Psyche und Körper Wie Stress entsteht und wie ihr ihn reduzieren könnt

Von: Constanze Alvarez

Stand: 27.04.2023

Ein neuer Job, eine Trennung - für Stress gibt es viele Ursachen. Wie unser Körper darauf reagiert, warum gar kein Stress auch nicht gut ist und warum ältere Menschen oft besser mit Belastungen umgehen können, erklären wir hier.

Unterbrechungen sind wichtig, um übermäßigen Stress zu vermeiden. | Bild: colourbox.com

Definition: Was ist Stress und wie entsteht er?

Was stresst Dich? Je nachdem, wen man fragt, fällt die Antwort anders aus. Eine berufstätige Mutter ächzt unter dem Druck, ihr Arbeitspensum zu meistern und trotzdem gut für ihren Nachwuchs zu sorgen. Ein Busfahrer darf die Nerven nicht verlieren, wenn er zum x-ten Mal im Stau stecken bleibt. Jemand der am Ende des Monats nicht genug Geld für die Miete aufbringt, steht unter einem besonders existentiellen Druck. Ursachen für Stress gibt es also viele. Die häufigsten sind Zeitdruck und der Versuch, viele Aufgaben auf einmal zu bewältigen, also Multitasking.

Doch an sich ist Stress nichts Negatives. Es ist die natürliche Reaktion des Körpers auf Druck, Spannung oder Veränderung. Stehen wir vor einer Aufgabe, von der wir nicht wissen, ob wir ihr gewachsen sind, schüttet unser Körper bestimmte Hormone aus, die uns helfen sollen, die Prüfung zu bestehen. Das heißt: Ohne ein gewisses Maß an Stress können wir uns gar nicht weiterentwickeln. Problematisch wird Stress, wenn er nicht wieder abnimmt. Zu viel Stress kann krank machen.

Mentale Belastung: Das sind häufige Stressoren

Stress-Symptome: Was Maus- und Tastaturverhalten über unseren Stresslevel verraten

Wie gestresst wir uns gerade fühlen können Wissenschaflter an unserer Herzfrequenz messen. Doch auch unser Umgang mit Maus und Tastatur kann viel über den Stresslevel einer Person aussagen. Das ergab eine Schweizer Studie, deren Ergebnisse im April 2023 im Fachjournal "Cell" präsentiert wurden.

Wer fahrig auf der Tastatur herumhackt und den Curser per Computermaus auf lange Wege über den Bildschirm schickt, steht möglicherweise unter Stress, erklärt die Mathematikerin Mara Nägelin von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. "Wer gestresst ist, bewegt den Mauszeiger öfter und ungenauer und legt längere Wege am Bildschirm zurück. Entspannte Menschen gelangen auf kürzeren, direkteren Wegen an ihr Ziel und lassen sich dabei mehr Zeit."

Für die Studie wurden die Herzfrequenz sowie das Maus- und Tastaturverhalten von 90 Probanden gemessen. Alle erledigten im Labor realitätsnahe Büroaufgaben. Ein Teil blieb ungestört, die andere Gruppe musste zusätzlich zur Arbeit ein Bewerbugsgespräch durchlaufen oder wurden ständig durch neue Chat-Nachrichten unterbrochen. Die Wissenschaflter befragten die Probanden nach ihrem Stressempfinden und nutzten maschinelles Lernen, um die Daten auszuwerten. "Wir waren überrascht, dass das Tipp- und Mausverhalten besser voraussagt, wie gestresst sich Probandinnen und Probanden fühlen, als die Herzfreqzenz", so Nägelin. Der Psychiater und Stressforscher Mazda Adli sieht in der Studie einen weiteren Beweis dafür, dass Unterbrechungen im Arbeitsalltag zu den großen Stressoren zählen: "Ablenkbarkeit löst Stress aus."

Gesagt: Über den Zusammenhang zwischen Stress und Tippverhalten

"Erhöhter Stress wirkt sich negativ auf die Fähigkeit unseres Gehirns aus, Informationen zu verarbeiten. Dadurch werden auch unsere motorischen Fähigkeiten beeinträchtigt." Jasmine Kerr, Psychologin

Im Fluchtmodus: Was passiert im Körper bei Stress?

