Angst Wie es uns gelingt, wieder klar zu denken

Author: Doris Tromballa

Published at: 13-9-2024

"Vor Angst gelähmt" sein ist ein furchtbares Gefühl. Probleme, Krisen und Konflikte können uns starr vor Angst machen. Der Kopf blockiert, wir können nicht klar denken. Doch es gibt einen Weg aus dieser Starre, versprechen Experten.

Ein Mann blickt nachdenklich aus dem Fenster. Angst kann uns schützen, aber auch lähmen. Welche Ursachen und Grundformen von Angst es gibt und Tipps, wie ihr Ängste überwindet. | Bild: picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer

Angst: Wie das Gefühl im Körper entsteht

Stellt euch vor, ihr seid allein zuhause, es ist dunkel und plötzlich hört ihr ein unbekanntes Geräusch. Euer Herz beginnt schneller zu schlagen, euer Atem geht flacher, eure Augen suchen den Raum ab - euch packt sprichwörtlich die Angst. Angst ist ein tief verwurzeltes, menschliches Gefühl, das rasant von uns Besitz ergreift. Evolutionsbiologisch gesehen war Angst überlebenswichtig, um uns vor Gefahren zu schützen. Angst wird vor allem in der Amygdala, einem kleinen, mandelförmigen Bereich in der Mitte unseres Gehirns verarbeitet. Die Amygdala ist dafür verantwortlich, potenzielle Bedrohungen blitzschnell zu erkennen und den Körper auf eine mögliche Konfrontation vorzubereiten. Darüber hinaus werden bei Angst Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet. Diese Hormone versetzen euren Körper in Alarmbereitschaft: Euer Herz schlägt schneller, die Muskeln spannen sich an und eure Aufmerksamkeit auf alles, was jetzt kommt, wird messerscharf. Die "Fight-or-Flight-Response", also die "Kampf-oder-Flucht-Reaktion" nannte das der amerikanische Physiologe Walter Cannon im Jahr 1915.

Definition: Was ist Angst?

Heute sind die Dinge komplizierter. Denn im Alltag fürchten wir uns in der Regel nicht mehr vor wilden Tieren oder Naturkatastrophen, sondern eher vor dem, was in unserem Kopf geschieht - sei es die Angst vor Versagen, sozialer Ablehnung oder vor finanziellen Problemen. Das kennt ihr bestimmt: Ihr grübelt über ein Problem nach, und je länger ihr nachdenkt, desto größer und überwältigender wird es. Unser Kopf macht oft Situationen dramatischer, als sie wirklich sind. Wir bekommen immer mehr Angst. Auch wenn eigentlich noch gar nichts passiert ist. Aber wir können die Angst nicht abstreifen. Der Philosoph und Autor Rolf Dobelli beschreibt es so: "Angst ist selten rational, aber sie ist immer effektiv." Was dann passiert, bezeichnen Wissenschaftler oft als "Freeze": Wir erstarren buchstäblich vor Angst. Die Philosophin Ina Schmidt spricht in diesem Zusammenhang von einer "Gefühlslage, die uns hindert, klar zu denken". Sie betont, dass wir uns oft in unseren eigenen Erzählungen und Ängsten verfangen, die uns die Sicht auf die Realität verstellen.

Video: Verschiedene Ursachen für Angst

Ursachen von Angst: Die vier Grundängste

Viele Wissenschaftler und Psychologen gehen heute davon aus, dass zwar alle Menschen individuelle Ängste haben, dass die individuellen Ängste möglicherweise aber Ausprägungen allgemeiner Grundängste sind. Zur bekanntesten Grundangst-Theorie gehört die des deutschen Psychoanalytikers Fritz Riemann (1902-1974).

Die vier Grundformen der Angst nach Fritz Riemann
Riemann hat in seinem Buch "Grundformen der Angst" versucht, vier Grundtypen von Angst zu definieren. Seine Idee: Wovor wir besonders Angst haben, das prägt auch unsere Persönlichkeit maßgeblich. Für ihn gibt es deshalb vier Grundformen der Angst:


1. Angst vor Veränderung
Die Angst vor Neuem hat die Evolution hervorgebracht: Lebewesen sind zwar zum einen neugierig, zum anderen hat sich aber auch ein weiteres Verhaltenssystem herausgebildet: Eine Hemmung, damit wir nicht unbedacht auf alles Neue zulaufen. Menschen, bei denen die Angst vor Veränderung besonders ausgeprägt ist, haben ein starkes Bedürfnis nach Ordnung, Stabilität und Kontrolle. Sie planen alles genauestens im Voraus und sind schnell verunsichert, wenn ihre Routinen durcheinandergewürfelt werden.

