Telekolleg - Deutsch


16

Propaganda und journalistische Ehtik Fakten

Propaganda ist der Versuch, Fakten, Lügen, Symbole und andere Menschen zu instrumentalisieren, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Im Nationalsozialismus wurde das Radio als Leitmedium für diese Zwecke benutzt.

Published at: 12-10-2011 | Archiv

Volksempfänger | Bild: picture-alliance/dpa

Propaganda versus Aufklärung

Die Encyclopaedia Britannica definiert Propaganda als "dissemination of information – facts, arguments, rumors, half-truths, or lies – to influence public opinion." Also als eine "Verbreitung von Information, Fakten, Argumenten, Gerüchten, Halbwahrheiten oder Lügen, mit dem Ziel die öffentliche Meinung zu beeinflussen." Weiter heißt es dort: Propaganda sei ein systematischer Manipulationsversuch, der sich vom freien Austausch von Ideen dadurch unterscheide, dass der Propagandist eine Absicht, ein spezifisches Ziel oder eine Reihe von Zielen verfolgt. Um diese Ziele zu erreichen, setzt der Propagandist alles ein, was zur Erreichung des gewünschten Effekts dienlich ist: selektiv ausgewählte Fakten und Argumente, verschleierte und erlogene Tatsachen, Symbole etc. Besser als im dtv-Lexikon und im Fremdwörter-Duden wird durch diese Definition klar, Propaganda ist der Versuch, Fakten, Lügen, Symbole und andere Menschen zu instrumentalisieren, d.h. sie für einen bestimmten Zweck zu gebrauchen, um durch sie ein bestimmtes Ziel zu erreichen: Bei der kommerziellen Werbung, der heute alltäglichsten, aber weil durchschaubaren auch harmlosesten Spielart von Propaganda, ist es die Maximierung des eigenen Profits, in der Politik, die eigene unumschränkte Macht und Verfügungsgewalt. Durch diese, von einer Absicht geleitete, selektive Information und Manipulation unterscheidet sich Propaganda nach der Encyclopaedia Britannica strikt von "education", also von Unterrichtung, Erziehung und Aufklärung. Der ideale Erzieher – und wir können das getrost auf den die Öffentlichkeit unterrichtenden idealen Journalisten übertragen – ist immer darauf aus, seinem Zögling – bzw. der Öffentlichkeit – verschiedene Seiten derselben Sache darzulegen. Er gibt ihm bzw. ihr sowohl Gründe, etwas zu glauben, als auch Gründe, an etwas zu zweifeln. Er nimmt einem das Denken nicht durch Beeinflussung ab, sondern gibt einem durch eine nicht selektive Darlegung von Fakten, Gründen und Gegengründen das Handwerkszeug, um selbstständig denken und urteilen zu lernen, d.h., um mündig zu werden. Dieser de facto bestehende Unterschied von Propaganda und Aufklärung kann auch durch den historischen Hinweis nicht zunichte gemacht werden, dass viele Propagandisten – wie Goebbels, Lenin und die meisten kommunistischen Parteifunktionäre – sich als Aufklärer zelebriert haben. Oder dass das Wort Propaganda in den diktatorischen Macht- und Gewaltgefilden von Propagandisten nicht negativ besetzt war, z.B. im Dritten Reich, in der DDR oder der Sowjetunion. Aufklärung und Propaganda nicht strikt zu unterscheiden, heißt, der Propaganda der Mächtigen, die ihre Propaganda als Aufklärung tarnen, auf den Leim zu gehen, ihrer massiven Beeinflussung zu unterliegen und sich ihrer Zielsetzung gefügig zu machen. Lenin hieß Propaganda z.B. nur darum gut und bezeichnete sie trügerisch als Aufklärung, weil sie wie die Agitation seinem marxistischen Ziel, der Mobilisierung der Massen für den Klassenkampf, diente. Es ist m.a.W. ein Propagandamittel, nicht zwischen Aufklärung und Propaganda zu unterscheiden und alles, auch aufklärerische Bemühungen, die Wahrheit zu sagen, unterschiedslos als Propaganda bzw. Gegenpropaganda erscheinen zu lassen. Zwei historische Beispiele demonstrieren, zu welcher Orientierungslosigkeit die Propaganda, dieses organisierte Manipulieren von Tatbeständen führen kann, wenn die Machthaber ein Monopol über die Propagandamittel haben. Die Tatsachenwahrheit, auf die allein man bauen und sich verlassen kann, hat zu solchen Zeiten kaum eine Chance, Gehör zu finden

