Wahrheiten über das Lügen Lügen wir wirklich 200 Mal am Tag und könnt ihr Lügner erkennen?

Author: Delia Friess

Published at: 2-9-2024

200 Mal am Tag soll jeder Mensch lügen. Stimmt das? Aus welchen Gründen schwindeln wir? Wir erklären, welche Arten von Lügen es gibt, warum Notlügen hilfreich sind und ob ihr Lügner an der Körpersprache erkennen könnt.

Frau überkreuzt die Finger hinter dem Rücken. Lügen Menschen wirklich 200 Mal am Tag? Im Schnitt wohl eher zweimal am Tag - und auch mit ganz unterschiedlichen Arten von Lügen: Es gibt Weiße und Schwarze Lügen. Wir erklären die verschiedenen Gründe, warum jemand lügt, ob man Lügner an der Körpersprache erkennen kann - und wann Notlügen helfen können. | Bild: colourbox.com

Lügen-Anzahl: Wie oft lügen Menschen pro Tag?

Etwa 200 Mal am Tag soll jeder Mensch lügen, heißt es oft. "Die Zahl von 200 Lügen am Tag ist jedoch wissenschaftlich nicht erwiesen", sagt Isabella Heuser-Collier, Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin. Dem stimmt auch Matthias Gamer, Professor für Experimentelle Klinische Psychologie an der Universität Würzburg, der über Lügen forscht, zu. Die Zahl 200 Lügen am Tag sei von Jerry Jellison, damals Psychologe an der University of Southern California in den USA, vor etlichen Jahren geschätzt worden, sagt Gamer. Seitdem hält sich die Zahl hartnäckig. "Inzwischen geht man davon aus, dass Menschen durchschnittlich etwa zweimal am Tag lügen", weiß Gamer. Die Bandbreite ist jedoch groß: Manche Menschen lügen sehr viel mehr, andere weniger oder gar nicht. In manchen Untersuchungen wurde zwar festgestellt, dass Männer mehr lügen als Frauen. Das Ergebnis sei allerdings vom Kontext der jeweiligen Studie abhängig, meint Matthias Gamer. "Allgemein gibt es meist keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den Geschlechtern", sagt der Lügenforscher.

Video: Spannende Fakten über Wahrheiten und Lügen

Gründe fürs Lügen: Warum lügen Menschen überhaupt?

Ein Mann mit rot-weiß gepunktetem Hemd fasst sich an den Bauch und streckt mit der anderen Hand den Daumen hoch. Lügen Menschen wirklich 200 Mal am Tag? Im Schnitt wohl eher zweimal am Tag - und auch mit ganz unterschiedlichen Arten von Lügen: Es gibt Weiße und Schwarze Lügen. Wir erklären die verschiedenen Gründe, warum jemand lügt, ob man Lügner an der Körpersprache erkennen kann - und wann Notlügen helfen können. | Bild: colourbox.com

"Das Essen war lecker!" Am häufigsten lügen Menschen im Alltag aus Höflichkeit.

"Das Essen war lecker!" Oder: "Ja, Schatz, das Hemd steht dir gut!" Lügen im Alltag sind ein weltweites Phänomen und treten in fast allen zwischenmenschlichen Beziehungen auf. "Im Alltag lügen Menschen hauptsächlich aus Höflichkeit oder, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Solche Notlügen können Gesellschaften sogar zusammenhalten", meint Isabella Heuser-Collier. In asiatischen Ländern wie Japan flunkern Menschen aus Höflichkeit sogar öfter als in westlichen Ländern.
Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und das Technion - Israel Institute of Technology haben im Jahr 2019 565 internationale Studien über Lügen ausgewertet. Demnach tendieren jüngere Menschen eher zum Lügen als ältere. "Das kann daran liegen, dass jungen Menschen die Selbstpräsentation wichtiger ist als älteren Menschen und sie mehr soziale Kontakte, also auch mehr Möglichkeiten zu lügen, haben", sagt Matthias Gamer. Die Ergebnisse der Metaanalyse deuten auch darauf hin, dass Unehrlichkeit nicht nur an die Eigenschaft einer Person, sondern an die Umwelt geknüpft ist. Das Ausmaß an Lügen hänge demnach damit zusammen, mit welchen experimentellen Situationen und Versuchungen man Menschen in den Untersuchungen konfrontiert habe.

