Frauen und Freiheit Pionierinnen der Gleichberechtigung

Von: Constanze Alvarez

Stand: 08.05.2023

Wählen, studieren, ein Flugzeug steuern, ein Fußballspiel abpfeifen - wir stellen euch vier Frauen vor, die dafür gekämpft haben, dass das heute möglich ist: Die Politikerin Marie Juchacz, die Ärztin Ida Democh, die Flugzeug-Pilotin Amelie "Melli" Beese und die Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus.

Historisches Wahlplakat: "Heraus mit dem Frauenwahlrecht". Eine Frau schwenkt kämpferisch eine orangefarbene Flagge, Druck nach einem Entwurf von Karl Maria Stadler.  | Bild: picture-alliance / akg-images | akg-images

Hartnäckigkeit. Wenn man sich die Biographien erfolgreicher Frauen durch die Geschichte hinweg anschaut, fällt dieses Wort erstaunlich häufig. Das ist auch kein Wunder. Frauen, die am Status quo etwas ändern wollten, mussten ihr Leben lang gegen den Strom schwimmen, sich durchbeißen, gegen patriarchale Strukturen kämpfen. Von der Geschichtsschreibung wurden diejenigen, die tatsächlich etwas erreicht haben, wenig beachtet. Auch die Frauen, die wir euch hier vorstellen, sind relativ unbekannt geblieben, obwohl sie, bewusst oder unbewusst, mit ihrem Handeln die Weichen für nachkommende Generationen gestellt haben: Die Politikerin Marie Juchacz, die Ärztin Ida Democh, die Flugzeug-Pilotin Amelie "Melli" Beese und die ehemalige Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus.

Audio: Immer noch zu wenig Frauen als politische Führungskräfte

Gesagt: Frauen haben nichts in der Politik zu suchen!

"Wenn auch alle europäischen Völker am Weibe verkommen sollten, das deutsche Volk, das männlichste Volk der Erde, an dessen Wesen noch die Welt genesen soll, muß im heiligsten Interesse der Menschheit vor diesem Schicksal bewahrt werden."

Aus einer Rede gegen das Frauenwahlrecht von Ludwig Langemann, Vorsitzender des 'Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation', 1913. Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

Marie Juchacz: Erste Rednerin im deutschen Reichstag

Marie Juchacz, Sozialpolitikerin und Frauenrechtlerin, um 1930.
| Bild: picture-alliance / IMAGNO/Schostal Archiv | Anonym

Auf allen Ebenen eine unkonventionelle Frau: Die Sozialreformerin und Frauenrechtlerin Marie Juchacz

Als Marie Juchacz am 19. Februar 1919 als erste Frau das Wort vor dem Parlament ergreift, stellt sie erst einmal die Regeln der Anrede auf den Kopf: "Meine Herren und Damen! Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen kann. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist." Neben der SPD-Politikern sind noch 37 weitere Frauen in die Nationalversammlung gewählt worden, die später die Weimarer Verfassung verabschieden sollte. Der Weg dieser Frauen in die Politik war jedoch alles andere als vorgezeichnet.

Marie Juchacz stammt aus einer Arbeiterfamilie und strebt nach Unabhängigkeit. Als junge Frau verdient sie eigenes Geld als Dienstmädchen, Krankenpflegerin und Schneiderin. Später wagt sie einen außergewöhnlichen Schritt: Die Mutter zweier Kinder lässt sich von ihrem Ehemann scheiden und zieht mit dem Nachwuchs 1906 nach Berlin, wo sie der SPD beitritt. Zehn Jahre später steigt sie in den Parteivorstand auf. Und im selben Jahr ihrer Wahl ins Parlament, im Dezember 1919, wird auf ihre Initiative hin die Arbeiterwohlfahrt (AWO) gegründet.

Frauenwahlrecht: Der lange Weg zum Stimmzettel

Berlin, 12. Mai 1912. Demonstration für das Frauen-Wahlrecht: Eine Gruppe von Demonstrantinnen auf dem Weg zum Versammlungsort. Foto (Gebr. Haeckel).
| Bild: picture alliance / akg-images | akg-images Foto (Gebr. Haeckel)

Eingeführt wurde das Frauenrecht im November 1918, ein hart erkämpfter Meilenstein in der Geschichte der Gleichberechtigung. Zwar hatte es in Deutschland seit der Revolution 1848 bürgerliche Rechte gegeben, aber nur für Männer. Frauen war es hingegen für die nächsten fünfzig Jahre gesetzlich verboten, an politischen Versammlungen teilzunehmen, öffentlich das Wort zu ergreifen oder gar einen Verein zu gründen.

