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Gülle in Fülle Lösungen für den umstrittenen Dünger

Seit der neuen Düngeverordnung von 2020 müssen Landwirte genau kalkulieren, wie viel Gülle sie auf Wiesen und Feldern aufbringen, um Überdüngung und Nitratbelastung von Gewässern zu reduzieren. Doch wohin mit all der Gülle? Ein paar Lösungsansätze im Überblick.

Von: Renate Ell und Heike Westram

Stand: 29.06.2021

Traktor verspritzt Gülle auf einem Feld | Bild: picture-alliance/dpa

Auf dem klassischen Bauernhof von einst gibt es einen ausgewogenen Nährstoffkreislauf zwischen den Tieren im Stall und den Äckern oder Wiesen, auf denen das Futter für die Tiere erzeugt wurde - neben Getreide oder anderen Lebensmitteln: Gülle - die nährstoffreiche Mischung aus Kot und Urin der Stalltiere - wird als Dünger auf die Felder ausgebracht und versorgt Futter- und andere angebaute Pflanzen mit Stickstoff, Phosphat und Mineralien. Eigentlich eine tolle Sache, solange der Dünger dort entsteht, wo er auch gebraucht wird - und nur in der Menge, in der er auch gebraucht wird.

Kuhfladen im Gleichgewicht

Dabei geht es um den sogenannten Tierbesatz: Die Zahl der Tiere im Verhältnis zur landwirtschaftlicher Fläche. In Deutschland liegt der Tierbesatz bei durchschnittlich einer Großvieheinheit pro Hektar. Das entspricht einer Kuh oder acht Mastschweinen pro Hektar und ist nach Ansicht von Prof. Kurt-Jürgen Hülsbergen vom Lehrstuhl Ökologischer Landbau und Pflanzenbausysteme der TU München eigentlich "ideal". Doch die Verteilung ist längst nicht so ideal.

Der Nährstoffkreislauf ist vielerorts aus dem Ruder gelaufen. Zum einen werden die Tiere oft nicht dort gehalten, wo auch ihr Futter erzeugt wird und damit ihre Ausscheidungen willkommen wären, sondern in Großstallungen in regelrechten Ballungsgebieten wie bei der Schweinemast beispielsweise. Wird dort die anfallende Gülle auf den landwirtschaftlichen Flächen ausgebracht, reichern sich zu viel Stickstoff und Phosphor im Boden an - er wird überdüngt. Der Überschuss an Stickstoff wird aus den Böden wieder ausgeschwemmt und landet als Nitrat in naheliegenden Gewässern und im Grundwasser.

Oder er "verdunstet": Entweder in Form von Lachgas, einem Treibhausgas, das über lange Zeit das Klima anheizt. Oder in Form von Ammoniak, das sich andernorts ablagert und dort natürliche Ökosysteme ungewollt düngt. Auch Feinstaub kann aus Ammoniak entstehen.

Zum anderen importiert deutsche Landwirtschaft zusätzlichen Stickstoff: in Form von Tierfutter aus Übersee wie Kraftfutter aus Soja, angebaut etwa im Amazonasgebiet. Zusätzlich sind mancherorts durch jahrelange Überdüngung die Böden bereits stark mit Stickstoff angereichert. Die Folge: Die Grenzwerte für die Belastung der Gewässer mit Nitrat werden seit Jahren immer wieder und teilweise stark überschritten. Seit Jahren ermahnt die Europäische Union Deutschland, 2018 wurde Deutschland sogar vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt.

Bodennahe Gülle-Verteilung

Um Strafzahlungen zu vermeiden, gibt es seit 2020 eine Novelle der Düngeverordnung. Sie zwingt die Landwirte, jetzt genau zu berechnen und zu dokumentieren, wieviel Dünger sie auf landwirtschaftlichen Flächen ausbringen. Auch der Stickstoffanteil, der sich in Form von Ammoniak dabei buchstäblich in Luft auflöst, muss mit einbezogen werden, damit er nicht natürliche Ökosysteme überdüngt. Statt weiterhin die Gülle in weitem Bogen auf die Wiesen und Felder zu sprühen, kommen zum Teil neue Technologien zum Einsatz, bei denen die Gülle über Schleppschläuche knapp über dem Boden oder mittels Schlitztechnik oder Injektortechnik direkt in den Boden eingetragen wird. Das ist sinnvoll, aber natürlich für die Landwirte viel teurer und aufwändiger. Und verbunden mit der Sorge, ob der Ertrag langfristig sinkt, wenn die Stickstoffüberschüsse in den Böden langsam zurückgehen.

