Empathie So wichtig ist unser Einfühlungsvermögen

Von: Marisa Gierlinger

Stand: 12.04.2023

Wer empathisch ist, kann sich in andere hineinversetzen und mit ihnen fühlen. Ein gutes Einfühlungsvermögen verspricht sogar beruflichen Erfolg. Aber kann man Empathie lernen? Und wann schadet zu viel Mitgefühl?

Zwei Hände halten eine Hand. Wer empathisch ist, kann sich in andere hineinversetzen und mit ihnen fühlen. Ein gutes Einfühlungsvermögen ist auch für beruflichen Erfolg wichtig. Kann man Empathie lernen? Und wann schadet zu viel Mitgefühl? Was unser soziales Gehirn Psychologen verrät. | Bild: colourbox.com

Empathie: Kognitiv, emotional oder sozial?

Wenn wir von Empathie sprechen, meinen wir oft unterschiedliche Dinge. Versteht mich die andere Person? Kann sie sich in meine Lage hineinversetzen? Fühlt sie sogar mit mir? Empathiefähigkeit ist eine wünschenswerte Eigenschaft, ein zwischenmenschlicher Wert. Darin sind sich die meisten einig. Empathische Menschen gelten als aufmerksam und rücksichtsvoll, als gute Zuhörer. Psychologen und Neurowissenschaftler sehen das differenzierter. Den Forschungsbereich haben sie lange in zwei Lager unterteilt: die emotionale und die kognitive Empathie. Heute sieht man Empathie zunächst als soziale Emotion: eine unmittelbare Gefühlsreaktion auf die Gefühle und Zustände anderer. Das steht auch im Einklang mit der Wortherkunft: Wie die Sympathie leitet sich die Empathie vom altgriechischen Wort pathos ab, das für Leid, Leidenschaft oder eine starke Gefühlsregung steht. In Abgrenzung zu dieser emotionalen Gewichtung gibt es inzwischen die Theory of Mind: die kognitive Fähigkeit, die Perspektiven und Absichten anderer mittels Vernunft zu verstehen und einzuordnen.

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Verhalten: Empathisch ist nicht gleich gut

Die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Grit Hein. Sie beschäftigt sich mit der sozialen Emotion Empathie und untersucht, was unser Einfühlungsvermögen mit unserem Gehirn und unserem Verhalten macht. | Bild: UKW, Cordula Buschulte

"Meist wird Empathie mit etwas Gutem gleichgesetzt: Ein empathischer Mensch ist ein guter Mensch, er verhält sich gut zu anderen. Das ist nicht zwangsläufig so. In unserem Forschungsansatz ist Empathie zunächst einmal etwas Neutrales. Ich versetze mich in den anderen hinein, ich fühle mit ihm mit. Was ich dann damit tue, das ist der zweite Schritt. Ich kann mich auch in jemanden hineinfühlen und dieses Wissen dann verwenden, um ihm zu schaden oder wehzutun. Das sehen wir beispielsweise in dysfunktionalen Paarbeziehungen."

Grit Hein, Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften an der Universität Würzburg

Neurobiologie: Was Empathie im Gehirn bewirkt

Empathie lässt uns mit anderen Menschen mitfühlen - trotzdem ist sie nicht mit dem Begriff des "Mitgefühls" gleichzusetzen. Das zeigt sich auch im Gehirn: Mitgefühl versetzt uns in einen positiven Zustand der Fürsorge, es aktiviert das Belohnungssystem. Empathie hingegen tritt da zutage, wo auch Sinneseindrücke und Körperempfindungen wie Schmerz, Durst oder Übelkeit auf die Großhirnrinde treffen: in der sogenannten Inselrinde. "Am besten lässt sich das am Beispiel des Schmerzes erklären, das ist auch am besten untersucht", sagt die Psychologin Grit Hein. "Ich sehe, wie Sie sich in den Finger schneiden und aktiviere ähnliche Hirnareale, wie wenn ich mich selbst in den Finger schneide. Grob gesagt ist das die Simulationsidee: Mein Gehirn simuliert Ihren Schmerz und benutzt dazu die Hirnareale, in denen mein eigener Schmerz verarbeitet wird."

Empathie bei Kindern: Vom Selbst zum Anderen

"Wir kommen nicht mit Empathiefähigkeit auf die Welt, aber mit einer Art Vorstufe. Das zeigt sich darin, dass schon Neugeborene auf soziale Reize sehr stark reagieren. Das müssen sie auch, weil sie auf sozialen Kontakt angewiesen sind. Ein Baby schreit, wenn andere Babys schreien - es weiß aber nicht, warum. Also dass die Emotionen die Emotionen der anderen sind. Mit anderthalb bis zwei Jahren fangen Kinder dann an, ein sogenanntes Selbstkonzept zu entwickeln. Das ist ein wichtiger Entwicklungsschritt: Sie erkennen sich als eigene Personen mit eigenen Emotionen. Ungefähr dann fangen sie auch an, andere zu trösten und gezielt auf die Gefühle anderer einzugehen. Das ist dann sozusagen der Startpunkt der erwachsenen Empathiefähigkeit."

