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Literaturnobelpreis 2014 Sensibler Erinnerer Patrick Modiano geehrt

Den diesjährigen Nobelpreis für Literatur erhält der Franzose Patrick Modiano. Damit würdigt das Nobelpreis-Komitee das Werk des 69-jährigen Autoren, das sich um die Themen Erinnern, Vergessen, Schuld und Identität drehe.

Published at: 9-10-2014 | Archiv

Patrick Modiano im Jahr 2000 | Bild: Hahn-Cassajus, dpa-Bildfunk

Dem Sekretär der Schwedischen Akademie, Peter Englund, war es vergönnt, den diesjährigen Nobelpreisträger zu verkünden: den 1945 in Boulogne-Billancourt bei Paris geborenen Patrick Modiano. Auch für Modiano selbst wird die Ehrung wohl eine Überraschung: Wie Englund nach der Bekanntgabe mitteilte, konnte die Akademie den Autoren vor der Veröffentlichung nicht erreichen.

Besetzung und Nationalsozialismus als Thema

In seinem Werk beschäftigt sich Modiano vor allem mit dem Zweiten Weltkrieg und der Besetzung Frankreichs durch die Nationalsozialisten.

"Für die Kunst der Erinnerung, mit der er die unbegreiflichsten menschlichen Schicksale und die Lebenswelt der Besetzung hervorgerufen hat."

Peter Englund, Sekretär der Schwedischen Akademie

Patrick Modiano, 2010

Der Franzose schreibe "sehr elegante Bücher", die aber nicht schwierig zu lesen seien. Viele seiner Werke, wie auch sein jüngstes Buch "Der Horizont", leben von den Erinnerungen an seine unglückliche Kindheit im Paris der Nachkriegszeit. "Ich versuche bei den Menschen und den Dingen die Schicht des Vergessens zu durchstoßen", sagte der medienscheue Autor in einem seiner seltenen Interviews vor etwas mehr als einem Jahr.

Autor gegen das Vergessen

Patrick Modiano, 1978

Modiano ist Sohn eines italienisch-jüdischen Kaufmanns und einer flämischen Schauspielerin, die sich während der Besatzungszeit in Paris kennengelernt hatten. Er selbst wuchs zunächst bei seinen Großeltern auf und lebte dann lange Zeit im Internat. Sein einziger Bruder Rudy starb im Alter von zehn Jahren – ein Schock für den Jungen.

Seinem verstorbenen Bruder widmete Modiano die Arbeiten, die er von 1967 bis 1982 schrieb. Sein erstes Werk veröffentlichte er 1968, "La Place de l'Étoile". Es handelt von einem jungen Mann im Paris zur Zeit des Nationalsozialismus. Das Buch erhielt 42 Jahre später, 2010, den Preis der SWR-Bestenliste. In dem Roman beschreibe der Autor "Erinnerungsbilder aus der Vergangenheit, die viele Schattierungen von Sehnsucht aufweisen", hieß es damals in der Begründung. In Frankreich gilt Modiano deshalb auch als Autor gegen das Vergessen.

"Er kehrt immer wieder zu denselben Themen zurück, einfach weil man diese Themen nicht erschöpfend behandeln kann. Man kann keine definitive Antwort finden zu: Warum wurde ich die Person, die ich heute bin? Was ist mit mir passiert? Wie werde ich aus der Last der Zeit ausbrechen? Wie kann ich zurückreichen in die Vergangenheit?"

Peter Englund, Sekretär der Schwedischen Akademie

Romane, Kinderbücher, Drehbücher

In Deutschland fand Modiano Mitte der 80er-Jahre mit "Eine Jugend" viele Fans. Das Buch war von seinem österreichischen Kollegen Peter Handke übersetzt worden. Mittlerweile hat Modiano, der seit 1970 mit der Schriftstellerin Dominique Zerfuss verheiratet ist und zwei Töchter hat, rund 40 Werke verfasst, darunter auch Kinderbücher und Drehbücher. Unter anderem schrieb er gemeinsam mit Louis Malle das Drehbuch für den Film "Lacombe Lucien", der auch von der deutschen Besetzung Frankreichs handelt.

Vielfach preisgekrönt

Doch sein Hauptwerk sind seine eher kurzen Romane, für die er zahlreiche Ehrungen erhielt: Im Jahr 1978 bekam er für "Die Gassen der dunklen Läden" den begehrten französischen Prix Goncourt. 2012 wurde er mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur ausgezeichnet. Nun geht er als elfter in Frankreich geborener Literaturnobelpreisträger in die Geschichte ein.

"Man darf dem Komitee zu dieser klugen Wahl Glückwunsch sagen. Der Preis geht an einen Autor, der in seinem Werk scheinbar Unvereinbares miteinander verbindet, der ein gleichermaßen souveräner Artist und besessener Archivist ist."

Literaturkritiker Denis Scheck, in einem Interview auf der Frankfurter Buchmesse

Die feierliche Verleihung findet am 10. Dezember in Stockholm statt. Wie die anderen Nobelpreise ist der Preis für Literatur mit acht Millionen Schwedischen Kronen, rund 880.000 Euro, dotiert. Laut Jury waren unter den Nominierungen für die begehrteste Literaturauszeichnung der Welt in diesem Jahr auch 36 neue Namen.

Deutschsprachige Literaturnobelpreisträger

Der bisher jüngste Literaturnobelpreisträger war 1907 mit 42 Jahren Rudyard Kipling, der Autor des "Dschungelbuchs". Die bisher älteste Preisträgerin wurde 2007 gekürt. Mit 88 Jahren erhielt die 2013 gestorbene Doris Lessing den begehrten Literaturpreis.

Literaturnobelpreise seit 1995

2014 Patrick Modiano
2013: Alice Munro
2012: Mo Yan
2011: Tomas Tranströmer
2010: Mario Vargas Llosa
2009: Herta Müller
2008: J.M.G. Le Clézio
2007: Doris Lessing
2006: Orhan Pamuk
2005: Harold Pinter
2004: Elfriede Jelinek
2003: J.M. Coetzee
2002: Imre Kertész
2001: V.S. Naipaul
2000: Gao Xingjian
1999: Günter Grass
1998: José Saramago
1997: Dario Fo
1996: Wislawa Szymborska
1995: Seamus Heaney

Hintergrund

Wie schafft es die 18-köpfige Jury, sich auf ein Werk zu einigen? Nobels Maßgabe, der Preis solle an ein "in idealer Weise herausragendes Werk" verliehen werden, ließ und lässt einigen Deutungsspielraum. Dennoch gilt der Literatur-Preis als der bedeutendste unter allen Nobelpreisen.


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