Aufklärung in Zeiten totaler Propaganda. Die BBC-Ansprachen von Thomas Mann

Joseph Goebbels mobilisierte den Hörfunk, wie oben dargelegt, zu einem einzigartigen Propagandamittel, zu einem "Mittel, unser nationalsozialistisches Wollen ins Volk zu tragen" (zitiert nach: Rückkehr in die Fremde S.16). Zu seiner großangelegten Propaganda gehörte die totale Diffamierung ausländischer Sender als "Feindpropaganda" (ebd. S.18) und die Kriminalisierung ihrer Hörer. Eine bedeutende Rolle in diesem "Ätherkrieg" der Radiosender spielte der BBC; er sendete seit der Sudentenkrise (1938) wöchentlich etwa 30 Stunden in deutsch. Zahlreiche deutsche Emigranten arbeiteten für diesen Sender, um aus dem Ausland mithilfe des Hörfunks die deutsche Öffentlichkeit über die verheerenden Lügen, Vernichtungs- und Gewaltaktionen des Hitlerregimes zu unterrichten und von ihrer Gefolgschaft abzubringen. Der prominenteste Vertreter dieser Aufklärer war Thomas Mann.

Thomas Mann

Im Oktober 1940 kündigte er im BBC an:
Deutsche Hörer! Ein deutscher Schriftsteller spricht zu euch, dessen Werk und Person von Euren Machthabern verfemt sind und dessen Bücher, selbst wenn sie vom Deutschen handeln (...) nur noch zu fremden, freien Völkern in ihrer Sprache reden können (...). Darum ergreife ich gern die Gelegenheit, die die englische Behörde mir bietet, euch von Zeit zu Zeit über das zu berichten, was ich hier sehe, in Amerika, dem großen und freien Land, in dem ich eine Heimstatt gefunden habe. (Zitiert nach Rückkehr in die Fremde S. 41.)

In seinen Ansprachen war er sich darüber im Klaren, dass ihm in Deutschland kaum jemand die furchtbare, aber das ganze Ausmaß der Katastrophe bei weitem noch nicht erfassende Wahrheit glaubte, die er zu berichten wusste: Was der "Feindsender" in diesem "Ätherkrieg" der Radiosender brachte, galt als bloße "Feindpropaganda". Im Januar 1942 unterrichtete Thomas Mann die Deutschen z.B. über die Vergasung von 400 holländischen Juden:

Die Nachricht klingt unglaubwürdig, aber meine Quelle ist gut. In zahlreichen holländisch-jüdischen Familien, so wurde ich unterrichtet, in Amsterdam und anderen Städten, herrscht tiefe Trauer um Söhne, die eines schaurigen Todes gestorben sind. 400 junge holländische Juden sind nach Deutschland gebracht worden, um als Versuchsobjekte für Giftgas zu dienen. Die Virulenz dieses ritterlichen und durch und durch deutschen Kriegsmittels, eine wahre Siegfriedwaffe, hat sich an den jungen Untermenschen bewährt. Sie sind tot. Gestorben für die neue Ordnung und die Kriegsingeniosität der Herrenrasse. Eben dafür waren sie allenfalls gut genug. Es waren ja Juden. Ich sagte, die Geschichte klingt unglaubwürdig, und wir wissen, die Neigung, um nicht zu sagen die Tendenz, solche Geschichten als Greuelmärchen anzusehen, bleibt zum Vorteil des Feindes weit verbreitet. Sie sind aber keine bloßen Geschichten, sie sind Geschichte. Die Nazis machen bewusst Geschichte mit all ihren Taten, und die Probevergasung der 400 jungen Juden ist eine bewusste und demonstrative Geschichtstat, ein lehr- und beispielhafter Ausdruck der Gesinnung der nationalsozialistischen Revolution, die man nicht versteht, wenn man die moralische Bereitschaft nicht als revolutionäre Errungenschaft erkennt. In dieser rückfälligen, um Jahrtausende zurückfallenden Bereitschaft besteht die nationalsozialistische Revolution. Etwas anderes hat sie nicht hervorgebracht und wird sie nicht hervorbringen. Man darf nicht vergessen, dass am Anfang dieses Krieges, der nicht 1939, sondern 1933 begann, die Abschaffung der Menschenrechte stand. 'Die Menschenrechte sind abgeschafft' verkündete damals Dr. Goebbels im Sportpalast, und 10.000 blöde arme Teufel brüllten mit kläglich widersinnigem Beifall. Es war eine geschichtliche Proklamation, die prinzipielle Grundlage für alles, was Nazideutschland heute den Völkern, einschließlich des eigenen Volkes, zufügt. (Zitiert nach: Rückkehr in die Fremde S.38.)