Grit Hein, Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften an der Universität Würzburg

Gewaltfreie Kommunikation: Mit Kindern empathisch und wertschätzend sprechen

Studie: Empathie als evolutionärer Vorteil

Ein Schwarm aufgescheuchter Zebrabärblinge. Die Fische können eine Art Vorstufe von Empathie empfinden: Sie fühlen, wenn ihre Artgenossen Angst haben. Diese soziale Emotion des Mitfühlens ist ein evolutionärer Vorteil.  | Bild: picture-alliance/WILDLIFE/D.Harms

Zebrabärblinge spüren die Angst von Artgenossen - eine Vorstufe der Empathie. Dieses Einfühlungsvermögen ist für sie überlebenswichtig.

Die Fähigkeit zur Empathie könnte sehr alte Ursprünge haben - und einen wichtigen evolutionären Zweck erfüllen. Das legte eine im Fachmagazin "Science" veröffentlichte Studie im März 2023 nahe. Bereits vor Millionen von Jahren könnte sich diese Eigenschaft unter prähistorischen Tieren entwickelt haben. Die Studie zeigte nun: Fische können Angst bei anderen Fischen erkennen - und empfinden sie dann selbst. Ausgelöst werde dieser Vorgang vom Hormon Oxytocin, das Neurologen mit der menschlichen Empathiefähigkeit in Zusammenhang bringen. Entfernten die Forscher bei Zebrabärblingen die für Oxytocin zuständigen Gene, so konnten diese sich nicht mehr am Verhalten ihrer Artgenossen orientieren. Injizierte man diesen Fischen wiederum Oxytocin, konnten sie die Furcht anderer Fische wieder wahrnehmen und spiegeln. Die Forscher sprechen von einer "emotionalen Ansteckung", also einer Vorform von Empathie. Die Angst eines anderen Gruppenmitglieds zu spüren und zu teilen könnte schon früh überlebenswichtig gewesen sein, um Gefahren zu kommunizieren.

Anschauen: Kann man Empathie lernen?

Altruismus: Macht Empathie uns hilfsbereit?

"Der Zusammenhang zwischen Empathie und Altruismus ist sehr stark. Das haben viele Studien gezeigt. Je stärker die Empathie, desto stärker die Hilfsbereitschaft. Wichtig dafür ist das Gefühl, dass man auch helfen kann. Das kann auch von außen kommen: Wenn wir wollen, dass Menschen ihre Empathie in diese gute, hilfreiche Richtung entwickeln, sollten wir dafür sorgen, dass es Möglichkeiten gibt zu helfen, die für den Einzelnen auch umsetzbar sind."

Grit Hein, Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften an der Universität Würzburg

Online-Kommunikation: Empathie in den Sozialen Medien

  • Soziale Emotionen finden da statt, wo Menschen miteinander interagieren. Das Internet hat dafür viele neue Räume geschaffen und vernetzt Menschen weltweit.
  • Einsame Menschen und Minderheiten können sich auf Social Media zu Gemeinschaften zusammenschließen. Es entstehen Gruppen, die sich gegenseitig bestärken.
  • Auch nach Tragödien kommt es online zu Gesten der Solidarität und des Mitgefühls. Die Message an Betroffene: Ihr seid nicht allein - wir teilen euren Schmerz.
  • Noch nie waren Hass und Häme omnipräsenter als heute. Das Internet senkt für viele die Hemmschwelle und verschiebt die Grenzen des Sagbaren im zwischenmenschlichen Kontakt.
  • Anonymität und fehlender Face-to-Face-Kontakt schützen User vor den Konsequenzen ihrer empathielosen Kommentare. Zudem entmenschlichen sie das Gegenüber, wodurch wir weniger Empathie empfinden.
  • Die "Echokammern" vieler Plattformen tragen zur Radikalisierung von Usern bei. Außerdem sind kontroverse und emotional aufrührende Posts oft sichtbarer, weil sie mehr und stärkere Reaktionen hervorrufen.

Mobbing und co: Sind wir heute weniger empathisch?

"Ich denke, wir sind genauso empathiefähig wie vor zwanzig, fünfzig oder vor hundert Jahren. Aber wir reagieren natürlich auf unsere Umwelt. Und wenn es zunehmend so ist, dass auch sehr antisoziale Verhaltensweisen geduldet und teilweise auch vorgelebt werden, beispielsweise im Rahmen von Social Media, dann ist das schon etwas, was Empathie unterbindet."

Grit Hein, Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften an der Universität Würzburg

Verhaltensforschung: Mitgefühl mit Tieren

Ein Hund bettelt traurig um Aufmerksamkeit bei seinem Herrchen. Wir empfinden Empathie nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere. Einfühlingsvermlögen und Mitgefühl für andere Lebewesen zu haben sind wichtige soziale Funktionen, unterscheiden sich jedoch im Gehirn. | Bild: picture-alliance/Westend61|Vira Simon

Unsere Empathie gilt nicht nur anderen Menschen. Wir können auch empathisch mit Tieren fühlen - und sie teilweise sogar mit uns.

