Selbstliebe lernen Stärkt die Freundschaft mit euch selbst

Von: Constanze Alvarez

Stand: 22.03.2024

Leidet ihr häufig unter Selbstzweifeln? Setzt ihr euch ständig unter Druck? Seid ihr selbst eure strengsten Kritiker? Warum es manchmal schwierig ist, mit sich selbst befreundet zu sein, wie ihr es lernt - und eure Selbstliebe stärkt.

Eine Frau steht im Park und lächelt mit geschlossenen Augen. Selbstliebe bedeutet, mit sich selbst befreundet zu sein, zu seinen Bedürfnissen und Wünschen zu stehen und die eigenen Schwächen zu akzeptieren. Wie du lernst, dich selbst zu lieben. | Bild: picture alliance / Westend61 | William Perugini

Definition: Was ist Selbstliebe einfach erklärt?

Jeder Mensch pflegt neben der Beziehung zu anderen auch eine Beziehung zu sich selbst. Wie diese beschaffen ist, ob wir uns freundlich oder wohlwollend gegenüberstehen, ob wir uns selbst mögen oder nicht, hängt unter anderem stark mit unserer Kindheit zusammen. "Welche Erfahrungen wir in der frühen Kindheit machen, prägt unser Lebensgefühl nachhaltig", erklärt die Kinder- und Jugendtherapeutin Ursula Frischkorn. Wer als Baby und Kleinkind von seinen Eltern oder einer anderen Bezugsperson genug Liebe, Zuwendung und Geborgenheit bekommen hat, wird später tendenziell leichter verlässliche Beziehungen eingehen, wird sich selbst nicht ständig in Frage stellen und auch nicht so streng mit sich selbst sein, wenn einmal etwas schiefläuft.

Menschen mit einem gesunden Selbstwertgefühl sind vielleicht kurz geknickt, machen dann aber einfach weiter, darauf vertrauend, dass es nächstes Mal besser läuft. Sie messen dem eigenen Scheitern nicht so viel Bedeutung bei. "Diese frühen Bindungserfahrungen sind sehr entscheidend dafür, ob wir das Gefühl haben: Die Welt ist ein guter Ort, das Leben ist schön, ich habe es mit wohlwollenden Menschen zu tun", sagt Ursula Frischkorn.

Was gehört alles zu Selbstliebe?

"Selbstbefreundet mit sich selbst sein bedeutet, nicht gleichgültig gegen sich zu sein, sondern sich um sich zu kümmern, für sich da zu sein, sich aus Sorge für sich zu befleißigen und dadurch auf diese Weise nie allein zu sein, da das Selbst mit sich zusammenleben kann", schreibt Wilhelm Schmid in seinem Buch "Mit sich selbst befreundet sein" und zitiert dabei Seneca. Schon in der Antike wurde darüber diskutiert, was der Unterschied zwischen Selbstliebe und Selbstsucht sei. Schwierig zu sagen, denn die Grenzen sind fließend.

Unterschied Selbstliebe und Narzissmus

So kann übersteigerte Selbstliebe dazu führen, dass ein Mensch nur noch um sich selbst kreist, die Bedürfnisse anderer nicht mehr wahrnimmt und auch keine Empathie für sie empfinden kann. "Sogenannte Narzissten, sie halten sich für die tollsten Individuen überhaupt, was letztendlich auch eine Störung der gesunden Selbstbeziehung ist", erläutert Ursula Frischkorn. "Im Extremfall geht ein Narzisst über Leichen, nur um eigene Bedürfnisse zu befriedigen." Narzissten sind oft sehr intelligent und verfügen häufig über eine große Fähigkeit, die Schwachstellen anderer Menschen wahrzunehmen. Doch statt feinfühlig damit umzugehen, sind sie sehr geschickt darin, andere für ihre Zwecke zu benutzen. Dieses Muster verbirgt sich häufig hinter den zurzeit so viel zitierten "toxischen Beziehungen".

Kennzeichen von Selbstliebe: Sich selbst ein guter Freund sein

"Es ist Selbstliebe, sich sagen zu können: Ich werde dir treu sein und immer bei dir sein, alle Schwierigkeiten stehe ich mit dir durch, du kannst dich auf mich verlassen."

Wilhelm Schmid, aus dem Buch `Mit sich selbst befreundet sein´

Selbstliebe: Freundschaft mit sich selbst schließen und stärken

Verhinderte Selbstliebe: Warum fällt es schwer, sich selbst zu lieben?