Die Vernichtungsaktionen der Deutschen waren bislang in der Geschichte beispiellos, sie überstiegen bei weitem die Vorstellungskraft des gesunden Menschenverstands. Aber nicht nur deswegen konnten die Deutschen den Berichten von der massenhaften Vergasung der Juden nicht glauben. Ein Grund war auch, dass in Deutschland seit 1933 jegliche Information Propaganda war. Noch 1945 waren die Deutschen derart daran gewöhnt, das alle "Aufklärung" der Siegermächte nur organisierte Lüge und "Propaganda" war, dass sie selbst die grauenhaften Fotos, die die Alliierten bei ihrer Befreiung von den KZs machten, als "Feindpropaganda", als Lüge abtaten.

Aufklärer brauchen Propagandamittel: Widerständler planen die Besetzung des Rundfunks

Die Regimegegner um Carl Friedrich Goerdeler, Ludwig Beck und Claus Schenk Graf von Stauffenberg wollten direkt nach dem geplanten Attentat gegen Hitler das Berliner Rundfunkgebäude besetzen. Es ging ihnen, wie Peter Steinbach resümiert, nicht nur um die Beseitigung Hitlers, sondern es kam auch darauf an, den Deutschen durch den Äther die Wahrheit zu sagen. Das war das Ziel. Die sich darauf aufbauende Hoffnung bezog sich auf die Erwartung, die Zuhörer würden aus der Rundfunkansprache die richtigen Konsequenzen ziehen und aus dem Widerstand ohne Volk einen Umsturz mit dem Volk machen. (Rückkehr in die Fremde S.15).

Es kam bekanntlich am 20. Juli 1944 alles anders: Am Abend des 20. Juli wandten sich nicht die Regimegegner an die Öffentlichkeit, sondern Hitler selber, um den Fehlschlag des Attentats zu bezeugen und mächtig gegen die großenteils bereits gefassten "Verschwörer" aufzuhetzen.

Der Rundfunk, dieses "allerwichtigste Wahrheitsverbreitungs- und Beschwindelungsmittel" (Rückkehr in die Fremde S.15) blieb also am Abend des 20. Juli, was er seit 1933 war: Leitmedium der Verführung. Hier wird deutlich, dass man – vor allem zu Zeiten totalitärer Herrschaft, wo jede Information nur dazu dient, die Massen zu beeinflussen – auch Werbung für die Wahrheit machen muss und dafür die herrschenden Propagandamittel braucht. Die Wahrheit ist zu allen Zeiten massenhafter Manipulation völlig ohnmächtig, wenn sie selbst nicht durch "Massenbeeinflussungsmittel" verbreitet werden kann. Daher streben alle Regimegegner – wie die Gruppe des 20. Juli – bei ihren Umsturzversuchen stets die Macht über die leitenden Massenmedien an.

Literatur

  • Rückkehr in die Fremde? Remigranten und Rundfunk in Deutschland 1945-1955. Hrsg. vom Arbeitskreis selbständiger Kulturinstitute (AsKI) Bonn, der Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt a.M. und der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin. Berlin, Bonn, Frankfurt a.M. 2000.

16