Der Mythos, der Mensch allein habe die Fähigkeit, sich in andere einzufühlen, ist heute weitgehend entkräftet. In den vergangenen Jahrzehnten untersuchten Verhaltensforscher Tiere in Hinblick auf ihr Geistes- und Gefühlsleben. Bei etlichen Spezies konnten sie Belege für soziale Intelligenz, darunter Ansätze zur Empathiefähigkeit, feststellen. Tiere registrieren es, wenn andere Tiere leiden, spiegeln das Verhalten oder spenden Trost. Und das sogar artübergreifend. Umgekehrt kann es ein Warnsignal sein, wenn Menschen kein Mitgefühl mit anderen Lebewesen haben. Wer als Kind Tiere quält, hat ein erhöhtes Risiko, später Menschen gegenüber gewalttätig zu werden.

Grenzen der Empathie: Mit wem wir (nicht) fühlen

Empathie kennt innere und äußere Grenzen. Studien bescheinigen Frauen eine höhere Empathiefähigkeit als Männern, und jungen mehr als alten Menschen. Dazu kommen noch andere Faktoren. Menschen mit Autismus fällt es beispielsweise oft schwerer, die Gefühle anderer nachzuempfinden. Allgemein gilt: Die Empathie ist größer, wenn wir uns mit Menschen identifizieren. Ein Krieg in Europa geht uns buchstäblich näher als Elend, das sich weiter weg abspielt. Diese Tendenz sieht die Psychologin Grit Hein auch immer wieder bei Probanden: "Unsere Forschung zeigt, dass Empathie stärker ist gegenüber Menschen, die wir als uns ähnlich empfinden. Die zur eigenen sozialen Gruppe gehören. Das kann natürlich dazu führen, dass anderen, die nicht zu dieser Gruppe gehören, weniger Empathie entgegengebracht wird. Insofern kann Empathie auch Ausschluss und diskriminierende Verhaltensweisen hervorrufen." Experten sprechen dabei von Bias, also einer Voreingenommenheit oder Parteilichkeit. Die spiele bei der Empathie eine große Rolle, sagt Grit Hein. Aber: Man könne sie auch "überlernen". "Das geschieht vor allem dann, wenn man positive Erfahrungen mit Fremdgruppenmitgliedern macht. Auch Bedürftigkeit ist ein Aspekt, der Empathie verstärkt."

Zu viel Mitgefühl: Kann Empathie schaden?

"Empathie kann die Grundlage für ein gutes und kooperatives Miteinander sein. Dafür muss ich es schaffen, die Empathie, die ich empfinde, in die richtigen Bahnen zu leiten, damit sie in prosoziales Verhalten mündet. Aber Empathie kann auch den entgegengesetzten Effekt haben. Wir sprechen dann von personal distress, also eine Art Stress oder Burn-Out, den Empathie erzeugen kann. Selbstfürsorge ist hier wichtig: Wenn es mir selbst gut geht, wenn ich stressresistent bin, dann kann ich auch mit dem Leid anderer gut umgehen. Dann kann ich mitfühlen, ohne dass es mich überfordert."

Grit Hein, Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften an der Universität Würzburg

Soft Skills: So wichtig ist Einfühlungsvermögen im Beruf

Eine Ärztin tröstet einen aufgewühlten Pfleger. Empathie und Einfühlungsvermögen gehören heute zu den wichtigsten Erfolgskriterien im Beruf. Vor allem bei Ärzten ist es wichtig, Patienten mit Gefühl zu begegnen und auf deren Emotionen einzugehen. | Bild: colourbox.com

In medizinischen Berufen ist Empathie ein enorm wichtiger Faktor. Zu viel Mitgefühl kann für Ärzte und Pfleger aber zur Belastung werden.

Früher wurden die sogenannten Soft Skills als weibliche Eigenschaften belächelt - heute sind sie in vielen Jobs essentiell. Für Lehrer, Ärztinnen und Manager beispielsweise ist Empathiefähigkeit ein entscheidendes Erfolgskritierium. Sie wirkt sich direkt aus auf das langfristige Wohlbefinden von Schülern, die Kooperationsbereitschaft von Mitarbeitern und sogar auf den Genesungsverlauf von Patientinnen. Für Führungskräfte werden immer mehr Schulungen im Bereich zwischenmenschlicher Kompetenzen wie Empathie angeboten. Für die Professorin Grit Hein ist das nur nachvollziehbar. "Ich denke, das sind ganz knallharte ökonomische Überlegungen, die dahinter stehen. Man hat gesehen, dass Egoismus, also Mangel an Empathie, in der Führungsetage massive Schäden hervorrufen kann. Ein einziger Egoist kann komplette Teams sprengen, Kommunikation verhindern, Kooperation unterbinden und das Unternehmen und die Institution somit nachhaltig schädigen." Empathisches Agieren im beruflichen Kontext: Was früher fast schon als Schwäche galt, kann heute der Schlüssel zum Erfolg sein. Grit Hein spricht von einem Kulturwandel, den wir im Moment beobachten können. Hier sei allerdings noch viel zu tun.

Empathie: Weitere Quellen und Infos