Wer in der Kindheit zu wenig Bestätigung und Zuwendung erfahren hat, stattdessen häufig Vorwürfen ausgesetzt war oder Vernachlässigung erlebt hat, entwickelt möglicherweise ein schwaches Selbstwertgefühl. Gerade in den ersten Jahren sind verlässliche Bindungen ausschlaggebend für eine gesunde psychische Entwicklung. Denn: "Babys können nicht sagen, was sie brauchen, sie sind angewiesen auf möglichst stimmige, empathische Einfühlung", erklärt Ursula Frischkorn. "Und wenn das fehlt, wenn Mütter nicht empathisch auf ihre Kinder reagieren, dann löst das ganz schnell ganz tiefe Verunsicherung und Verzweiflungszustände aus."

Wie wichtig ein guter, wechselseitiger Kontakt zwischen Bezugsperson und Kind ist, das haben unter anderem die "Still-Face-Experimente" gezeigt. Forscher haben dabei mehrfach untersucht, was passiert, wenn Erwachsene nicht auf die Signale ihrer Kinder reagieren. Unter anderem forderten sie Mütter dazu auf, mit versteinertem Gesicht auf das Weinen oder Lachen ihrer Babys zu reagieren. Sofort setzte das die Säuglinge unter Stress. Die Wissenschaftler kamen zum Ergebnis, dass in diesem Sinne vernachlässigte Kinder später emotional anfälliger sind als Kinder, die mit einem guten Blickkontakt versorgt sind. "Als Menschen sind wir auf Verbindungen zu anderen angewiesen", sagt Ursula Frischkorn. "Das ist in unserem Instinkt angelegt, wir suchen die Interaktion, wir brauchen jemand, der unsere Emotionen spiegelt, eine Resonanz."

Menschen, die in ihrer Kindheit häufig dieses Gefühl der Hilflosigkeit empfunden haben, aus Mangel an Zuwendung, tragen es auch später noch in sich. Oftmals umgemünzt als Schuldgefühl. Das sei einfacher zu ertragen als die reine Ohnmacht, erklärt Familientherapeutin Ursula Frischkorn. Starke Schuldgefühle wirken sich wiederum negativ auf das Selbstwertgefühl aus. Und wer sich selbst geringschätzt, dem fällt es auch schwer, sich zu mögen.

Anzeichen: Wie äußert sich fehlende Selbstliebe?

Menschen, die eine übermäßig kritische Beziehung zu sich selbst haben, fällt es auch schwer, sich in guter Weise um sich selbst zu kümmern. Stichwort: Selbstfürsorge. Sie beuten sich häufig selbst aus, gönnen sich keine Pausen und stellen ihre Bedürfnisse hintenan. "Oft versuchen sie, die Liebe der anderen dadurch zu sichern, dass sie sich komplett aufopfern und geraten weit über ihre Grenzen in ein Helfersyndrom hinein", erklärt Familientherapeutin Ursula Frischkorn. Andere Menschen ziehen sich ganz zurück, führen ein einsames Leben, auch weil sie Probleme haben, sich wirklich auf Beziehungen einzulassen.

"Oder man möchte everybody´s darling sein", stellt Ursula Frischkorn fest. Vor allem Frauen würden dazu neigen: Viele stellen an sich die höchsten Ansprüche. Und während sie die Fehler anderer Menschen großzügig verzeihen, schämen sie sich unendlich für die eigenen. Menschen, die hart zu sich selbst sind, fällt es schwer, die eigenen Erfolge zu sehen und sich darüber zu freuen. Stattdessen stecken sie sich immer neue, übertriebene Ziele.

Selbstliebe lernen: Was kann ich tun, um mich selbst mehr zu lieben?

Wie kommt man in die Selbstliebe? Es gibt viele Wege, Freundschaft mit sich selbst zu schließen und sie zu stärken. Wichtig ist, herauszufinden, was zu einem passt. Ein guter erster Schritt ist es, sich immer mal wieder Zeit zu nehmen, um in sich hineinzuhören. Was bewegt mich? Was macht mich froh? Was belastet mich?

Viele Ratgeber empfehlen in diesem Zusammenhang regelmäßig zu meditieren. Das kann helfen, muss aber nicht. "Es gibt viele Menschen, die sagen: Nein! Das kann ich nicht! Das halte ich gar nicht aus!", erzählt Ursula Frischkorn. Das sei völlig in Ordnung. Manchmal ist das innere Chaos, die innere Unruhe einfach zu groß, um einfach reglos dazu sitzen und zuzuhören. Da kann ein ausgedehnter Spaziergang, oder Tagebuchschreiben hilfreicher sein.

Wenn man dabei Problemfelder entdeckt, die man schon lange vor sich herschiebt, ohne eine Lösung zu finden, sollte man sich Hilfe holen. Das kann eine Therapie sein. In manchen Fällen kann aber auch ein Gespräch mit einer vertrauenswürdigen Person helfen. "Mit jemandem, der einfach mal zuhört, ohne zu bewerten und nicht gleich mit Ratschlägen um sich wirft", sagt Familientherapeutin Ursula Frischkorn.