Oft wird von der Gesellschaft bei alltäglichen Floskeln nicht immer radikale Ehrlichkeit erwartet: Wer hört schon gerne, dass das aufgetischte Essen nicht schmeckt oder einem die neue Frisur nicht steht? "Bei schlimmeren Lügen geht es hingegen häufig darum, andere zu manipulieren und dadurch Macht über sie zu erlangen", erklärt die Psychologin Isabella Heuser-Collier. Ein typisches Beispiel sei der Heiratsschwindler.

Audio: Gründe, warum wir lügen, schwindeln und flunkern

CheckPod: Lügen - Vom Schwindeln und Flunkern

Lügen und Körpersprache: Kann man erkennen, ob jemand lügt?

Ein Gesicht eines Mannes mit verschiedenen Emotionen. Lügen Menschen wirklich 200 Mal am Tag? Im Schnitt wohl eher zweimal am Tag - und auch mit ganz unterschiedlichen Arten von Lügen: Es gibt Weiße und Schwarze Lügen. Wir erklären die verschiedenen Gründe, warum jemand lügt, ob man Lügner an der Körpersprache erkennen kann - und wann Notlügen helfen können. | Bild: colourbox.com

Ob sich Lügen durch Mikro-Expressionen im Gesicht erkennen lassen, ist umstritten. Es ist also nicht sicher, ob man Lügen an der Mimik erkennt.

Das Auge blinzelt, der Blick geht nach oben, das Herz schlägt schneller, jemand schwitzt oder fasst sich an die Nase. Kann man so Lügen erkennen und Lügner entlarven? Psychologen, Ärzte, Kriminalisten und Sicherheitsexperten arbeiten daran, Lügen zu erkennen. Das Erkennen von Lügen ist vor allem wichtig, um Gewalt, Verbrechen und Suizide zu verhindern oder aufzuklären.

Die Psychologen Paul Ekman und Wallace Friesen aus den USA haben die menschliche Mimik analysiert. Die Forscher legten isoliert lebenden Völkern Fotos von Menschen mit verschiedenen Gesichtsausdrücken vor. Die Menschen ordneten die Mimik bestimmten Gefühlen wie Wut, Ekel oder Freude zu. Die Einschätzungen der Gefühle deckte sich mit westlichen Annahmen. Ekman und Friesen kamen deshalb zu dem Schluss, dass unsere Gesichtsmimik weltweit mit den gleichen Gefühlen verknüpft ist: Lachen und zusammengekniffene Augen werden beispielsweise mit Freude assoziiert. Sie schlussfolgerten deshalb, dass unsere Muskeln im Gesicht mit bestimmten Hirnregionen verknüpft sein müssen. Darauf beruhend entwickelten sie in den 1970er-Jahren das Facial Acting Coding System, einen inzwischen in der Wissenschaft etablierten Leitfaden der menschlichen Mimik.

Später ergänzte Paul Ekman: In Form von Mikro-Expressionen würden sich die wahren Gefühle für Bruchteile einer Sekunde zeigen. Dann könnten zum Beispiel schnell ein Lächeln, ein anderer Gesichtsausdruck oder ein trauriger Schleier über das Gesicht huschen. Oft würde man diese Mikro-Expressionen nur auf Videoaufnahmen in Zeitlupe erkennen. Die Annahmen Ekmans stoßen jedoch auf Kritik: "Es kann passieren, dass man in unpassenden Situationen lächelt, obwohl man aufrichtig ist", erklärt Matthias Gamer. Und: "Ein vermeintlicher Terrorist am Flughafen, den man aufgrund von Nervosität verdächtigt, kann einfach ein Fluggast sein, der unter Flugangst leidet". Auch andere Methoden, wie Lügen an den Augenbewegungen abzulesen, sind stark umstritten. Die Zuverlässigkeit dieser Hinweise ist wissenschaftlich nicht erwiesen. Dass man Lügen an der Mimik erkennt, darauf sollte man sich also nicht verlassen.

Polygraphen, sogenannte Lügendetektoren, werden zwar in einigen Ländern sogar vor Gericht eingesetzt, sind aber auch nicht immer zuverlässig: Ein erhöhter Herzschlag kann auf gesteigerte Aufgeregtheit aufgrund des Verdachts, dem die Person ausgesetzt ist, zurückzuführen sein. In Deutschland ist der Lügendetektor deshalb als Beweis vor Gericht nicht zugelassen.

Matthias Gamer zufolge sei der sogenannte Tatwissen-Test effektiver. Dabei werden Details zu einem Tathergang abgefragt, während körperliche Reaktionen mit einem Polygraphen gemessen werden. Reagiert ein Verdächtiger dabei beispielsweise stärker auf eine mögliche Tatwaffe als auf eine neutrale Alternative, könne das ein Hinweis auf Täterwissen sein. Die Methode werde bereits in Japan umfangreich eingesetzt, in Deutschland gebe es jedoch noch keine Anwendung des Verfahrens, so Gamer.