Ab 1865 springt der Funke der internationalen Frauenbewegung auch nach Deutschland über. Durch die Industrialisierung arbeiten immer mehr Frauen außer Haus. 1875 sind es mittlerweile eine Million Arbeiterinnen, die allerdings nur den halben Lohn eines Mannes bekommen. Die allgemeine Unzufriedenheit der Frauen wächst. Gegen 1900 gründen sie die ersten Vereine, sowohl die Frauen aus der Arbeiterschicht, als auch die bürgerlichen. Mit dem Ende der letzten Monarchien in Deutschland wird der Weg frei zu einem neuen Wahlrecht. Am 9. November 1918 ruft der SPD-Politiker Philipp Scheidemann in Berlin die Republik aus. Drei Tage später, am 12. November 1918, kündigt der Rat der Volksbeauftragten - eine Art Übergangsregierung bis zu den ersten Wahlen - eine Wahlrechtsreform an. Diese sieht für alle Frauen und Männer ab 20 Jahren das Wahlrecht vor.

Ida Democh: Erste zugelassene Ärztin Deutschlands

Portrait der Kinder- und Frauenärztin Ida Democh. Illustration. | Bild: BR

Ida Democh arbeitete zeitlebens erfolgreich als Gynäkologin und Frauenärztin.

Ida Democh hatte Glück, denn ihre Eltern unterstützen ihren Wunsch, Medizin zu studieren. Nach dem Besuch einer Höheren Töchterschule und einer Ausbildung als Lehrerin, schrieb sie sich 1895 in Zürich für ein Medizinstudium ein. Ihr Staatsexamen legte sie 1901 in Halle ab, nachdem sich der Dekan persönlich um die Genehmigung gekümmert hatte. Denn um diese Zeit war ein Studium für Frauen alles andere als selbstverständlich. Erst 1903 erlaubte Prinzregent Luitpold per Erlass das Frauenstudium in Bayern. Zuvor hatte Baden grünes Licht gegeben, nach und nach folgten die anderen Länder. Ida Democh arbeitete zeitlebens nicht nur erfolgreich als Gynäkologin und Kinderärztin, sie war auch Herausgeberin verschiedener Fachzeitschriften.

Heute sieht die Lage anders aus: Im Wintersemester 2021/2022 studierten zum ersten Mal mehr Frauen als Männer an den Hochschulen in Deutschland. Laut dem Statistischen Bundesamt lag der Frauenanteil bei 50,2 Prozent, im Jahr 2023 bei 50,6 Prozent. In den letzten zwanzig Jahren ist auch der Anteil der Professorinnen deutlich gestiegen, von sieben auf 30 Prozent. Trotzdem: Mit knapp 12.500 Professorinnen von insgesamt 36.000 Professoren lag der Frauenanteil im Jahr 2020 bei circa einem Drittel. Eine Gleichstellung ist daher immer noch nicht in Sicht. Die Hauptgründe dafür: Frauen übernehmen immer noch einen Großteil der Familien- und Hausarbeit. Und Männer lassen Frauen immer noch ungern in die inneren Kreise der Macht hinein.

Frauenstudium: Von kleinen Frauenhirnen und der Pflicht, zu gehorchen

Immer mehr Frauen um die Jahrhundertwende wird klar: Wissen ist Macht. Innerhalb der Universität waren die Widerstände gegen ein Frauenstudium jedoch enorm. Viele Professoren sperrten sich dagegen. Ihr Argument: Frauen seien nicht zu Lehre und Forschung prädestiniert, ein Studium sei gegen die Natur der Frau. Manche Wissenschaftler behaupteten, Frauenhirne seien kleiner als Männerhirne und daher weniger leistungsfähig. Der Neurologe Paul Julius Möbius bezeichnete das Frauenhirn in seinem Essay "Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes" sogar als missgestaltet.

In ihrer Argumentation konnte sich die männliche akademische Elite auf das bürgerliche Gesetzbuch von 1900 stützen. Dieses untermauerte ganz offiziell das Rollenbild der Frau als Hüterin des Häuslichen. Das Gesetzbuch legte genau fest, welche Rechte und Pflichten eine Ehefrau hatte: den gemeinschaftlichen Haushalt zu führen und die Kinder zu erziehen. Durch den sogenannten "Gehorsamsparagraphen" hatten Ehefrauen ihrem Mann zu gehorchen. Arbeiten durften sie nur, wenn der Ehemann einwilligte. Und selbst, wenn eine Frau eigenes Vermögen in die Ehe brachte: Das Geld wurde vom Ehemann verwaltet. Für Töchter aus gutbürgerlichen Familien kam neben der Heirat lediglich die Tätigkeit der Erzieherin in Frage.

Amelie "Melli" Beese: Abenteurerin der Lüfte

Plakat von Melli Beese (1886-1925), Deutschlands erste Pilotin und Motorfliegerin, zu einer Ausstellung im Heimatmuseum Treptow. | Bild: picture alliance / Bernd Oertwig/SCHROEWIG | Bernd Oertwig/SCHROEWIG

Von Kindheit an wusste Melli Beese, was einmal ihr Beruf sein sollte: Flugzeugpilotin.

