June Almeida Die vergessene Coronavirus-Entdeckerin

Von: Tanja Fieber / Ortrun Huber

Stand: 22.02.2022

Die Virologin June Almeida, 1930 im schottischen Glasgow geboren, besitzt einen für ihre Zeit mehr als ungewöhnlichen Lebenslauf. Als Wissenschaftlerin entdeckte und benannte sie 1964 das erste Coronavirus. Ihre Mikroskopiermethoden sind bis heute aktuell.

Virologin June Almeida | Bild: BR, picture alliance/Zoonar/Alexander Vasilyev; Montage: BR

Viren unter der Lupe: Expertin am Elektronenmikroskop

Fotografie von June Almeida in den 1960er Jahren mit einem Philips EM300-Elektronenmikroskop. | Bild: Joyce Almeida

Fotografie von June Almeida aus den 1960er-Jahren mit einem Philips EM300-Elektronenmikroskop.

June Dalziel Hart, später verheiratete Almeida, war eine Spezialistin am Elektronenmikroskop. Sie forschte zu bildgebenden Verfahren von Viren und erwarb bis zum Ende ihrer Karriere eine Reihe von Patenten auf von ihr entwickelte Techniken. Und das, obwohl sie mit 16 Jahren die Schule verließ und, da sie ihre Familie finanziell unterstützen musste, nicht studieren konnte. Ihre Arbeit hat bis heute nicht an Bedeutung verloren: Der Virologin gelang es zum Beispiel 1967, erstmals das Rötelnvirus sichtbar zu machen. Und Almeidas Methoden wurden auch in einer der ersten Publikationen chinesischer Forschender eingesetzt, die Aufnahmen des SARS-Cov-2-Virus im Januar 2020 veröffentlichten.

Schwerer Start: Almeidas Weg von der Working Woman zu akademischen Weihen

Virologin June Almeida | Bild: Joyce Almeida

Die Welt durch eine Linse sehen: June Almeida begeisterte sich als junge Frau für die Fotografie.

June Almeida war die Tochter eines Busfahrers aus Glasgow und verließ ohne höheren Abschluss die Schule. Ihre berufliche Laufbahn begann sie als Labortechnikerin für Gewebepathologie am Königlichen Krankenhaus von Glasgow (Glasgow Royal Infirmary). Es folgten die Stationen London und - mit ihrem frisch angetrauten Ehemann, einem Künstler aus Venezuela - Kanada.

Am Ontario Cancer Institute in Toronto lernte June Almeida, die ein Faible für das Fotografieren hatte, eine neue bildgebende Technologie kennen, die Elektronenmikroskopie. Sie spezialisierte sich auf die neue Methodik und wurde bald zu einer gefragten Expertin für Viren-Visualisierung. Da in Kanada die Anforderungen an eine akademische Karriere weniger streng waren, konnte sie hier eine wissenschaftliche Laufbahn auch ohne formelle Qualifikation einschlagen. In anderen Ländern wäre dies undenkbar gewesen.

Glanz entfacht: Das poetische Virus

June Almeida setzte 1963 einige Verse an den Anfang eine Fachartikels über die Klassifizierung von Viren, in Anlehnung an William Blakes berühmtes Gedicht "The Tyger".  | Bild: National Center for Biotechnology Information

"Virus, Virus, Glanz entfacht /
in der säurehalt’gen Nacht /
Welch unsterblich Aug‘ und Hand /
Hat dich in dein Maß gebannt?"

June D. Almeida setzte diese vier Verszeilen an den Anfang eines 1963 veröffentlichten Fachartikels über die Klassifizierung von Viren, in Anlehnung an William Blakes berühmtes Gedicht The Tyger. 

Die Forschung ruft: June Almeidas Rückkehr nach England

Klassifikationsschema mit elektronenmikroskopischen Bildern der Virologin June Almeida.  | Bild: JD Almeida (Oct 1963) 'A classification of virus particles based on morphology', Canadian Medical Association Journal, 89/16, 787-98, figure 8.

Klassifikationsschema mit elektronenmikroskopischen Bildern von June Almeida aus dem Jahr 1963.

1964 wurde A. P. Waterson, Professor für Mikobiologie, an der St Thomas's Hospital Medical School in London, auf Alemeidas Forschungsarbeit aufmerksam. Er überzeugte sie, nach Großbritannien zurückzukehren und in seiner Forschungsgruppe zu arbeiten. Da ihr Ehemann Kanada nicht verlassen wollte, ließ sich June Almeida schließlich scheiden und kehrte mit ihrer 7-jährigen Tochter Joyce nach Europa zurück. Hier erwarb June Almeida einen Doktortitel und entwickelte diagnostische Tests und Impfstoffe und erhielt im Laufe der Zeit auch Patente für die von ihr entwickelte Methode zur Virus-Visualisierung.

