Weltknuddeltag Was (Nicht-)Berühren mit uns macht
Endlich! Nach Lockdowns, Homeoffice und Maskenpflicht sind die Beschränkungen der Corona-Pandemie vorbei. Wir dürfen uns wieder treffen, berühren und umarmen. Vielen wird jetzt erst klar, wie sehr das gefehlt hat: Nähe ist einfach ein Grundbedürfnis des Menschen. Warum das so ist, erklären wir euch zum Weltknuddeltag.

Menschliche Nähe: So wichtig sind Berührungen
Drück mich! Warum wir uns umarmen wollen

Umarmungen geben uns Sicherheit. Ohne körperliche Nähe kann sich der Mensch nicht gesund entwickeln.
Wir sind Säugetiere. Als solche leben wir schon immer in sozialen Gruppen. Im Laufe der Evolution entwickelte der Homo Sapiens für das Miteinander in seiner Horde soziale Kommunikationsstrategien. Und dabei spielen gegenseitige Berührungen eine wesentliche Rolle. Ohne körperliche Nähe kann sich der Mensch nicht gesund entwickeln. Sie ist grundlegend um Beziehungen aufzubauen, um in Familie und Gesellschaft miteinander auszukommen. Nicht umsonst können Umarmungen zwischenmenschliche Konflikte abmildern, wie unter anderem eine US-Studie zeigt.
"Unsere Spezies gehört zur Klasse der nesthockenden Säugetiere", sagt der Psychologe Martin Grunwald. Er leitet das Haptik-Labor am Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung der Universität Leipzig. "Die ersten Lebensphasen für unsere Spezies können nur dann gut für uns sein, wenn es einen ausreichenden Körperkontakt, eine ausreichende Körperstimulation gibt. Kein Säugling kann sich gut entwickeln, wenn er nicht auch hinreichend körperlich stimuliert wird. Die Berührungsreize führen zu neuronalem und zu körperlichem Wachstum."
Drücken, Umarmen und Streicheln - das ist je nach Intensität tatsächlich eine Art der Kommunikation. Das konnte der Psychologe Matthew Hertenstein in einer Studie nachweisen. Seine Untersuchung zeigte, dass wir Gefühle wie Angst, Wut, Liebe und Dankbarkeit gut durch Berührungen vermitteln können. Eine Gruppe von 248 Menschen wurde mit verbundenen Augen für jeweils fünf Sekunden berührt oder liebkost. Dreiviertel der Teilnehmenden konnten die Gefühle identifizieren, die ihr Versuchspartner darzustellen versuchte. Liebe und Mitgefühl erkannten sie dabei am leichtesten.
Der Stoff, der uns kuscheln lässt: Oxytocin

Oxytocin wird in der etwa kirschgroßen Hirnanhangsdrüse in der Mitte des Gehirns produziert.
Es ist ein wahrer Wunderstoff, der da in unserer Hirnanhangsdrüse gebildet wird: das Hormon Oxytocin. Je nach Einsatzgebiet etikettiert als "Kuschel"-, "Bindungs"-, "Gebär"- oder "Lust"-Hormon entfaltet es entweder eine beruhigende Wirkung, hilft beim Stress- und Schmerzabbau und stärkt zwischenmenschliche Bindungen. Deshalb macht Schmusen nicht nur glücklich - es ist auch gesund.
Durch Streicheln, Umarmen und Küssen steigt der Oxytocinspiegel im Blut. Dass das Peptid bei der Geburt eine wichtige Rolle spielt, weiß man schon länger. Es sorgt dafür, dass es zu Wehen kommt und die Plazenta abgestoßen wird und es stimuliert die Milchproduktion. Doch Oxytocin kann noch viel mehr. Wird die Ausschüttung des Hormons durch körperliche Nähe stimuliert, vermindert dies den Blutdruck und das Stresshormon Cortisol und regt das Belohnungszentrum des Gehirns an.
Wo Oxytocin mit im Spiel ist, kommen wir uns also nahe, einfach weil es sich so gut anfühlt. Das Saugen an der Brust stärkt die Mutter-Kind-Bindung. Eine Umarmung stärkt das Vertrauen zwischen Menschen. Der Orgasmus stärkt die Vertrautheit zwischen Sexualpartnern - und zwar dauerhaft. Denn Oxytocin ist auch das Elixier der Treue, wie eine Studie der Universitätklinik Bonn zeigt.
Verabreicht man Männern Oxytocin und zeigt ihnen Bilder ihrer Partnerin, stimuliert das Hormon das Belohnungszentrum im Gehirn, erhöht die Attraktivität der Partnerin und stärkt die Monogamie. Aus evolutionsbiologischer Sicht durchaus ein Vorteil. Denn wenn Oxytocin die Paarbindung stärkt, "wächst dadurch die Stabilität der Ernährer und damit die Überlebenschance des Nachwuchses", so Prof. Dr. René Hurlemann, Leitender Oberarzt am Universitätsklinikum Bonn.
Nobelpreiswürdig: Warum wir unsere Umgebung spüren

