Pressefreiheit unter Druck Wie steht es um die freie Berichterstattung weltweit?
"Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt", heißt es im Artikel 5 des Grundgesetzes. Doch in Deutschland - wie auch in vielen anderen Ländern weltweit - wächst die Sorge um das garantierte Recht, ohne Einschränkungen berichten zu können. Drohungen, Beleidigungen, Repressalien bestimmen zunehmend den Alltag von Medienschaffenden. Im Ausland müssen Journalisten gar um ihr Leben fürchten. Wie können wir die Pressefreiheit besser schützen?

Die Gedanken sind frei ... Wie steht's mit der Pressefreiheit in Deutschland?

Ein Fotojournalist wird auf einer Demonstration an seiner Arbeit gehindert.
Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" (Reporters sans frontière - RSF) erstellt alljährlich eine Rangliste der Pressefreiheit. Deutschland gehört auch in der Rangliste von 2022 nicht zu den Spitzenreitern. Bereits vor einem Jahr befand sich die Pressefreiheit bei uns nicht in einem akzeptablen Zustand. Die Gewalt gegen Medienschaffende hat sich weiter verschlechtert. "Morde und Entführungen, Verhaftungen und körperliche Angriffe sind bloß unterschiedliche Ausprägungen desselben Problems: Regierungen, Interessengruppen und Einzelpersonen wollen Medienschaffende mit Gewalt daran hindern, unabhängig zu berichten. Dieses Phänomen beobachten wir in allen Teilen der Welt, ob in Russland, Myanmar oder Afghanistan - oder selbst in Deutschland, wo die Aggressivität gegenüber Journalistinnen und Journalisten auf ein Rekordhoch gestiegen ist", betont RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske. Im Jahr 2019 wurden in Deutschland noch 13 gewalttätige Übergriffe gezählt. Zwei Jahre später steigt die Zahl auf 80 gemeldete Fälle. Das ist ein Negativrekord seit Beginn der Dokumentationen im Jahr 2013.
Doch neben den gewalttätigen Übergriffen auf Berichterstatter, etwa auf Pegida-Demonstrationen, treiben Medienvertreter zunehmend auch Beschränkungen um, beispielsweise der Trend zu restriktiver Pressearbeit. So wurden beispielsweise ZDF-Reporter im März 2022 bei der Eröffnungsfeier der Tesla-Fabrik im brandenburgischen Grünheide nicht auf das Werksgelände gelassen. Das ZDF hatte im Vorfeld kritisch über den Bau der E-Auto-Fabrik berichtet.
Für Lutz Frühbrodt, Professor für Unternehmenskommunikation an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt, ein unguter Trend. Unternehmen bestimmten, welche Journalisten welche Infos bekommen, sagt der Wissenschaftler gegenüber Deutschlandfunk Kultur. Dies diene dem Zweck, "Journalisten willfähriger zu machen und weichzuklopfen. Oder eben ganz knallhart zu sagen: Diese Art von Berichterstattung brauchen wir nicht, also sperren wir sie dauerhaft aus". Ein Prinzip, das mittlerweile auch im alltäglichen, normalen Wirtschaftsjournalismus gelte, so Frühbrodt. Dabei gebe es durchaus Themen, etwa Umweltprobleme oder den Abbau von Arbeitsplätzen, die von öffentlichem Interesse seien und über die berichtet werden müsse, "weil es eben nicht nur das Unternehmen betrifft, sondern auch andere Menschen: die Bürger, Investoren, Umweltschützer", sagt Lutz Frühbrodt. Viele Großunternehmer hielten von Transparenz gegenüber der Presse aber anscheinend nicht viel.
Medien als vierte Gewalt: Warum wir Pressefreiheit brauchen