Als Amelie "Melli" Beese sich 1910 bei den Albatros-Werken in Johannisthal als Fluchschülerin bewirbt, wird sie "mangels Erfahrung mit weiblichen Schülern" erstmal abgelehnt. Dass Frauen "ungeeignet" zum Fliegen seien, finden viele Fluglehrer. Als sie doch einen Ausbildungsplatz bei der Ad Astra Fluggesellschaft ergattert, hat sie Pech. Gleich beim zweiten Übungsflug setzt der Motor aus, Beese stürzt aus 20 Metern Höhe ab. Sie bricht sich dabei einen Knöchel und bekommt gegen die Schmerzen Morphin. Eine lebenslange Sucht beginnt.

Nach der Bruchlandung weigert sich ihr Lehrer sie weiter zu unterrichten, der Unfall sei der Beweis dafür, dass Frauen in der Luft nichts zu suchen haben. Melli Beese gibt nicht auf und schafft es, woanders den Flugschein zu machen. Wobei sie nicht nur verbale Anfeindungen ertragen muss, sondern auch handfeste Sabotage: Kollegen wechseln die sauberen Zündkerzen ihres Flugezugs gegen schmutzige aus oder lassen das Benzin aus dem Kanister.

Melli Beese erfüllt sich den Traum vom Fliegen trotz aller Widrigkeiten: Sie besteht ihre Flugprüfung und bekommt am 13. September 1911 - ihrem 25. Geburtstag - als erste deutsche Frau ihre Flugzeugführerlizenz mit der Nummer 115 ausgehändigt. Kurz darauf stellt sie einen neuen Dauer- und einen Höhenflug-Weltrekord für Frauen auf. Im Jahr 1912 gründet sie ihre eigene Flugschule "Melli Beese" in Berlin-Johannisthal. Außerdem arbeitet sie als Flugzeugkonstrukteurin und meldet mehrere Patente an, zum Beispiel für ein zerlegbares Flugzeug, ein Leichtflugzeug und ein Wasserflugzeug.

Doch Amelie "Melli" Beeses Geschichte endet tragisch: Alles, was sich die Flugpionierin aufgebaut hat, geht durch den Ersten Weltkrieg verloren. Hinzu kommen gesundheitliche Probleme und private Schicksalsschläge. Mit 39 Jahren endet ihr Leben in einem Suizid.

Bibiana Steinhaus-Webb: Erste Schiedsrichterin der deutschen Bundesliga

Portrait von Bibana Steinhaus, erste Schiedrichterin der Bundesliga.  | Bild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Sven Hoppe

Für den Aufstieg in die erste Liga musste die ehemalige Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus viele Jahre kämpfen.

Sie mache einfach den gleichen Job, den Männer machen, dabei gebe es nur einen Unterschied: "Ich bin die einzige, die mit einem blonden Pferdeschwanz über den Platz läuft." Mit diesen schlichten Worten beschreibt Bibiana Steinhaus-Webb in einem DFB-Video aus dem Jahr 2017 ihre Arbeit. In jenem Jahr durfte die Polizeibeamtin aus Hannover als erste weibliche Schiedsrichterin eine Erstligapartie pfeifen. Der Auftstieg in die männliche Eliteliga hatte jedoch ein enormes Maß an Hartnäckigkeit, Ausdauer, Diplomatie und Geduld erfordert. Im Fußball der Frauen zählte Bibiana Steinhaus-Webb längst zur Weltspitze, hatte bei der WM 2011 sowie bei den Olympischen Spielen 2012 jeweils das Finale geleitet. Zehn Jahre lang, zwischen 2007 und 2017, hatte sie ihr Können als Hauptschiedsrichterin in der zweiten Liga der Männer bewiesen.

Die Vorbehalte des DFB, sie in das Oberhaus des Fußballs zu holen, hielten sich trotzdem lange. Erst als Lutz-Michael Fröhlich 2016 die Leitung der deutschen Elite-Schiedsrichter übernahm, öffnete sich die Tür für sie. Drei Jahre nach ihrem ersten Bundesligaspiel, im September 2020, beendete die damals 41-Jährige überraschend ihre aktive Karriere. Die genauen Gründe nannte sie nicht, nur soviel: Während der Corona-Zeit hätte sie Berufliches und Privates neu bewertet und sich für diesen Schritt entschieden.

Nach einem kurzen Zwischenspiel als Videoassistentin beim DFB landete Bibiana Steinhaus-Webb im Sommer 2021 erneut einen Coup: Sie nahm eine Führungsposition bei der englischen Women's Super League an. Derzeit ist sie Direktorin der Abteilung Schiedsrichter für die beiden höchsten englischen Frauenligen, der Women's Super League und der Women's Championship.

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