Feine Nervenenden in unserer Haut fungieren als Temperatursensoren. Wenn sie Kälte registeren, reagieren wir mit Gänsehaut.
Wir können uns nur dann mit unserer Umwelt austauschen, wenn wir sie mit unseren Sinnen wahrnehmen. Der Gebrauch unserer Sinnesorgane, das Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und auch das Spüren, nehmen wir als selbstverständlich wahr. Aber die Frage, WIE wir empfinden, ob die Luft um uns herum kalt oder warm ist, ob ein Pullover juckt oder angenehm weich ist und ob wir gestreichelt oder geschlagen werden, blieb lange ungeklärt. Dabei ist es für uns Menschen überlebenswichtig, Wärme, Kälte und Berührungen zu spüren - als wichtige Basis für unsere Interaktion mit der Außenwelt und nicht zuletzt dafür, Bindungen zu anderen Menschen aufzubauen.
Gelöst wurde das Rätsel um den Spür-Sinn von David Julius und Ardem Patapoutian, zwei US-amerikanischen Forschern. Sie fanden in den 1990er-Jahren heraus, wo in der Haut die Sinneszellen für Temperatur und Druck zu finden sind. David Julius, ein US-amerikanischer Sinnesphysiologe, nutzte dafür Capsaicin. Das Alkaloid, das zu den schärfsten Substanzen zählt, wird aus Chilischoten gewonnen. Mithilfe dieser chemischen Verbindung konnte der Wissenschaftler einen Sensor in den Nervenenden der Haut identifizieren, der auf Hitze reagiert. Ardem Patapoutian, ein libanesisch-amerikanischer Molekularbiologe und Neurowissenschaftler, verwendete druckempfindliche Zellen, um eine neue Klasse von Sinneszellen zu entdecken. Diese reagieren auf mechanische Reize in der Haut und in den inneren Organen. Für diese Entdeckungen erhielten die beiden Wissenschaftler im Jahr 2021 den Nobelpreis für Medizin.
Post-Pandemie: Wie können wir wieder Nähe leben?

"Wir können es uns nicht erlauben, die Sprache der Berührung zu verlernen. Deshalb muss es in der Post-Pandemie-Welt darum gehen, wie wir wieder dem Bedürfnis gerecht werden, andere Menschen zu spüren."
Laura Crucianelli, Kognitionsforscherin, Karolinska-Institut in Stockholm
Körperkontaktstörung: Wenn Berührung stresst

