FrauenGeschichte - Frauen schreiben Geschichte Mary Wortley Montagu bringt die Pockenimpfung nach Europa
Mary Wortley Montagu ist nicht nur Schriftstellerin, Reiseliteratin und frühe Feministin - 150 Jahre bevor es das Wort überhaupt gibt. Sie treibt mutig die Pockenimpfung voran und schreibt Medizingeschichte.
Die englische Lady Mary Wortley Montagu (1689 bis 1762) ist attraktiv, charmant, schlau und wissbegierig. Sie verfügt über eine spitze Zunge und einen ausgeprägten Willen, mit dem sie vieles Unmögliche möglich macht.
Mary Wortley Montagu setzt sich bei Bildung und Heirat durch
FrauenGeschichten
Als Heranwachsende gibt sie sich nicht mit dem für sie vorgesehenen Unterricht im Zeichnen, Kochen, Handarbeiten und Reiten zufrieden: Sie liest viel. Mithilfe der väterlichen Bibliothek bringt sie sich heimlich Latein und Französisch bei und vertieft sich in "verbotene" philosophische oder politische Abhandlungen. 1712 heiratet sie gegen den ausdrücklichen Willen ihres Vaters Edward Wortley Montagu, den Mann ihrer Wahl. 1713 kommt ihr Sohn Edward zur Welt.
Mary Wortley Montagu bekommt Pocken und wird entstellt
1713 stirbt ihr 20-jähriger Bruder an Pocken. Zwei Jahre später erkrankt sie selbst und überlebt nur knapp, schwer gezeichnet durch tiefe Narben, ohne Wimpern und Augenbrauen.
Weil Frauen mit vernarbter Haut damals als "moralisch verkommen" gelten, zeigt sich Mary Wortley Montagu fortan nur noch mit Schleier in der Öffentlichkeit.
Mit ihrem Mann geht Mary Wortley Montagu nach Konstantinopel
Das Osmanische Reich
Das Osmanische Reich existierte vom 13. bis ins 20. Jahrhundert und umfasste ein riesiges Gebiet. Zeitweise erstreckte es sich von Südosteuropa bis zum Schwarzen Meer und Nordafrika.
1716 wird ihr Mann Edward Wortley Montagu Botschafter am Osmanischen Hof in Konstantinopel (heute Istanbul). Sie begleitet ihn und lässt sich auf das für sie Fremde fasziniert ein. Damals keine Selbstverständlichkeit, gilt das Osmanische Reich in England doch als "barbarisch". Doch Mary Wortley Montagu bevorzugt es, sich ihre eigene Meinung zu bilden: Sie lernt eifrig Sprache, Religion und Kultur kennen und schildert ihre Beobachtungen in Briefen, die posthum als "Turkish Embassy Letters" veröffentlicht werden.
Mary Wortley Montagu schwärmt von ihrer neuen Heimat
Alle Porträts
In ihren Briefen beschreibt sie Land und Leute nicht nur in leuchtenden Farben, sondern teilt auch allerlei gewitzte Seitenhiebe aus: Einem befreundeten Kleriker etwa schreibt sie, dass die Moschee in Adrianopel (heute Edirne, die westlichste Großstadt der Türkei) das schönste Bauwerk sei, das sie je gesehen habe. Die Moscheeräume seien eben "nicht durch geschmacklose Statuen und Bilder entstellt, die den katholischen Kirchen zumeist das Ansehen von Spielwarenläden geben". Und mit Blick auf die Behauptung anderer Reiseliteraten, dass die Osmanen in der Stadt gewütet haben, stellt sie klar: "Alle Statuen hier haben noch ihre Köpfe."
Mary Wortley Montagu probiert Pockenimpfung an ihrem Sohn
FrauenGeschichte-Instagram
Bei ihrem Aufenthalt wird sie Zeugin einer Impfung mit intakten Pockenviren: Sie beobachtet, wie alte Frauen gesunden Kindern etwas Pustel-Flüssigkeit von Kranken injizieren, woraufhin die Behandelten kurz und leicht erkranken und anschließend immun sind.
Mary Wortley Montagu wagt das Experiment und lässt die Behandlung 1718 erfolgreich bei ihrem Sohn anwenden.
Mary Wortley Montagu auf einen Blick:
- 1689: Geboren am 26. Mai 1689 in Thoresby, Nottinghamshire.
- 1712: Hochzeit mit Sir Edward Wortley Montagu.
- 1713: Geburt des gemeinsamen Sohnes und Tod ihres Bruders.
- 1715: Mary Wortley Montagu erkrankt selbst an Pocken.
- 1716 - 1718: Aufenthalt in Konstantinopel, wo sie 1718 ihren Sohn impfen lässt und im selben Jahr ihre Tochter zur Welt bringt. Danach Rückkehr nach England.
- 1721: Impfung ihrer Tochter.
- 1739: Lady Mary verlässt ihren Mann und zieht auf das europäische Festland, wo sie die nächsten 25 Jahre unter anderem in Avignon, Brescia und Venedig lebt. Als sie sich in den venezianischen Grafen Francesco Algarotti verliebt, trennt sie sich endgültig von Edward Wortley Montagu.
- 1761: Tod ihres Mannes Edward Wortley Montagu.
- 1762: Mary Wortley Montagu kehrt nach England zurück und stirbt dort am 21. August 1762 an Brustkrebs.
Mary Wortley Montagu überzeugt Georg I. von Pockenimpfung
Zurück in England, wo 1721 die Pocken ausbrechen und viele Tote fordern, lässt Mary Wortley Montagu auch ihre damals dreijährige Tochter impfen. Außerdem wirbt sie für die dort unbekannte Methode und überzeugt König Georg I. davon, zwei seiner Enkelinnen zu behandeln. Von da an verbreitet sich die Impfung mit intakten Pockenviren in Großbritannien, bleibt aber weiterhin stark umstritten, zumal nicht alle Behandelten überleben. Erst 1796 entwickelt der Arzt Edward Jenner - aufbauend auf Montagus Erkenntnissen - mit der Vakzination ein besseres und sichereres Verfahren.
Zu Lebzeiten hatte Mary Wortley Montagu Ruf zwischen "Hexe" und "Engel"
Mary Wortley Montagu gilt zu Lebzeiten bei vielen als geisteskranke Betrügerin, die Kinder mit tödlichen Krankheiten infiziert, ja sogar als Hexe und Hure. Für andere ist sie zumindest kurzzeitig ein Star und der "Engel der Pockenkranken". Doch viel zu schnell gerät ihre mutige Pionierleistung in Vergessenheit.
"FrauenGeschichte" auf Instagram
Viel zu oft standen Frauen, die Großes geleistet haben, im Schatten der Männer. Der BR-Instagram-Kanal "FrauenGeschichte" zeigt die weibliche Perspektive auf die Vergangenheit.