Das Grundgesetz garantiert die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung.
Eine grundlegende Idee der Demokratie ist die Gewaltenteilung: Die gesetzgebenden (in Deutschland: Bundestag und Bundesrat), vollziehenden (Bundesregierung) und Recht sprechenden (Gerichte) staatlichen Gewalten kontrollieren sich gegenseitig und begrenzen so die staatliche Macht. Presse, Rundfunk, Fernsehen und Online-Medien sollen unabhängig von Staat und Parteien differenziert, sachlich und verständlich über das gesellschaftliche Leben berichten und so eine öffentliche Kontrolle ermöglichen. Pressefreiheit bedeutet demnach, dass die Bürger einer Gesellschaft das Recht haben, von freien und unabhängigen Medien ungehindert informiert zu werden. In Deutschland ist dies im Grundgesetz in Artikel 5 festgeschrieben.
Populistische Akteure versuchen allerdings, vor allem in den Sozialen Medien, mit Kampfbegriffen wie "Lügenpresse" und "Fake News" unabhängige Berichterstattung zu verunglimpfen. Stattdessen stellen unter anderem Meinungsmacher und Populisten einseitige oder extreme Positionen als Fakten dar. In der unübersichtlichen Flut von Nachrichten richtig von falsch zu trennen, ist dabei nicht einfach und verlangt von allen Menschen, die Nachrichten und andere Medieninhalte verfolgen, eine gehörige Portion Medienkompetenz.
Pressefreiheit: ein Verfassungsauftrag
"Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt."
Grundgesetz, Artikel 5, Absatz 1
Journalismus international: Wo das freie Wort noch gilt - und wo nicht

Krisen, Kriege und Gewalt bedrohen weltweit die freie Berichterstattung.
Wenn Journalisten - in Deutschland oder auch weltweit - bei ihrer Arbeit behindert werden und nicht mehr über Unrecht oder Korruption berichten können, ist die öffentliche Kontrolle und damit die Möglichkeit der Bevölkerung, sich selbst eine Meinung zu bilden, deutlich eingeschränkt. Das betont auch Christoph Dreyer von der Organisation "Reporter ohne Grenzen" (RSF) gegenüber dem Deutschlandfunk: "Länder, die Angst haben vor ihren Bürgerinnen und Bürgern, die Kritik unterdrücken wollen, die nicht zulassen wollen, dass die Herrschenden infrage gestellt werden, haben immer ein Interesse daran, unabhängige Berichterstattung zu unterdrücken und zu behindern." Und umgekehrt sei es so, dass freiheitlich verfasste Länder zulassen, dass es Kritik an den Mächtigen und Regierungswechsel gibt. In diesen Ländern nehme die Presse die Rolle der Vierten Gewalt ein.
2021 standen Journalistinnen und Journalisten in vielen Teilen der Welt so stark unter Druck wie selten zuvor. Die Weltkarte der Pressefreiheit ist überwiegend rot und orange, dort ist die Lage "schwierig" oder gar "sehr ernst". Informationssperren und staatliche Desinformation, willkürliche Festnahmen, Gefängnis und sogar Mord schränken die Pressefreiheit auf allen Kontinenten ein, so das Fazit von RSF. Krisen, Kriege und Gewalt bestimmen weltweit die Lage der Pressefreiheit. In der Rangliste von 180 Nationen sind es nur noch acht Länder, deren Lage zur freien Berichterstattung als "gut" beurteilt werden kann. Dazu gehören Norwegen, Dänemark, Schweden und Estland auf den ersten vier Plätzen. Deutschland steht nun auf Rang 16 mit der Bewertung "zufriedenstellend". Im internationalen Vergleich ist das kein gutes Ergebnis.
Die interaktive Weltkarte zur Pressefreiheit zeigt, dass die freie Berichterstattung selbst in gefestigten Demokratien gefährdet sein kann. So erhalten auch Länder innerhalb der EU, etwa Ungarn, Polen und Slowenien, schlechte Noten. Weltweit rangieren China, Myanmar, Turkmenistan, Iran, Eritrea und Nordkorea am unteren Ende der Rangliste der Pressefreiheit.
Berichten unter Lebensgefahr: Diese europäischen Journalisten wurden getötet
Seit 2010 wurden weltweit mindestens 550 Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer oder bei ihren Recherchen ermordet. Auch in der EU kamen in den vergangenen Jahren mehrere Journalisten aufgrund ihrer Berichterstattung ums Leben.
Auf dem Weg ins publizistische Paradies? Wie Pressefreiheit gelingen kann