Zu enger Körperkontakt wird manchen Menschen rasch zu viel.
Wie viel Nähe und Körperkontakt ein Mensch braucht, ist individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt. Schon bei Kindern ist das "Kuschelbedürfnis" sehr verschieden. Doch bei manchen Menschen entwickelt sich das Unbehagen gegenüber Berührungen zur schieren Qual. Rund zehn Prozent aller Menschen in Deutschland mögen es nicht, berührt zu werden oder längeren Augenkontakt aufzunehmen, sagt die Münchner Psychotherapeutin Uta Streit. Doch wer Nähe meidet, dem mangelt es unter Umständen an Oxytocin, so die Psychotherapeutin: "Wir brauchen das Hormon Oxytocin für jede Form der echten Kommunikation, für das sogenannte soziale Sehen und Hören, um Veränderungen in der Mimik oder Tonlage anderer Menschen wahrzunehmen und zu deuten." Wird die körperliche Interaktion allerdings dauerhaft vermieden, kann es zu Körperkontaktstörungen kommen.
Unsere individualisierte Lebensweise tut ein Übriges, dass wir uns voneinander - nicht nur zu Pandemie-Zeiten - isolieren. Kinder schlafen früh im eigenen Zimmer und nicht mehr bei den Eltern. Wir kommunizieren immer häufiger über Bildschirme statt mit einem echten Gegenüber. Fernbeziehungen, zunehmende Mobilität und ein Anteil der Singlehaushalte von über 40 Prozent lassen die tägliche Kuscheleinheit fast schon exotisch erscheinen. "Sein Kind oder seinen Lebenspartner instinktiv immer wieder mal mit Nähe und Körperwärme zu umhüllen, ist bei Menschen mit einer Körperkontaktstörung nur schwer möglich - oder sogar unmöglich", sagt Uta Streit. Die Grundlagen für eine solche Störung, so die Psychologin, werden allerdings oft bereits in den ersten Lebensjahren gelegt. Frühgeborene, die nach der Geburt im Inkubator weniger Körperkontakt erleben, sind ebenso gefährdet, wie Kinder, die aufgrund sozialer Isolation, etwa in Heimen, keine Nähe aufbauen können. Ebenso denkbar sind physiologische Einschränkungen, etwa eine Überempfindlichkeit oder Einschränkung des Tast-, Hör-oder Gleichgewichtssinns.
Eine frühe Behandlung ist wichtig, denn physische Nähe wird zunehmend gemieden, wenn sie als unangenehm empfunden wird. Betroffene isolieren sich dann bewusst. Denn durch eine geringere Anzahl körperlichen Kontakte werden Berührungen zunehmend als unangenehm empfunden. Ein Teufelskreis beginnt, aus dem betroffene Menschen nur mit therapeutischer Hilfe ausbrechen können. Eine "Körperbezogene Interaktionstherapie" kann hier helfen, Hemmungen gegenüber Körper- und Blickkontakt zu anderen Menschen zu überwinden.
Literarische Umarmung: Wenn Worte berühren
",Schau, hier bist du einzigartig', sagte seine Mutter. 'Und ich bin auch einzigartig, aber wenn ich dich jetzt umarme, bist du nicht mehr allein, und ich auch nicht.' 'Dann umarme mich', sagte Ben und schmiegte sich an seine Mutter. Seine Mutter hielt ihn fest umarmt. (...) 'Jetzt bin ich nicht mehr allein', dachte er, während sie sich umarmten (...). 'Siehst du', flüsterte seine Mutter. 'Genau dafür wurde die Umarmung erfunden.'"
aus: David Grossman, Die Umarmung, München 2012.
Feinfühliger Roboter: Schmusen mit HuggieBot