Es ist ein Urinstinkt des Menschen: Wenn wir im Stress sind, schaltet unser Hirn auf Fluchtmodus. Die psychische Belastung versetzt den ganzen Körper in Alarmbereitschaft. Vom Hypothalamus über die Hypophyse sendet das Hirn Signale an die Nebennieren und kurbelt damit die Produktion des Hormons Kortisol an. Herzfrequenz und Blutdruck steigen, dadurch werden unsere Muskeln besser mit Nährstoffen versorgt. Neben Kortisol sorgt auch das Adrenalin dafür, dass sich unsere Sinne schärfen, wir uns auf das Wesentliche konzentrieren und - wenn nötig - Höchstleistungen vollbringen. Sobald die Situation vorbei ist, lassen Anspannung und Aufregung nach. Der Körper kann überschüssiges Kortisol bzw. Adrenalin wieder abbauen und sich erholen.

Bei Dauerstress verharrt der Körper im Fluchtmodus. Wissenschaftler sprechen dann von negativem Stress (Distress). Das Niveau der Stresshormone im Blut bleibt überdurchschnittlich hoch, der Blutdruck ebenfalls. Wir können nicht abschalten, unser Körper läuft heiß, wie eine überlastete Maschine. Auf Dauer kann das krank machen: Häufige Folgen sind Probleme mit der Verdauung, wir sind anfälliger für Entzündungen, das Immunsystem gerät aus dem Gleichgewicht.

Stress-Arten: Es gibt positiven und negativen Stress

Ein junger Fahrer zeigt beim Dirt Jump Contest in Magdeburg hohe Sprünge. Anlass war das 20jährige Bestehen der M-Trails, eine Strecke im Glacis-Park, auf der Kinder, Jugendliche und Erwachsene die Funsportart Dirt Jump ausüben können. | Bild: picture-alliance/dpa / Stephan Schulz

Mit dem Fahrrad durch die Luft segeln kurbelt mit Sicherheit das Adrenalin im Körper an und damit auch ein Gefühl von Euphorie.

Kribbeln in der Magengegend, beispielsweise vor einem Auftritt mit der Band, einem Date mit der neuen Flamme oder einer Fahrt mit der Achterbahn, das bezeichnen Forscher als positiven Stress (Eustress). Wir fühlen uns fit, lebendig, ein wenig aufgeregt, als hätten wir einen kleinen Schwips. Positiver Stress motiviert uns dazu, Neues auszuprobieren, uns raus aus der Komfortzone zu wagen. Das ist wichtig, um neue Fähigkeiten in uns zu entdecken, die sonst unbemerkt geblieben wären. Damit stärken wir unser Selbstbewusstsein, denn wir erleben, dass wir Dinge verändern können. Das sorgt für gute Laune und Zuversicht.

Stress am Arbeitsplatz: Kann unser Leben langfristig beeinträchtigen

Ein stressiges Arbeitsumfeld erhöht das Risiko von körperlichen und kognitiven Problemen im späteren Leben. Das zeigt eine neue Studie aus Schweden (2023). Über einen Zeitraum von 40 Jahren wurden rund 1.800 Personen aus der schwedischen Bevölkerung befragt. Untersucht wurde die Fähigkeit des Gehirns Informationen zu empfangen, zu speichern, zu verarbeiten und abzurufen sowie physische Funktionen. So sollten die Probanden beispielsweise ein Kilo Zucker hochheben oder vom Stuhl aufstehen.

Zusätzlich führten die Forscher Gedächtnistests durch. Die Teilnehmer mussten beispielsweise Wörter auswendig lernen, leichte Matheaufgaben lösen, das Datum nennen und angeben, in welchem Land sie sich befinden. Das Forscherteam um den Gerontologen Ingemar Kåreholt stellte fest: Ein schlechtes psychosoziales Arbeitsumfeld mit hohem Stressniveau übt einen großen Einfluss darauf aus, wie sich Menschen im Alter fühlen. Auch lange nach dem sie in den Ruhestand eingetreten sind.