Es bleibt die Frage: Wohin mit all der überschüssigen Gülle?

So, wie nicht jeder Viehbetrieb auch Pflanzen anbaut, hat auch nicht jeder landwirtschaftliche Betrieb, der Futter, Getreide oder Gemüse anbaut, seine eigenen vierbeinigen Düngemittel-Erzeuger, sondern kauft oft Dünger ein. Statt jedoch Mineraldünger zu kaufen, lohnt es sich durchaus, überschüssige Gülle von Viehbetrieben abzunehmen. Denn Gülle ist nicht nur günstig, sondern enthält neben dem schnell wirkenden mineralischen Stickstoff auch organisch gebundenen, der erst nach und nach für die angebauten Pflanzen verfügbar wird - dann, wenn sie ihn auch brauchen.

Wo Viehbauern keine Abnehmer in der Nachbarschaft finden, schaffen oftmals Internet-Foren oder Gülle-Börsen Abhilfe. Je größer der Gülle-Überschuss in einer Region ist, desto wichtiger werden Vermittler. Und desto problematischer wird der Transport, denn die Wege der Gülle zum Einsatzort werden immer länger - und damit weniger rentabel und weniger umweltfreundlich.

Gülle besteht überwiegend aus Wasser - zu 92 bis 95 Prozent. Das macht den Gülletransport über weite Strecken zum Problem: Ein Tanklastzug voll Gülle fährt nur wenige hundert Kilogramm Nährstoffe durch die Gegend, ein Lastzug voll Mineraldünger dagegen an die 10.000 Kilogramm.

Eine mögliche Lösung ist der Einsatz von Pressschnecken-Separatoren: Wie bei einem Entsafter werden aus der Gülle die Feststoffe herausgepresst. Übrig bleibt sehr mineralreicher Flüssigdünger, der sich wiederum besser zum Einsatz in modernen Güllewagen eignet, und ein nicht stinkendes, festes Substrat:

Gülle-Separator

Pflanzenreste, die nach der Verdauung im Kuhmagen übrig bleiben und einen guten Kompost abgeben. Dieser Feststoffanteil kann auch zur Düngung verwendet werden, wo der Einsatz von Gülle nicht möglich ist, etwa im Gemüseanbau oder in Obstgärten. Auch in Gartenbaumärkten kann dieser Kompost vertrieben werden.

Mit dieser Methode lässt sich die problematische Gülle in zwei besser handhabbare Anteile zerlegen. Theoretisch lässt sich Gülle sogar noch viel weiter zerlegen, in ihre einzelnen Bestandteile. Aber nur zu einem hohen Preis.

"Man kann wirklich das letzte Gramm Stickstoff, Phosphor, Kalium und sonstige Nährstoffe aus der Gülle rausholen. Umso mehr Nährstoffe ich abtrenne, desto teurer wird dieses Verfahren. Und desto energieaufwendiger."

Fabian Lichti, Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft

Durch eine Aufbereitung der Gülle entstehen neue Produkte, mit denen sich Stickstoff und auch Phosphor besser verteilen lassen - denn es gibt in Deutschland nicht generell zu viel davon, nur in manchen Regionen.

Kuh-Klo für die Umwelt

Diese Idee wurde 2020 mit einer Goldmedaille der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft ausgezeichnet: Eine Kuh-Toilette, die durch sanfte Massage die Kuh während der Fütterung zum Urinieren bringt. Der Urin wird aufgefangen und eigens in Sammeltanks als Flüssigdünger gesammelt, der dann mit Schlitz- oder Injektionstechnik direkt in den Boden eingetragen werden kann.