Katherine J. Kuchenbecker, Forschungsleiterin Haptische Intelligenz am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, in den Armen von HuggieBot.
Beunruhigender Sci-Fi-Albtraum oder faszinierendes Zukunftsszenario? Bei der Entwicklung von humanoiden, also menschenähnlichen, Robotern scheiden sich die Geister. Sicher ist, dass menschliche Gefühle und technische Schaltkreise kein Gegensatz mehr sein müssen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist HuggieBot. Forscher der Abteilung Haptische Intelligenz des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart haben diesen Roboter entwickelt, um zu untersuchen, welche Anforderungen technische Systeme erfüllen müssen, damit Menschen ihre Berührungen etwa bei therapeutischen oder sozialen Interaktionen als angenehm und hilfreich empfinden.
Ziel von Alexis E. Block, leitende Wissenschaftlerin des Forschungsprojekts HuggieBot, ist es, dass die Streicheleinheiten des Roboters genauso beruhigen, trösten und Geborgenheit geben wie die Berührung eines Menschen. Voraussetzung dafür ist, dass die Liebkosungen möglichst menschenähnlich ausfallen, also beispielsweise weich und warm ist. HuggieBot trägt deshalb eine kuschelige Jacke, gepolsterte Handschuhe und einen umhüllenden Rock über seinem "Körper", der aus einem aufblasbaren, beheizten Ballon besteht. Damit die Berührung des Roboters Geborgenheit vermittelt, ist er nicht nur in der Lage Körpergröße und -haltung seines Kuschelpartners zu erkennen. Er kann mithilfe von Sensoren auch "erfühlen", wie stark die Umarmung sein darf und wann es angebracht ist, die Roboterarme wieder zu lösen. Tatsächlich öffnet er sofort seine Arme, sobald sein Gegenüber die Umarmung löst.
Ziel der Stuttgarter Forscher ist es, Roboter mit Sinn für Berührungen zu entwickeln, die bedürftige Menschen bei einer Therapie oder im Alltag unterstützen. Das könnten einsame Senioren in einem Altersheim sein, Patienten in einer Reha-Einrichtung oder auch Kinder mit Autismus. Haptisch intelligente Roboter werden nach Vorstellung der Wissenschaftler in Zukunft dann auch die Lücke schließen, die zwischen virtueller und physischer Welt klafft. Denn Maschinen wie HuggieBot könnten es Menschen, die eigentlich weit voneinander entfernt sind, erlauben, Berührungen auszutauschen.
Niemand zum Knuddeln da? Tipps für einsame Schmusekatzen!
Egal, ob überzeugter Single oder ungewollt alleine lebend: Jeder Mensch braucht ab und zu Streicheleinheiten, Berührungen oder einfach körperliche Nähe, um Stress abzubauen und gesund zu bleiben. Was aber tun, wenn gerade niemand zum Umarmen da ist? Hier gibt's Tipps für einsame Schmusekatzen:
1. Bäume umarmen
Jemanden im Arm zu halten, fühlt sich gut an. Dass dieser "Jemand" auch ein Baum sein kann, darauf weist der Bremer Neurologe Sebastian von Berg hin. Denn auch beim Umarmen eines Baumes werden die Berührungsrezeptoren auf der Haut aktiviert und das Glückshormon freigesetzt. "Das klingt jetzt witzig, aber wenn man das mal gemacht hat, dann merkt man: Das macht ein gutes Gefühl, das fühlt sich groß und stark an", sagte der Mediziner in einem Interview gegenüber Radio Bremen.
Während der Corona-Pandemie ermutigte die isländische Forstverwaltung Menschen, denen wegen der strengen Isolationsmaßnahmen körperliche Nähe fehlte, im Wald Trost zu suchen. Bäume könnten ein Gefühl der Geborgenheit vermitteln, so die Isländer. Im Hallormsstaður-Nationalwald im Osten Islands hatten Förster im Corona-Frühjahr 2020 dafür sogar die noch schneebedeckten Wege geräumt. "Wenn man einen Baum umarmt, spürt man ihn zuerst in den Zehen, dann in den Beinen, dann in der Brust und schließlich im Kopf", schwärmten die isländischen Förster.
2. Tiere umarmen
Wem Bäume zu hart und kratzig sind, der kann auch einen Vierbeiner als Knuddelpartner in Betracht ziehen. Die Eignung von Hund und Katz‘ als Kuscheltier haben schwedische Wissenschaftler bereits 2015 erforscht. Demnach wird das "Glückshormon" Oxytocin nicht nur bei der Interaktion von Menschen freigesetzt, sondern auch, wenn wir Tiere, insbesondere Hunde, berühren oder umarmen.
3. Professionelles Umarmen
Körperkontakt hilft gegen Stress und Einsamkeit. Aber nicht alle Menschen haben jemanden zum Knuddeln. Dafür gibt es professionelle Kuschler, die gegen ein Honorar körperliche Nähe anbieten. Sexuelle Berührungen sind dabei tabu. Kuschler und Klient halten sich an den Händen oder sitzen oder liegen nahe beieinander. Schulter, Arme oder der Kopf werden gestreichelt. Der Gekuschelte wird umarmt, gedrückt oder festgehalten - so, wie er oder sie am besten entspannen kann.
4. Kuschelpartys
Organisierte Kuschelpartys verfolgen ein ähnliches Ziel wie die Einzelsitzung beim professionellen Kuschler, nur dass hier zehn oder zwanzig Teilnehmer zusammenkommen. Das Ziel der Kuschelpartys, die mitunter von Kuscheltherapeuten angeleitet werden: Sich streicheln, in den Armen liegen, aneinanderschmiegen - und das ohne sexuelle oder romantische Hintergedanken.

Einen Baum zu umarmen kann heilsam sein - nicht nur in Zeiten der Pandemie.