Wer im Berufsleben wenig Kontrolle über Aufgaben und Arbeitszeiten hatte, litt besonders unter den Folgen von Stress. Probanden, die eine passive Rolle als Arbeitnehmer innehatten, also nichts eigenverantwortlich gestalten oder bestimmen durften, wiesen beinahe zu 60 Prozent kognitive und körperliche Beeinträchtigungen auf. Die Studie zeigte auch einige geschlechtsspezifische Unterschiede, wobei Männer stärker von ihrem psychosozialen Arbeitsumfeld betroffen waren als Frauen.

Gesagt: Das Arbeitsumfeld ist entscheidend

"Damit Berufstätige heute gesund altern können, muss an die Arbeitsumgebung gedacht werden. Zum Beispiel ist es sehr wichtig, dass die Menschen Ermutigung und Unterstützung erfahren und ihnen Aufgaben übertragen werden, von denen sie glauben, dass sie sie bewältigen können." Ingemar Kåreholt, Professor für Gerontologie an der School of Health and Welfare der Universität Jönköping

Video: Wie ihr Multitasking beim Arbeiten vermeiden könnt

Die gute Nachricht: Stress kann mit zunehmendem Alter nachlassen

In der sogenannten "Rush-Hour des Lebens", zwischen Mitte Dreißig und Ende Vierzig, stehen die meisten Menschen besonders stark unter Druck. In dieser Zeit möchten wir alles Mögliche hinbekommen: Karriere, Familie, Eigenheim, Selbstverwirklichung – der Anspruch an uns selbst ist in diesen Jahren am Höchsten. Ab 50 hingegen nimmt bei vielen Menschen die Gelassenheit zu. Das belegen zahlreiche Studien, darunter eine Langzeitstudie des Entwicklungspsychologen David Almeida von der Pennsylvania State University. Ab dem 50. Lebensjahr nehme bei vielen Menschen das Gefühl zu, einiges erreicht zu haben, so Almeida. Gleichzeitig wird das Bewusstsein für die Endlichkeit des Lebens stärker und damit auch der Wunsch, die bleibende Zeit zu genießen, sich weniger zu ärgern. Der Fokus auf die eigene "Performance" nimmt ab, dafür interessieren und engagieren sich ältere Menschen häufiger für andere. Aufgrund ihrer Erfahrung haben ältere Menschen im besten Fall gelernt, mit alltäglichen Belastungen besser umzugehen.

Allerdings geht es bei diesen Studien um einen Durchschnittswert, eine allgemeine gesellschaftliche Tendenz. Individuell kann das Lebensgefühl natürlich abweichen. Sozialer Status, Bildungsgrad und ein stabiles Einkommen spielen dabei eine große Rolle. Nicht jeder verfügt über Ressourcen, um den alltäglichen Stress zu bewältigen. Wobei Reichtum und Geld überschätzt werden, wenn es um Zufriedenheit geht, auch das ist wissenschaftlich erwiesen.

Tipps: Was in stressigen Situationen hilft

  • Die Erwartungen an uns selbst herunterschrauben.
  • Der Satz: "Ich mache, was geht und was nicht geht, geht nicht. Punkt!"
  • Das Gespräch mit verständnisvollen Freunden oder Verwandten suchen.
  • Bewusst für Pausen sorgen - nicht nur in der Arbeit, auch im familiären Alltag. Das kann eine Yoga- oder Atemübung sein oder ein kurzer Spaziergang um den Block.
  • Auf eine gesunde Lebensweise achten, das heißt auf genügend Schlaf, ausreichend Bewegung und eine gesunde Ernährung.
  • Die persönliche Einstellung überprüfen: Wer Stress für unkontrollierbar und schädlich hält, leidet besonders darunter.
  • Eine Zeit lang Tagebuch führen, um herauszufinden, welche Stressoren einem besonders zusetzen.
  • Den Stress als eine Art Wegweiser sehen, um eigenen Bedürfnissen auf die Spur zu kommen: Was fehlt mir? Was würde ich gerne in meinem Leben ändern?
  • Sich ein Hobby suchen, das wirklich Spaß macht und nicht zusätzlich Stress verursacht, zum Beispiel mit anderen Leuten singen.
  • Bei chronischem Stress oder Anzeichen von Burnout sollte man sich Hilfe suchen.

Mehr Wissen: Quellen und weitere Infos