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Musikforschung Musik als Medizin

Auch wenn bei Demenzkranken vieles in Vergessenheit gerät, an Musikstücke aus ihrer Jugend können sie sich meist noch erinnern. Das nutzen Musiktherapeuten gezielt, um Patienten aus ihrer Isolation herauszuführen.

Stand: 01.03.2021

Es gibt mittlerweile kaum einen Bereich in der Krankenmedizin, in der nicht versucht wird, mit Musik gesundheitsfördernde Effekte zu erzielen: In der Schmerztherapie, bei Tinnitus, Schlaganfall, Depression, Parkinson und Demenz versuchen Musiktherapeuten ihr Wissen einzubringen, um den Kranken zu helfen.

Fröhliche Musikstücke verringern bei Patienten die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Blut. Während einer Operation benötigen sie daher weniger Narkosemittel. Eine Studie im Fachblatt "The Lancet" von August 2015 zeigt: Schmerzempfinden und Angstgefühle nach einer OP waren im Durchschnitt geringer, wenn Patienten davor, während oder danach Musik hörten. Britische Forscher hatten 72 Fachartikel zu dem Thema ausgewertet - insgesamt flossen Daten von mehr als 7.000 Probanden ein.

Mit Musik lässt sich der Heilungsprozess eines Patienten unterstützen.

Nach einem Schlaganfall versuchen Menschen mit Musik ihre Bewegungen wieder zu koordinieren. Tinnitus-Patienten kann speziell bearbeitete Musik dabei helfen, das störende Pfeifen im Ohr wieder loszuwerden. Bei Menschen mit Alzheimer oder anderen Demenzerkrankungen vermag gemeinsames Singen Aggressionen zu mildern, und die Lieblingsmusik ist in der Lage, verblasste Erinnerungen zurückzuholen.

Wie wirkt Musiktherapie?

In der Neurologischen Frührehabilitation am Klinikum Bogenhausen in München werden Patienten mit erworbenen Hirnschädigungen behandelt. Es geht um Menschen, die durch Verkehrsunfälle, durch Schlaganfälle, Hirntumore stark beeinträchtigt sind in ihrem Leben, die auch ihre Kommunikationsfähigkeit verloren haben und auf Pflege angewiesen sind.

Monochord mit drei Saiten - Musikinstrument | Bild: Heinz Schmitz / CC-BY-SA-2.5 / Wikipedia

Monochord mit drei Saiten

Gearbeitet wird überwiegend mit einfachen Saiteninstrumenten, mit Monochorden, mit verschiedensten Arten von Xylophonen, mit Glocken, Trommeln, mit Klangschalen und Gongs. Instrumente, deren Klang man als beruhigend empfindet und die leicht zu spielen sind. Durch den Klang "spricht" der Musiktherapeut seine Patienten an. Die Therapie gilt als nonverbale Form der Psychotherapie.

Auch bei Frühgeborenen wird die Musiktherapie inzwischen intensiv eingesetzt. Am Unispital Zürich untersucht die Musiktherapeutin Friedericke Haslbeck in einer Studie mit 60 kleinen Probanden, ob und inwiefern Musik die Hirnentwicklung fördern kann. Hier kann das Video "Musik für Frühchen" (7:03 Min.) angeschaut werden.

Musiktherapie für die Kleinsten

Ziel der Musiktherapie ist es immer, mit Klängen den Menschen emotional zu erreichen. Sei es Patienten, bei denen kein verbaler Dialog möglich ist. Sei es, um Entspannung zu ermöglichen und positive Gefühle zu wecken. Auch in der Kinder- und Jugendpsychotherapie können die Klänge heilsam sein. Denn hier hat der Therapeut es mit jungen Menschen zu tun, die unter Autismus, Ängsten, Depressionen oder Essstörungen leiden.

Obwohl die Musiktherapie sich inzwischen von der Behandlung Frühgeborener über die Kinder- und Jugendpsychiatrie bis hin zu Demenzkranken und sogar in der Sterbebegleitung bewährt, fällt sie bislang nur im Falle eines stationären Klinikaufenthalts in den Leistungskatalog der Krankenkassen. Die ambulante Musiktherapie müssen die Patienten selbst zahlen, mit rund 50 bis 80 Euro pro Sitzung.

