? I don't understand (etwa: Tobias, was ist los? Ich verstehe das nicht.). Dann hat er auf sein Handy geschaut und gesehen, dass der Vorsitzende des Nobelpreis-Komitees ihn angerufen hat. Da dämmerte es ihm. Aber er wusste es natürlich trotzdem noch nicht sicher."

Neurobiologe Prof. Tobias Bonhoeffer vom Max-Planck-Institut für Neurobiolgie, Martinsried

Tobias Bonhoeffer ist Direktor der Abteilung Synapsen, Schaltkreise, Plastizität am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried, wo Moser am Montag eigentlich einen dreiwöchigen Forschungsaufenthalt antreten wollte, nun aber abgebrochen hat. Der norwegische Forscher erhält zusammen mit seiner Frau May-Britt Moser und John O'Keefe (USA/Großbritannien) den Medizin-Nobelpreis, wie das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mitteilte.

Raumorientierung und Hirnforschung

Nobelpreisträger Edvard Moser Montagmittag im Max-Planck-Institut in Martinsried bei München.

Wie orientieren wir uns im Raum? Wie kommen wir von einem Ort zum anderen? Und vor allem: Wie finden wir denselben Weg ein zweites Mal? Diese Frage hat schon Immanuel Kant vor 200 Jahren interessiert. Drei Hirnforscher haben herausgefunden, wie wir das tun - dafür wurden sie jetzt mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet.

Der Preis geht zur Hälfte an den US-Amerikaner John O'Keefe, und je zu einem Viertel an die Norweger May-Britt und Edvard Moser, die auch miteinander verheiratet sind.

Ortsinformationen in Gehirnzellen

Geboren wurde John O'Keefe 1939 in New York.

1971 entdeckte der Neurowissenschaftler John O'Keefe die erste Komponente des Orientierungssytems im Gehirn. Er ließ Ratten in abgeschlossenen Räumen frei herumlaufen. Immer, wenn die Ratten an einem bestimmten Ort im Raum waren, waren ganz spezielle Hirnzellen aktiv, die im sogenannten Hippocampus liegen. War die Ratte an einem anderen Ort, feuerten andere Zellen aus derselben Hirnregion.

Seine Schlussfolgerung: Diese Zellen speichern Ortsinformationen, sind "Positionierungszellen" (place cells), mit denen die Ratten eine Art Landkarte des Raums aufbauen können, denn dabei werden nicht nur visuelle Eindrücke gespeichert. So können die Ratten in ihrem Hippocampus sogar mehrere "Landkarten" - also die Erinnerung an unterschiedliche Orte - darstellen.

Inneres GPS

Nobelpreisträgerin May-Britt Moser, kurz nachdem sie von ihrer Auszeichnung erfahren hat.

Erst 34 Jahre später, im Jahr 2005, kam das Ehepaar May-Britt und Edvard Moser der zweiten Komponente unseres Orientierungssystems auf die Schliche. Sie konnten in einem benachbarten Hirnteil, dem entorhinalen Kortex, noch weitere Zellen ausmachen, die wir für die räumliche Orientierung brauchen: die "Gitter-Zellen" (grid-cells). Sie bilden ein Koordinaten-Netz des Raums ab, das sich aus gleichseitigen Sechsecken zusammensetzt. Darüber hinaus speichern die Zellen auch, in welche Richtung der Kopf der Ratten gerichtet ist und wo die Wände des Raums sind. Und darüber hinaus kommunizieren die grid-cells auch mit den place-cells, die John O'Keefe 1971 entdeckt hat, die zwei Systeme werden im Gehirn quasi übereinandergelegt.

"Ich bin immer noch schockiert. Das ist so großartig."

May-Britt Moser

Auf diese Weise speichern Ratten, aber auch Menschen und andere Säugetiere, komplexe Raum- und Richtungsinformationen in einzelnen Zellen und Zellverbünden ab und bilden so eine Art "inneres GPS", mit dem wir uns orientieren. Bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer sind der Hippocampus und der entorhinale Kortex schon früh betroffen, möglicherweise ein Grund, warum sich Patienten häufig verirren und ihre Umgebung nicht wieder erkennen.