Audio: Ist die Wahrheit eine Tugend?

Lügen: Die Wahrheit - Eine altmodische Forderung?

Lügen: Harmloses Flunkern, prosoziale Notlüge oder inakzeptable Lüge?

Schwarze Fragezeichen auf weißen Zetteln. Lügen Menschen wirklich 200 Mal am Tag? Im Schnitt wohl eher zweimal am Tag - und auch mit ganz unterschiedlichen Arten von Lügen: Es gibt Weiße und Schwarze Lügen. Wir erklären die verschiedenen Gründe, warum jemand lügt, ob man Lügner an der Körpersprache erkennen kann - und wann Notlügen helfen können. | Bild: colourbox.com

In der Forschung spricht man von Weißen und Schwarzen Lügen. Weiße Lügen sind prosozial, Schwarze Lügen richten hingegen öfter Schaden an.

Was versteht man eigentlich unter einer Lüge? Wann handelt es sich um eine Schwindelei aus Höflichkeit, wann um unbedeutendes Flunkern, um Konflikten oder langen Erklärungen aus dem Weg zu gehen, und wann um eine schlimme Lüge? Gibt es Lügen, die weniger Schaden anrichten als andere? Forscher sprechen in diesem Zusammenhang von sogenannten "White Lies" und "Black Lies", also Weißen Lügen und Schwarzen Lügen.

Weiße Lügen dienen häufig einem sozialen Zweck und werden deshalb auch als prosoziale Lügen bezeichnet: Notlügen aus Höflichkeit können zum Beispiel Harmonie herstellen. Eine Studie der Universität San Diego in den USA kam 2011 zu dem Ergebnis, dass es unter den White Lies ebenfalls Unterschiede gibt: Die Forscher unterscheiden zwischen altruistischen Weißen Lügen, die anderen helfen sollen, und sogenannten "Pareto White Lies", die sowohl dem Lügner selbst als auch anderen helfen. Demzufolge werden altruistische Notlügen von vielen Menschen als weniger verwerflich angesehen als "Pareto White Lies". Die Grenzen können dabei jedoch verschwimmen und es kann individuell verschieden und situationsbedingt sein, was jemand als eine verzeihliche Flunkerei, als Notlüge aus Höflichkeit oder inakzeptable Lüge ansieht. "Es kommt dabei auch auf die Situation und Absicht hinter der Lüge an", sagt Psychologe Matthias Gamer.

Bestimmte Situationen triggern Lügen stärker als andere: Zum Beispiel, wenn Wettbewerb und Selbstpräsentation eine große Rolle spielen. In Situationen, die von Vertrauen geprägt sind, kommt es seltener zu Höflichkeitslügen. Schwarze Lügen sind häufig vorsätzlich, manipulativ und sollen dem Lügner einen Vorteil und Macht über andere verschaffen. Diese Schwarzen Lügen richten häufiger Schaden an als Weiße Lügen.

"Wir sollten Lügen nicht immer mit Moral verknüpfen", meint der Lügenforscher Matthias Gamer. Es gebe durchaus Lügen, die sogar positiv sein können: Zum Beispiel, wenn Menschen, die in Diktaturen verfolgt werden, lügen, um sich und andere zu schützen.

Video: Funktioniert radikale Ehrlichkeit?

Lügen aus Höflichkeit: Lügen halten Gruppen zusammen

"Weiße Notlügen können einen gesellschaftlichen Nutzen haben", sagt die Psychologin Isabella Heuser-Collier. "Ohne Höflichkeit würde unsere Gesellschaft wahrscheinlich nicht funktionieren." Auch eine Studie von mexikanischen und finnischen Wissenschaftlern kam 2015 zu dem Schluss, dass in Gruppen, in denen unterschiedliche Meinungen vorherrschten, prosoziale Lügen sogar verbindend wirken können. Laut dem Lügenforscher Matthias Gamer können prosoziale Lügen durchaus als ein "sozialer Klebstoff" dienen.

