Langeweile Warum wir uns langweilen und was wir dagegen tun können

Von: Constanze Alvarez

Stand: 17.07.2023

Nichts los - und ihr gähnt, starrt ins Leere oder knallt schon fast mit dem Kopf auf den Tisch? Ist das langweilig! Was könnt ihr dagegen tun? Und warum ist Langeweile manchmal sogar hilfreich? Das erklären wir euch hier.

Was tun gegen Langweile? Experten raten: Hört erst mal in euch hinein und findet raus, was in eurem Leben gerade nicht passt. Junge Menschen sitzen im Schneidersitz auf dem Boden und schauen gelangweilt in die Kamera. | Bild: colourbox.com

Definition: Langeweile - was ist das?

Die großen Philosophen haben sich den Kopf darüber zerbrochen. Die Forschung ist sich heute noch uneins. Grundsätzlich unterscheidet die Wissenschaft zwischen situativer Langeweile, wenn wir beispielsweise länger als angenommen an der Supermarktkasse oder Bushaltestelle warten müssen, und chronischer Langeweile, wenn uns ständig langweilig ist. Diese Art von Langeweile kann in Verbindung mit einer Depression oder Angststörung auftreten.

Langeweile ist ein komplexes Gefühl

Als komplexe Emotion, die sich aus verschiedenen Facetten zusammensetzt, betrachtet sie der Bildungspsychologe Thomas Götz von der Universität Wien. "Langeweile fühlt sich leicht negativ an. Wir haben den Eindruck, die Zeit ist stehen geblieben. Wir verspüren den Drang, dieser Situation zu entrinnen. Körperlich sind wir wenig aktiv. Und von außen betrachtet sieht man uns die Langeweile an."

Langeweile als Motivation zum Ausprobieren

Dabei kann sich Langeweile auf sehr unterschiedliche Weise bemerkbar machen. In der Schule beispielsweise hängen manche Kinder schlaff im Stuhl, wenn sie sich im Unterricht langweilen. Andere fangen an, nervös und hibbelig auf ihrem Sitz hin- und her zu rutschen. Sie stören die Klasse oder fangen an, auf einem Blatt Papier herum zu kritzeln.

"Wichtig ist, dass wir Langeweile nicht missverstehen als einfaches Nichtstun," erklärt Wanja Wolff, Sportpsychologe und Forscher an der Universität Bern. "Wir sollten sie als starken Impuls begreifen, der uns sagt: Mache etwas anders!" Die Forschung spricht in diesem Zusammenhang von Langeweile als Anschub zu einer "ungerichteten Exploration von Möglichkeiten". Sie motiviert uns, einfach mal etwas anderes auszuprobieren. Die Forschung geht mittlerweile davon aus, dass sie evolutionär bedingt in uns angelegt ist, sozusagen als Motor zur Weiterentwicklung.

Psychologie: So wird Langeweile häufig definiert

"Langeweile ist das unangenehme Gefühl, eine zufriedenstellende Aktivität ausführen zu wollen, aber nicht zu können."

John Eastwood, Professor für Psychologie, York University Toronto

Video: Wie ihr Prokrastination und Faulheit unterscheidet

Das Gegenteil von Flow: So entsteht Langeweile

"Langeweile entsteht, wenn grundlegende Dinge im Leben nicht passen," erklärt Bildungspsychologe Thomas Götz von der Universität Wien. Und wenn wir über das, was wir tun, die Kontrolle verlieren. Wenn wir beispielsweise in der Arbeit sind und Aufgaben erfüllen müssen, die uns weder sinnvoll noch erfüllend erscheinen. Und keinen Spielraum haben, den Aufgaben zu entkommen. Oder wenn wir von Informationen oder Aufträgen überschüttet werden und uns überfordert fühlen. "Langeweile sagt uns vor allem, dass wir aktuell unsere Zeit und unsere Ressourcen nicht gut nutzen", sagt Sportpsychologe Wanja Wolff. Wenn wir uns also häufig langweilen, ist es wichtig zu schauen: Bin ich über- oder unterfordert mit einer Situation? Das Gegenteil von Langeweile sei der Flow, erklärt Psychologe Thomas Götz von der Uni Wien. "Den erlebe ich, wenn meine Fähigkeiten zu dem passen, was ich machen muss."

Chronische Langeweile: "Oft eine andere Form von Stress"

Langeweile entsteht, wenn wir über- oder unterfordert sind. Doch nicht immer ist es so einfach, unsere Lebenssituation so zu gestalten, dass alles passt. | Bild: colourbox.com

Ein erfülltes Leben ohne Langeweile zu führen - das ist häufig eine Frage der Ressourcen.

Sich von chronischer oder langanhaltender Langeweile zu befreien ist aus Sicht vieler Experten ein individueller Prozess. Die Soziologin Silke Ohlmeier warnt jedoch davor, die gesamte Verantwortung dem Individuum zuzuschieben. Sie betrachtet langanhaltende Langeweile als strukturelles Problem. Nicht jeder Mensch würde über die nötige Zeit und die Ressourcen verfügen, um die eigenen Interessen zu verfolgen und sie auch zu realisieren. Je kleiner der Spielraum für eigene Entscheidungen ist, desto größer ist die Gefahr, in chronische Langeweile zu verfallen, und auf Dauer womöglich in eine Depression. "Letztendlich ist Langeweile oft eine andere Art von Stress," erklärt Silke Ohlmeier.