Denn der Urin in der Gülle ist hauptverantwortlich für den problematischen Ammoniak, der bei der Gülle-Ausbringung entsteht. Aber auch die Kuh-Toilette ist eine High-Tech-Lösung, die sehr teuer ist und vermutlich keine breite Anwendung finden wird.

Eine kleine Grundregel lautet: Wo ich vorne viel Stickstoff hineinfüttere, kommt hinten auch viel Stickstoff raus. Das Tierfutter selbst enthält Stickstoff - in Form von Aminosäuren, den Bausteinen der Proteine. Bestimmte Aminosäuren sind begehrt im Tierfutter, denn sie fördern das Wachstum der Tiere oder die Milchproduktion der Kuh. Doch andere Aminosäuren sind überschüssig und werden ausgeschieden: als Stickstoff in der Gülle.

Das wiederum ist gar nicht so gut für das Vieh, erklärte Brigitte Paulicks vom Lehrstuhl Tierernährung an der Technischen Universität München gegenüber dem Bayerischen Rundfunk:

"Überschüssiger Stickstoff muss vom Tier über die Leber entgiftet werden und wird in Form von Harnstoff ausgeschieden. Das ist ein Stoffwechselprozess, der natürlich aufwändig ist, mehr Energie kostet und dementsprechend auch die Gesundheit des Tieres belasten kann."

Brigitte Paulicks, Lehrstuhl Tierernährung, TU München

In der Schweinemast wird bereits Phasen-Fütterung eingesetzt: Mit Hilfe synthetisch hergestellter Aminosäuren wird für nährstoffreduziertes Tierfutter exakt die Mischung hergestellt, die das Tier entsprechend seinem jeweiligen Alter gut versorgt, aber den Stickstoffgehalt der Gülle verringert - um bis zu 35 Prozent.

Der fünfte Lösungsvorschlag greift tief in die Strukturen der Landwirtschaft ein. Und letztlich auch in die Ernährungsgewohnheiten vieler Menschen.

"Worüber man auch nachdenken muss, ist die Frage, ob wir überhaupt noch so viele Tiere haben wollen. Nicht nur aus ökologischen Gründen, sondern aus ernährungsphysiologischen Gründen. Es wäre sicher wünschenswert, wenn wir unseren Fleischbedarf auf die Hälfte reduzieren würden, das sagt Ihnen jeder Ernährungsexperte."

Prof. Kurt-Jürgen Hülsbergen, Lehrstuhl Ökologischer Landbau und Pflanzenbausysteme, TU München

Der Markt in Deutschland verlangt viel billiges Fleisch. Das dann möglichst effizient erzeugt wird - mit intensiver Tierhaltung in großen Ställen. Dadurch ist aber der ursprüngliche Nährstoffkreislauf aus den Fugen geraten, weil Futter, und damit Stickstoff und Phosphor, aus Übersee importiert wird, und die Zahl der Tiere nicht mehr zur landwirtschaftlichen Fläche passt. Ohne eine Abkehr von der Massenproduktion lassen sich die Probleme mit dem Stickstoff-Überschuss langfristig wohl nicht lösen.

"Die Betriebe entwickeln sich über die Zeit, sie unterliegen auch einem Strukturwandel. Jetzt geht es meines Erachtens darum, die Strukturen so zu lenken, dass sie zukunftsfähig sind. Bei jeder unternehmerischen Entscheidung. Das kann ganz unterschiedlich sein: Der eine kauft oder pachtet Flächen dazu, der andere verändert die Tierhaltung, der nächste gibt die Tierhaltung auf. Das müssen wir ja alles gar nicht vorschreiben, das ist unternehmerische Freiheit. Nur müsste man einfach mal den Mut haben zu sagen: Es gibt auch eine vernünftige Grenze, die naturwissenschaftlich zu begründen ist, als Tierbesatz-Obergrenze."

Prof. Kurt-Jürgen Hülsbergen, Lehrstuhl Ökologischer Landbau und Pflanzenbausysteme, TU München


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