Gedächtnis für Musik bleibt erhalten

Die Klinik für Neurologie an der Charité in Berlin hat einen Berufs-Cellisten untersucht, der aufgrund einer Gehirnentzündung an einer schweren Form von Amnesie leidet. Während er sich nicht mehr an Freunde und Verwandte erinnern kann, verfügt er weiterhin über ein Gedächtnis für Musik, kann Noten lesen und Cello spielen. Eine systematische Untersuchung wie er Musik erinnert, legt nahe, dass das Musikgedächtnis zumindest teilweise unabhängig vom Hippocampus, dem Ort, der Gedächtnisinhalte speichert, organisiert ist.

Wirkung von Musik bei Demenzkranken

Menschen mit Demenz erinnern sich häufig noch an die Lieder aus ihrer Jugend.

Demenzkranke können sich häufig noch an Melodien und Liedtexte aus ihrer Kindheit und Jugend erinnern, auch wenn andere Dinge aus dieser Zeit bereits in Vergessenheit geraten sind. Das stellen Musiktherapeuten häufig bei ihrer Arbeit fest. Manche, die eigentlich nicht mehr laufen können, fangen an zu tanzen. Die positive Wirkung hält auch über die Therapiestunde hinaus meist noch an: Die Patienten sind aufgeweckter, ansprechbarer und ausgeglichener.

"Es gibt ein enormes Defizit im Bereich der musischen Fächer Tanzen, Musik, Gestalten, Zeichnen, Bildhauerei, aber auch in der Vermittlung von Mimik und Gestik. Im Dialog, im Dechiffrieren dessen, was die anderen bewegt, sind diese Ausdrucksmittel von unschätzbarem Wert. Aber in der Erziehung geht es darüber hinaus ja auch darum, unser kulturelles Erbe weiterzugeben, das schließlich den Menschen zum Menschen macht."

Prof. em. Dr. Wolf Singer, Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main, Abteilung Neurophysiologie

Mit Musik geht alles besser

Singen stärkt das Immunsystem, unterstreicht Eckart Altenmüller vom Institut für Musikphysiologie und Musiker-Medizin an der Musikhochschule Hannover. Das Singen in einem Chor macht Freude und Freunde. Und soziale Kontakte sind neben der medizinischen Versorgung eine wichtige unterstützende Maßnahme, um Kranke aus ihrer Isolation herauszuführen, sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun und sich gegenseitig zu stützen.

Singen im Chor ähnlich wie Yoga

Chormitglieder passen während des gemeinsamen Singens ihre Herzfrequenzen aneinander an. Das haben Forscher der schwedischen Universität Göteborg belegen können. Die gesungenen Lieder haben einen ähnlichen Effekt wie Atemübungen. Beim Ausatmen fällt der Puls, beim Einatmen steigt er an. Beim gemeinsamen Singen von Liedern entsteht so der Effekt, dass der Puls der Sänger synchron schlägt. Singen sei gesund, da man dabei ruhig und gleichmäßig atme, so die Forscher.

Behinderung ist kein Handicap

Gehörlose hören mit dem Körper

Evelyn Glennie wird von der Queen geehrt.

Auch Menschen, die hörgeschädigt oder gehörlos sind, können Musik "hören". Bekannt wurde die schottische Percussionistin Evelyn Glennie, die die Vibrationen der Töne mit ihrem Körper wahrnimmt. Sie hat gelernt, einzelne Töne über ihre Schwingungen zu unterscheiden. Meist musiziert sie barfuß. "Ich höre mit meinen Augen, Ohren, meinem Körper", sagt sie.

Blinde hören mehr

Der blinde Musiker Stevie Wonder

Unter den Sehenden kann nur jeder zehnte auf Anhieb die Höhe eines Tons bestimmen, während unter den Blinden rund 60 Prozent das absolute Gehör haben. Die Plastizität des Gehirns ist der Grund dafür. Das formbare Gehirn kann verlorengegangene Fähigkeiten kompensieren, indem es den akustischen Informationen mehr Aufmerksamkeit schenkt.

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