Zu den besonders betroffenen Gruppen zählt Ohlmeier Arbeitslose und Flüchtlinge, die den ganzen Tag in der Unterkunft verbringen und weder arbeiten noch einen Kurs besuchen dürfen. Auch Mütter klagten häufig über Langeweile, sagt die Soziologin. Dann würden sie oft den Rat bekommen, doch mehr zu unternehmen. "Dabei braucht es nicht noch einen Besuch im Zoo oder einen weiteren Mutter-Kind-Kurs, sondern die Möglichkeit, andere Rollen auszuüben als die Mutterrolle." In ihrem Buch "Langeweile ist politisch" fordert die Wissenschaftlerin unter anderem bessere Betreuungssysteme, eine gerechtere Aufteilung der Care-Arbeit und eine Angleichung des Einkommens zwischen Männern und Frauen.

Nietzsche über Langeweile: Seelenruhe

"Die Langeweile ist die Windstille der Seele."

Friedrich Nietzsche

Langeweile: Ist sie gut oder schlecht?

Weder das eine noch das andere. In erster Linie ist sie nur ein neutraler Impuls, der uns dazu bewegt, etwas zu tun. Wie wir dann mit diesem Gefühl umgehen, in welche Richtung unsere Handlungen tendieren, in eine gute oder in eine schlechte, "das hat Motive, die sind ganz individuell," erklärt Psychologe Thomas Götz von der Universität Wien. Die einen suchen sich ein neues Hobby, engagieren sich ehrenamtlich oder schauen sich nach einem neuen Job um. Die anderen rutschen ab - in schlechte Angewohnheiten, eine Sucht oder gar kriminelle Handlungen. Oder werden möglicherweise krank. "Denn wenn man über lange Zeit Dinge tut, die einem sinnlos erscheinen, kann das zu Depressionen führen," sagt Thomas Götz.

Über Langeweile sprechen: Ein gesellschaftliches Tabu?

Dass sich viele Menschen gerade am Arbeitsplatz langweilen, ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen. Reden darüber möchte niemand so gerne, möglicherweise aus Angst, als Versager dazustehen. Wobei es hier kulturelle Unterschiede gibt. So sei es in China beispielsweise nicht üblich, Langeweile zuzugeben, sagt Psychologe Thomas Götz. Sich zu verstellen gehöre zum persönlichen impression management, also dem Versuch, sich nach außen gut darzustellen. Sich langweilen, "das wird sofort so interpretiert, dass man nichts zu tun hat, nicht beschäftigt ist, bis hin zur Annahme, man sei deswegen kein wertvoller Mensch." In Frankreich dagegen gelte es eher als charmant, auch mal gelangweilt über den Dingen zu stehen, ein Stück weit gehöre das zum Lebensgefühl dazu.

Psychologen raten: Bei Langeweile nicht immer gleich zum Handy greifen!

Ratschläge gegen Langeweile gibt es viele. Besonders während der Corona-Pandemie waren sie gefragt. Von "Entrümpel deine Wohnung", bis "Schreib eine Postkarte" oder "Backe dein eigenes Brot" war alles dabei.

Immer mehr Experten raten jedoch dazu, den Moment der Langeweile auch mal auszuhalten und in sich hinein zu hören, also nicht gleich zum Handy zu greifen oder sich anderweitig zu zerstreuen. Dafür plädiert auch Psychologe Thomas Götz von der Universität Wien: "Erstmal ist es wichtig, dass wir das Gefühl der Langeweile überhaupt bewusst wahrnehmen." Um dann zu fragen: Warum langweile ich mich überhaupt? Ist es der Job? Liegt es an meiner Beziehung?

Auch Psychologe Wanja Wolff empfiehlt, einen genaueren Blick auf das eigene Leben zu werfen und einen adäquaten Umgang mit dem Gefühl der Langeweile zu finden. "Wenn Sie sich wirklich jeden Tag in ihrem Job langweilen, dann ist es vielleicht eine schlaue Idee, den Job zu wechseln," erklärt der Wissenschaftler von der Uni Bern. "Wenn es nur ab und zu so ist, und Sie langfristig auch Ziele erreichen, die wichtig sind, die Sie weiterbringen, dann lernen Sie auch, dass man ab und zu auch langweilige Phasen aushalten muss."

Das sei sowohl für Kinder als auch für Erwachsene wichtig: Den Sinn in der eigenen Tätigkeit zu entdecken. Wenn ein Grundschüler beispielsweise erkennt, wofür es gut ist, lesen zu lernen, wird er sich auch leichter mit dem Üben tun.

Hilfreich sei es auch, selber Sinn zu erzeugen, erklärt Thomas Götz: "Wenn wir merken, dass uns ein Gespräch langweilt, können wir bewusst Impulse setzen, damit es interessanter wird." Fühlen wir uns jedoch überfordert, sollten wir zunächst versuchen, am Ball zu bleiben, Fragen zu stellen, einen eigenen Zugang zum Thema zu finden. Manchmal hilft es auch, Situationen, von denen man weiß, dass sie einen langweilen, einfach fern zu bleiben. "Oder ihnen mit Humor zu begegnen", empfiehlt der Bildungspsychologe. "Humor und Enthusiasmus sind inkompatibel mit Langeweile."