Säuglinge und Kleinkinder können noch nicht lügen. Eine Studie aus den USA kam 2015 zu dem Ergebnis, dass bereits größere Kinder prosoziale Lügen nutzen, um Stimmungen zu verbessern. Aber Erwachsene gehen ja auch nicht immer mit gutem Beispiel voran: Wer kennt nicht die Lüge vom Weihnachtsmann? Das Erlernen von prosozialen Lügen kann sowohl positive als auch negative Folgen haben, meint die Psychologin Isabella Heuser-Collier: "Säuglinge oder ganz kleine Kinder zeigen zum Beispiel deutlich, wenn sie nicht angefasst werden möchten: Sie fangen an zu weinen. Werden Kinder älter, lernen sie, höflich zu reagieren, wenn die Oma sie umarmen möchte." Solche antrainierten Höflichkeitslügen sind also nicht immer gut. Kinder hören dadurch weniger auf die eigenen Gefühle und lernen nicht, Grenzen zu ziehen.

"Gerade in der Erziehung von Kindern ist der Umgang mit Lügen ein schmaler Grat. Erwachsene leben Kindern nicht immer vor, authentisch zu sein. Es gibt aber Situationen, in denen es wichtig ist, die Wahrheit zu sagen und aufrichtig zu sein. Ein Beispiel ist die Frage an das eigene Kind, ob es Drogen konsumiert. Eine Lüge hat hier Auswirkungen auf die Gesundheit und die Zukunft des Heranwachsenden und auch auf das Vertrauensverhältnis in der Familie", sagt Psychologe und Lügenforscher Matthias Gamer.

Zitat: Lügen dienen als sozialer Klebstoff

"Lügen sind nicht immer verwerflich oder zu verteufeln. Prosoziale Lügen können als 'sozialer Klebstoff' hilfreiche Strategien sein, um besser miteinander umzugehen."

Matthias Gamer, Professor für Experimentelle Klinische Psychologie, Universität Würzburg

Video: Mit Lügen und Schwindlern im Alltag umgehen

Tipps: Wie ihr mit Lügen und Lügnern umgehen könnt

Frau verschrenkt die Arme vor der Brust. Lügen Menschen wirklich 200 Mal am Tag? Im Schnitt wohl eher zweimal am Tag - und auch mit ganz unterschiedlichen Arten von Lügen: Es gibt Weiße und Schwarze Lügen. Wir erklären die verschiedenen Gründe, warum jemand lügt, ob man Lügner an der Körpersprache erkennen kann - und wann Notlügen helfen können. | Bild: colourbox.com

Falls ihr euch hintergangen fühlt, solltet ihr den Lügner darauf ansprechen.

"Hat man ernsthaft das Gefühl, hintergangen oder angelogen zu werden, sollte man das ansprechen. Bei schlimmen Lügen geht es darum, andere zu manipulieren und Macht über sie zu gewinnen. Ein Machtvorteil kann auch immer gefährlich werden", sagt Isabella Heuser-Collier, Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin.

In der Partnerschaft ist es Psychologen zufolge ebenfalls durchaus sinnvoll, Probleme und Meinungsverschiedenenheiten anzusprechen und konstruktiv zu streiten, statt über Konflikte zu schweigen.

Aber wie sollen wir mit Höflichkeitslügen umgehen? Zunächst könnt ihr hinterfragen, wie empfänglich ihr für (Selbst-)Täuschungen seid und warum. "Bis zu einem gewissen Grad können Selbsttäuschungen sinnvoll sein", erklärt Isabella Heuser-Collier. Das hilft beispielsweise dabei, ein Selbstbewusstsein aufzubauen oder zu erhalten und seine Ziele zu verfolgen. Aber auch im Alltag kann man den Rahmen schaffen, Höflichkeitslügen zu reduzieren. Ihr könnt Kritik auch nett und höflich formulieren, statt aus Höflichkeit zu lügen. Andersherum könnt ihr freundlich und offen für Kritik oder für euch unangenehme Wahrheiten sein.

Es kann auch helfen, Floskeln und Notlügen aus Höflichkeit mit etwas Humor zu nehmen. Es macht wenig Sinn, jede Bemerkung im Alltag zu hinterfragen, insbesondere, was höfliche, zustimmende Komplimente angeht. Und: Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden. Bei Floskeln im Alltag wie ein Lob für das gekochte Essen, die zur sozialen Norm gehören, könnt ihr nachsichtiger sein: Ein gewisses Maß an Höflichkeit gehört schließlich zu einem guten Miteinander dazu. Vertraut besonders auf die Meinungen von Personen, die euch wichtig sind. Überlegt euch außerdem, ob eine unehrliche Notlüge dem anderen wirklich so guttut, wie ihr glaubt. Vielleicht gefällt der anderen Person eine ehrliche Ansage im ersten Moment nicht, aber vielleicht schätzt sie eure Ehrlichkeit auf Dauer umso mehr.

Sendungen und Quellen: Mehr Wissen über Lügen