Polizisten, die die Medien unterstützen, können viel zum Erhalt der Pressefreiheit beitragen
Auch in Deutschland muss sich einiges ändern, damit Medienvertreter unbeeinträchtigt und unabhängig berichten können. Doch welche Maßnahmen würden die Arbeitsbedingungen der Journalisten in Deutschland verbessern?
Der Geschäftsführer von "Reporter ohne Grenzen", Christian Mihr, sieht die Polizei in Deutschland in der Pflicht. Damit sich die Lage der Pressefreiheit bei uns wieder zum Positiven ändere, müssten unter anderem die Aggressionen gegen Medienschaffende aufhören. "Ein wesentlicher Schritt dahin wäre", so der RSF-Geschäftsführer Mihr, "dass die Polizei besser ihrer Aufgabe nachkommt". Häufig würden Polizisten die Journalistinnen und Journalisten nicht ausreichend schützen, etwa, wenn sie am Rande von Demonstrationen sogenannter "Corona-Gegner" geschlagen, getreten oder zu Boden gestoßen werden, oder einzelne Polizisten sogar die Berichterstattung behindern. Im Rahmen von Polizeiausbildung und Polizeiweiterbildung, so Mihr, müsse die Essenz von Pressefreiheit besser vermittelt werden.
Auch Andrea Czepek, Professorin an der Jade-Hochschule für Journalistik, betont, dass der Beruf für Journalistinnen und Journalisten in Deutschland gefährlicher geworden ist: "Es gibt zwar keine staatliche Gewalt gegen Journalisten, wie etwa in Südamerika, aber es existieren Bedrohungen. Besonders, wenn Journalisten in gefährlichen Milieus recherchieren, wie im organisierten Verbrechen." Medienschaffende benötigten daher einen Schutz nicht nur durch die Polizei, sondern auch durch den Arbeitgeber. Die Arbeitsbedingungen für Journalisten, sagt Czepek, hätten sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Digitalisierung und Medienkonzentration schränkten die Freiräume für investigativen, kritischen Journalismus ein. Um Themen umfangreich zu recherchieren, benötigen Journalistinnen und Journalisten jedoch Zeit und finanzielle Mittel.
Vorbilder: Was machen andere Länder besser?
Im Vergleich zu den skandinavischen Ländern, die in Rankings zur Pressefreiheit meist besser abschneiden, findet in Deutschland wenig aktive Presseförderung statt. Gibt es beispielsweise in Finnland in einer Stadt nur eine Zeitung, dann unterstützt der Staat eine zweite unabhängige Zeitung, die eine andere politische Richtung vertritt. Für Professorin Andrea Czepek ist das kein Widerspruch, denn der Staat mische sich nicht inhaltlich ein, sondern er schaffe einen Rahmen, in dem mehr Meinungen öffentlich diskutiert werden können. Eine ähnliche Unterstützung erhalten in Deutschland Bildungs- und Forschungseinrichtungen. Freie Marktwirtschaft, die auch bei der journalistischen Berichterstattung in Deutschland mitbestimmt, neige hingegen zu Monopolbildung, betont Andrea Czepek.
Um die Pressefreiheit zu bewahren, sei eine internationale Regulierung nötig, fordern sowohl die Wissenschaftlerin Andrea Czepek als auch die Organisation "Reporter ohne Grenzen". Für das Internet und für soziale Plattformen fehlt es an einer globalen Strategie, die Pressefreiheit zu gewährleisten. Auf EU-Ebene existieren zwar Gesetze, doch es werden meist keine einheitlichen Sanktionsmaßnahmen von allen EU-Ländern getroffen. Oftmals sind die wirtschaftlichen Beziehungen wichtiger als eine freie, kritische Berichterstattung. Deshalb kann in Ungarn und Polen weiterhin eine Zensur durch den Staat stattfinden.