Auch eine geglückte Liebesbeziehung kann dazu führen, dass jemand, der in der Kindheit tiefsitzende Verletzungen davongetragen hat, zu mehr Selbstliebe findet. Im Grunde genommen kann jede positive Interaktion unsere Selbstbeziehung beeinflussen, erklärt Familientherapeutin Ursula Frischkorn: Erfolg im Beruf, beispielsweise, oder einfach eine geglückte Kommunikation im Alltag. "Schon ein Lächeln oder ein kurzes Gespräch an der Bushaltestelle, im Zug oder im Geschäft, ein freundlicher Austausch, all das verändert sofort unser Selbstgefühl," erklärt Ursula Frischkorn.

Gute Angewohnheiten stärken die Selbstliebe: Neben regelmäßiger Bewegung gehören ausreichend Schlaf und eine gute Ernährung dazu. Wichtig sei es, sich nicht zusätzlich mit neuen Vorsätzen unter Druck zu setzen, à la "Ab jetzt liebe ich mich selbst! Ab jetzt mache ich Sport und alles wird anders!" Vor allem sollte man nicht den Anspruch an sich stellen, alles allein schaffen zu müssen. Denn dann ist die Gefahr des Scheiterns groß. Besser ist es, mit einem Freund oder einer Freundin joggen zu gehen oder sich einer Laufgruppe anzuschließen. Das macht mehr Spaß und hilft, dabei zu bleiben.

Kritik: Wo liegen die Grenzen der Selbstliebe?

Mit den guten Vorsätzen ist das so eine Sache: Wer nie gelernt hat, pfleglich mit sich umzugehen, schafft es häufig auch nicht, diese Veränderungen alleine in sein Leben zu integrieren. Menschen mit einem per se schon geringen Selbstwertgefühl erleben sich dann erst recht als gescheitert, wenn es ihnen nicht gelingt, ihre Ernährung umzustellen, genug zu schlafen oder regelmäßig joggen zu gehen. Und machen sich dann auch noch Vorwürfe.

Das macht noch einsamer, der Druck steigt, der Teufelskreis setzt sich fort. Zumal viele Podcasts und Ratgeber behaupten: Nur wer sich selbst liebt, findet auch den richtigen Partner. Familientherapeutin Ursula Frischkorn sieht das kritisch: "Ich glaube, diese Vorstellung: `Okay, jetzt liebe ich mich mal selber, und dann finde ich den idealen Mann oder die Frau!´, das funktioniert so nicht. Wenn ich in einer Bedürftigkeit bin oder eine innere Leere oder Lieblosigkeit empfinde, kann ich diese Leere nicht so einfach aus mir heraus füllen."

Genau das versprechen jedoch viele Selbstfindungsseminare, damit lässt sich viel Geld verdienen. "Da entstehen immer wieder missbräuchliche Situationen auf diesen großen Seminaren, wo Leute im schlimmsten Fall in eine Psychose kippen, wo sie einfach daran verzweifeln, dass sie immer wieder daran scheitern", beobachtet Ursula Frischkorn. "Sie fühlen sich als Versager." Dabei gibt es Gründe dafür, weshalb es manchen Menschen leichter fällt als anderen, ihr Leben ins Positive zu verändern. Häufig verbergen sich dahinter alte negative Muster aus der Kindheit, die im Unbewussten verankert sind.

Fazit: Liebe ist nichts, was sich erzwingen lässt, sondern etwas, das man geschenkt bekommt. Und sie braucht ein Gegenüber. Sie lebt von der Interaktion, sie hängt davon ab, dass sie gespiegelt und erwidert wird. Die US-amerikanische Therapeutin Esther Perel geht sogar noch weiter. In in ihrem Blog "Letters from Esther" entlarvt sie den Begriff der Selbstliebe als Mythos in einer überindividualisierten Welt, in der jeder für sich selber sorgen muss und permanent dazu angehalten wird, das Beste aus sich selbst herauszuholen - alleine. Dabei sei der Mensch immer beides: ein selbstständiges und zugleich abhängiges Wesen. Für Perel steht Selbstliebe eher für die Erkenntnis, dass wir alle nicht perfekt sind und dass wir einander brauchen.

Auch das ist Selbstliebe: Akzeptieren, dass wir nicht vollkommen sind

"Bei der Selbstliebe geht es weniger um die Fähigkeit, der Einsamkeit standzuhalten oder Unabhängigkeit zu erlangen, als vielmehr um das Bewusstsein und die Akzeptanz unserer Unvollkommenheit. Es geht darum, dass andere uns lieben, auch wenn wir uns nicht liebenswert fühlen, weil ihre Version von uns oft freundlicher ist als unsere eigene."

Esther Perel, aus `The Myth of Selflove´

Inspiration zur Selbstliebe: Der Blick auf den eigenen Körper

Sendungen, Quellen, weitere Tipps: Selbstliebe lernen und Freundschaft mit sich selbst schließen

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