Entdeckt: Wie June Almeida das Coronavirus aufspürte

Virologin June Almeida | Bild: Joyce Almeida

June Almeida (hier im Jahr 1950) besaß keinen höheren Schulabschluss, tüftelte aber leidenschaftlich gerne am Mikroskop.

Das Coronavirus entdeckte June Almeida 1964. David Tyrell, Forschungsleiter des Medical Research Council Common Cold Unit am Harvard Hospital, hatte von einem Kollegen von Almeidas Fachwissen erfahren und schickte ihr Proben, die mit B814 infiziert waren. B814 wurde als dem Grippevirus ähnlich beschrieben - aber eben nicht genau gleich. Obwohl mit B814 infizierte Freiwillige nicht die für die meisten Erkältungen typischen Halsschmerzen bekamen, verspürten sie ungewöhnliches Unwohlsein. Und das Virus wurde durch Fettlösungsmittel neutralisiert, was bedeutete, dass B814 im Gegensatz zum durchschnittlichen Erkältungsvirus eine Lipidbeschichtung hatte.

June Almeida untersuchte die Proben, obwohl Tyrell wenig Hoffnung hatte, Neues zu erfahren. Man nahm an, dass das Elektronenmikroskop Viren nur in gereinigten, konzentrierten Proben nachweisen könne. Die vorliegenden Proben entsprachen dem ganz und gar nicht. June Almeida hingegen war optimistisch, dass sie mit ihren neuen verbesserten Techniken in der Lage sein würde, Viruspartikel in den angelegten Kulturen zu finden. Tatsächlich, so erinnert sich David Tyrrell in seinem Buch "Cold Wars: The Fight Against the Common Cold" wurden alle Hoffnungen übertroffen: "Sie erkannte alle bekannten Viren, und ihre Bilder zeigten die Strukturen wunderbar. Aber was noch wichtiger ist, sie hat Viruspartikel in den B814-Exemplaren gesehen!" Blieb nur ein Problem: Das neue Virus benötigte einen Namen. Die Bilder von B814 zeigten, dass das Virus von einer Art Heiligenschein umgeben war, ähnlich einer Sonnenkorona. Das Coronavirus war geboren.

Abgelehnt: Eine Entdeckung mit Hindernissen

Die Coronaviren 229E (2) und B814 (3) unter dem Elektronenmikroskop, 1966  | Bild: June D. Almeida and D. A. J. Tyrrell, CC0, via Wikimedia Commons

Diese erste elektronenmikroskopische Aufnahme von Coronaviren publizierte June Almeida 1967.

Als June Almeida ihre Entdeckung in einem wissenschaftlichen Fachmagazin mit Peer-Review veröffentlichen wollte, wurde sie zunächst abgelehnt. Die Begründung: Ihre Bilder seien schlechte Aufnahmen von Grippeviren-Partikeln. Erst 1967 wurden die Bilder im "Journal of General Virology" veröffentlicht - in einem Artikel, den sie gemeinsam mit ihrem männlichen Kollegen David Tyrell publizierte.

Weitgehend unbekannt: June Almeida - Pionierin ohne Ruhm und Ehre

Virologin June Almeida | Bild: Joyce Almeida

June Almeida im Jahr 1968.

1985 beendete June Almeida ihre Karriere, wurde aber Ende der 1980er-Jahre nochmals am St Thomas' Hospital als Beraterin bei der Visualisierung des HI-Virus hinzugezogen. Im Ruhestand ließ sich Almeida als Yoga-Lehrerin ausbilden. Zudem betrieb sie mit ihrem zweiten Ehemann einen Antiquitätenhandel.

2007 starb Almeida in Bexhill nach einem Herzinfarkt, sie wurde 77 Jahre alt. Doch erst 13 Jahre nach ihrem Tod wird die Bedeutung von Almeidas Forschung einer größeren Öffentlichkeit bekannt. In der Covid-19-Pandemie steht das Coronavirus plötzlich im Fokus. June Almeida, als dessen Entdeckerin, erhält erst jetzt die ihr gebührende Anerkennung. Zahlreiche Fachbeiträge und populärwissenschaftliche Artikel zu June Almeidas Person und Forschung und auch zwei englischsprachige Kinderbücher sind inzwischen über die Virologin erschienen. Eine ausführliche Biographie sucht man indes derzeit noch vergebens.