Edvard I. Moser wurde 1962 in Alesund (Norwegen) geboren und hat mit seiner späteren Frau, May-Britt Moser, schon studiert und promoviert.

Das Ehepaar Moser war übrigens im Sommer 1995 im Labor von John O'Keefe in London tätig, er war einer ihrer Mentoren und kennt sie, seitdem sie Studenten sind. May-Britt Moser und ihr Mann sind seit über dreißig Jahren ein Paar, waren sogar auf derselben Schule. Sie sind die ersten Medizin-Nobelpreisträger Norwegens.

Medizin-Nobelpreisträger von einst

Mit dem ersten Nobelpreis für Medizin wurde 1901 ein Deutscher ausgezeichnet: Emil von Behring. Er bekam ihn für seine Erfolge in der Serumtherapie, die im Kampf gegen die Diphtherie entscheidende Fortschritte brachte. Und die erste deutsche Frau, die einen Nobelpreis erhielt, bekam ihn ebenfalls im Fach Medizin.
Der bislang letzte Deutsche, der im Bereich Medizin geehrt wurde, ist der Thomas Südhof im Jahr 2013: Der in Deutschland geborene und aufgewachsene Mediziner, der auch die amerikanische Staatsbürgerschaft hat, hat mit zwei US-Kollegen das Rätsel gelöst, wie Zellen ihr Transportsystem organisieren.

Chronik: Medizin-Preisträger der vergangenen Jahre

  • 2013: James Rothman (USA), Randy Schekman (USA) und Thomas Südhof (Deutschland u. USA) für ihre Entdeckungen zu Transportprozessen in Zellen.
  • 2012: Der Japaner Shinya Yamanaka und der Brite John Gurdon für ihre Entdeckung, wie sich reife, spezialisierte Körperzellen in unreife, pluripotente Zellen umprogrammieren lassen.
  • 2011: Der US-Forscher Bruce A. Beutler, der Franzose Jules A. Hoffmann und der Kanadier Ralph M. Steinman haben mit ihren Forschungen Schlüsselprinzipien der körpereigenen Immunabwehr aufgeklärt.
  • 2010: Der Brite Robert Edwards brachte die erste künstliche Befruchtung einer menschlichen Eizelle im Reagenzglas zustande - und schuf damit das erste "Retortenbaby".
  • 2009: Die US-Amerikaner Elizabeth H. Blackburn, Carol W. Greider und Jack W. Szostak haben herausgefunden, was Zellen altern lässt und dabei das "Jungbrunnen"-Enzym entdeckt.
  • 2008: Der Heidelberger Tumorforscher Harald zur Hausen für die Entdeckung der Papilloma-Viren, die Gebärmutterhalskrebs auslösen, sowie die Franzosen Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier für die Entdeckung des Aidserregers HIV.
  • 2007: Die US-Forscher Mario R. Capecchi und Oliver Smithies sowie der Brite Martin J. Evans für ihre Technik, bei Versuchsmäusen gezielt Gene auszuschalten
  • 2006: Die US-Forscher Andrew Z. Fire und Craig C. Mello für eine
  • Technik, mit der sich Gene gezielt stumm schalten lassen.
  • 2005: Barry J. Marshall und J. Robin Warren (beide Australien) für die Entdeckung des Magenkeims Heliobacter pylori und dessen Rolle bei der Entstehung von Magengeschwüren.
  • 2004: Richard Axel und Linda Buck (beide USA) für die detailgenaue Enträtselung des Geruchssinns.
  • 2003: Paul C. Lauterbur (USA) und Sir Peter Mansfield (GB) für ihre Beiträge zur Anwendung der Kernspintomographie in der Medizin.
  • 2002: Sydney Brenner (GB), H. Robert Horovitz (USA) und John E. Sulston (GB) für die Erforschung des programmierten Zelltods als Grundlage zum Verständnis von Krebs, Aids und anderen Krankheiten.
  • 2001: Leland H. Hartwell (USA), Sir Paul M. Nurse (GB) und R. Timothy Hunt (GB) für Erkenntnisse über die Zellteilung, die neue Wege in der Krebstherapie ermöglichen.

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