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Hirnforschung Wo in unserem Gehirn welche Areale liegen

Forscher wollen herausfinden, wie das Gehirn kommuniziert und was in den grauen Zellen abläuft. Dafür kartieren sie das Gehirn und die Hirnrinde in 3D. Das könnte auch neue Erkenntnisse über Krankheiten wie Parkinson und Alzheimer liefern.

Stand: 01.03.2024

Bereits 1909 erstellte der deutsche Neuroanatom und Psychiater Korbinian Brodmann eine Karte der Großhirnareale und kam auf insgesamt 52 Parzellen des menschlichen Gehirns. Seitdem gab es immer wieder neue Versuche von Neurowissenschaftlern, die Struktur der Hirnrinde zu analysieren. Die Anzahl der Areale variierte dabei zwischen 50 und mehr als 200. Das liegt unter anderem daran, dass die Oberfläche des Gehirns überall recht ähnlich aussieht. Aber auch, dass die Untersuchungsverfahren erst in den vergangenen Jahrzehnten einen klareren Blick ins Innere des Gehirns erlaubten: durch bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT).

Anatomische und funktionelle Merkmale des Gehirns kombiniert

Matthew Glasser und David Van Essen von der Washington University in Saint-Louis fanden heraus, dass "die Grenzen zwischen den Arealen zwar unsichtbar, aber extrem wichtig sind". Diese zu identifizieren ist allerdings alles andere als einfach. Glasser und sein Team haben für ihre Karte aus dem Jahr 2016 etwas bis dahin Neues versucht: Sie verknüpften die Anatomie und die Funktion der Areale. Zunächst basiert die Karte auf den Daten des "Human Connectome Project", bei dem die Gehirne von 1.200 Männer und Frauen mithilfe der Magnetresonanztomografie untersucht wurden. Dann kombinierten die Forscher diese Daten mit funktionellen MRT-Hirnscans von 210 weiteren Teilnehmern. Darin konnte die Aktivität verschiedener Hirnareale in Ruhe und bei verschiedenen Tätigkeiten festgehalten werden. Diese Daten wurden anschließend verglichen und mithilfe eines lernfähigen Algorithmus ausgewertet.

Karte zeigt erstmals 360 Areale unserer Hirnrinde

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The ultimate brain map | Bild: nature video (via YouTube)

The ultimate brain map

Welttag des Gehirns

Die World Federation of Neurology (WFN) hat den 22. Juli zum Welttag des Gehirns erklärt. Der Welttag soll zu mehr Aufmerksamkeit für die Bedeutung der Gehirn-Gesundheit und die Prävention von unterschätzen Erkrankungen beitragen.

Glasser und seine Kollegen sind sich sicher: Ihre detaillierte Karte identifiziert 180 verschiedene Areale in jeder Hirnhälfte, darunter 97 neu identifizierte. Die Areale in beiden Hirnhälften seien verblüffend symmetrisch, erklärten die Forscher. Eine Ausnahme bildet allerdings der Bereich für die Verarbeitung von Sprache. Und noch etwas zeigt die Karte: Areale, die nur eine Funktion haben, sind eindeutig in der Minderheit, wie das neu definierte Areal 55b, das immer dann aktiv wird, wenn wir eine Geschichte vorgelesen oder erzählt bekommen. In den meisten Fällen haben die Parzellen sowohl eine kognitive als auch sensorische Aufgaben. Daher sprechen die Wissenschaftler von einem "verflochtenen Mosaik" der Hirnbereiche.

Grenzen der Kartierung unseres Gehirns

Spannend wurde die Auswertung der umfassenden Hirnkarte. Denn auch, wenn sich Lage und Form der Hirn-Parzellen bei allen Menschen sehr ähneln - trotz individueller Unterschiede in den Hirnwindungen -, bleibt zu klären, was die Daten beispielsweise über Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson aussagen. Bislang ist nur festzustellen, dass sich an den bunten Schnittbildern vom Hirn nichts über Intelligenz, Verhalten oder psychische Erkrankungen eines Menschen ablesen lässt. Auch Angaben über die Persönlichkeit oder das Handeln eines Menschen lassen sich anhand solcher Karten nicht treffen. Die Anatomie und die Funktion von Hirnarealen stimmen nicht immer überein. Deshalb bedarf auch diese Karte noch einer genauen Einordnung.

Zellatlas des menschlichen Gehirns

2023 haben mehrere Forscherteams zusammen den bislang umfangreichsten Zellatlas des menschlichen Gehirns erstellt und unter anderem mehr als 3.000 Typen von Hirnzellen ermittelt. Untersucht wurde auch, wie Nervenzellen im Gehirn in ihren Funktionen voneinander abweichen. Die insgesamt 21 Studien sind Teil der "Brain Initiative" der US-Gesundheitsbehörde NIH. Eine Studie untersuchte beispielsweise, welche RNA-Folgen in den einzelnen Hirnzellen vorhanden waren. RNA (Ribonukleinsäure) dient unter anderem als Überträger der Information aus dem Erbgut, um Proteine herzustellen. Je nach den Aufgaben von Zellen gibt es unterschiedliche RNA-Sequenzen. Daraus leiteten die Forscher 3.313 verschiedene Typen von Zellen ab. Der Datensatz für diese Arbeit umfasste mehr als drei Millionen Gehirnzellen. In zwei weiteren Studien wurde die Epigenetik einzelner Gehirnzellen untersucht. Epigenetische Mechanismen bestimmen, wie oft welches Gen in einer Zelle aus dem Erbgut abgerufen wird. Die Epigenetik wird auch von der Umwelt, von Ernährung und Alterung beeinflusst. Aus diesen drei Studien zusammengenommen, ist ein Hirnzellenatlas entstanden, der einzelne Hirnzelltypen charakterisiert und sie einzelnen Gehirnregionen zuordnet. Dieser Atlas ist für alle Wissenschaftler frei zugänglich. "Dies ist wirklich der Beginn einer neuen Ära in der Hirnforschung, in der wir besser verstehen können, wie sich Gehirne entwickeln, wie sie altern und von Krankheiten in Mitleidenschaft gezogen werden", sagte Joseph Ecker, Professor am Salk Institute for Biological Studies, der an mehreren der Studien beteiligt war.

Human Brain Project liefert Beitrag zur Hirnforschung

Anatomie und Funktion der Hirnareale stimmen mitunter nicht überein - Rückschlüsse sind schwierig.

Einen Beitrag zur Hirnforschung lieferte auch das "Human Brain Project", das 2013 in Lausanne gestartet und mit bis zu einer Milliarde Euro von der EU bezuschusst worden ist. 2020 stellte das deutsche Forschungszentrum Jülich den ersten 3D-Atlas des menschlichen Gehirns vor, der die "Variabilität der Gehirnstruktur mit mikroskopischer Auflösung" abbildet. Über 24.000 hauchdünne Hirnschnitte seien dafür digitalisiert, in 3D zusammengesetzt und von Experten kartiert worden. Als Teil des "Human Brain Projects" diene der Atlas als "Interface", um Informationen über das Gehirn räumlich präzise zu verknüpfen. Das im Jahr 2023 ausgelaufene "Human Brain Project" geriet erst in die Kritik und zwischendurch ein wenig in Vergessenheit. In einer ersten Evaluation des "Human Brain Projects" lobte ein externes Gremium die Forscherinfrastruktur, die das Projekt geschaffen habe, und die auch Forschungsgebiete wie Künstliche Intelligenz einschließt.

Sendungen über das Gehirn und Hirnforschung:


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