2. Angst vor der Notwendigkeit/Endgültigkeit
Menschen sind soziale Wesen - ganz auf uns allein gestellt können wir nicht überleben. Aber diese Tatsache kann auch furchteinflößend sein. Sich auf einen Ehepartner festlegen, ein Versprechen halten, Verpflichtungen eingehen - das engt unsere Freiheit und Unabhängigkeit ein. Menschen, die Angst vor der Endgültigkeit haben, hadern oft damit, dass das Leben mehr zu bieten hat und haben schnell das Gefühl, irgendetwas zu verpassen.

3. Angst vor Nähe/Hingabe
Ohne körperliche Nähe können wir Menschen uns nicht gesund entwickeln. Sie ist grundlegend, um Beziehungen aufzubauen, um in Familie und Gesellschaft miteinander auszukommen. Dennoch kann uns Nähe auch Angst einjagen. Menschen mit einer ausgeprägten Angst vor Nähe halten lieber "eine Armlänge Abstand", körperlich und/oder emotional. Sie fühlen sich schnell von anderen Menschen gefühlsmäßig überfordert und ziehen sich zurück.

4. Angst vor Selbstwerdung
Diese Angst meint unsere Angst vor Einsamkeit. Alle Menschen sehnen sich nach Geborgenheit und Zuwendung, gleichzeitig aber besteht immer die Gefahr, dass wir verlassen werden. Wer große Angst vor der Einsamkeit hat, ist oft sehr harmoniebedürftig und vermeidet Konflikte um jeden Preis. Das kann sogar dazu führen, dass wir in Beziehungen bleiben, die uns nicht gut tun: Weil wir Angst haben, sonst allein zu sein.

Video: Haben wir immer mehr Angst?

Praktische Tipps: Was tun gegen die Angst?

Wie könnt ihr eure Ängste überwinden und wieder ins Handeln kommen? Der Philosoph und Buchautor Rolf Dobelli nennt dafür ein paar praktische Tipps:

  • Kennt eure Denkfehler: Unser Gehirn liebt es, uns Streiche zu spielen. Verzerrungen wie der Bestätigungsfehler ("confirmation bias") führen dazu, dass ihr nur das seht, was eure Angst bestätigt. Nehmt diesen Mechanismus bewusst wahr! Stellt euch vor, ihr habt Angst vor dem Fliegen, weil ihr immer wieder von Flugzeugunglücken hört. Doch wie oft fliegt ihr sicher? Achtet auf die Statistik, nicht auf die Schlagzeilen!
  • Fokussiert euch auf das, was ihr beeinflussen könnt: Ängste kommen oft, weil wir uns ohnmächtig fühlen. Konzentriert euch auf das, was ihr direkt beeinflussen könnt. Macht euch eine Liste der Dinge, die ihr steuern könnt, und packt sie an. Das gibt euch wieder das Gefühl von Kontrolle!
  • Achtsamer Medienkonsum: Schlimme Schlagzeilen können uns Angst vor der Welt machen. Die Vergleiche mit anderen auf Social Media können uns Angst vor dem Versagen machen. Wenn ihr merkt, dass euch die tägliche Nachrichtenflut runterzieht, schränkt sie ein. Nehmt bewusste "Medienpausen" und nutzt die Zeit für etwas, das euch Freude macht.
  • Wechselt die Perspektive: Stellt euch vor, ihr schaut auf eure Situation wie ein unbeteiligter Beobachter. Was würdet ihr jemandem raten, der genauso fühlt wie ihr? Diese Perspektive hilft euch, die Dinge objektiver zu sehen und weniger dramatisch zu empfinden.
  • Kleine Schritte zählen: Große Aufgaben wirken oft überwältigend und fördern die Angst. Zerlegt eure Herausforderungen in kleine, machbare Schritte. Jeder noch so kleine Erfolg gibt euch ein gutes Gefühl und bringt euch weiter.
  • Schafft Routinen und klare Denkstrukturen: Trainiert euch darin, in schwierigen Momenten klare, vernünftige Denkmuster zu nutzen. Wenn ihr euch in der Angst gefangen fühlt, fragt euch: Wie dramatisch ist die momentane Situation wirklich?

Vielleicht hilft euch auch das Zitat des berühmten Schriftstellers Mark Twain: "Ich habe schreckliche Dinge erlebt, doch das meiste davon ist zum Glück nie eingetreten."

Kurz gesagt: Nehmt die Dinge in die Hand, konzentriert euch auf das Machbare, und lasst euch nicht von eurem Kopf täuschen. Jeder kleine Schritt zählt, um euch wieder ins Handeln zu bringen!

Audio: Angst bekämpfen mit Überlegung "Was wäre, wenn ..."

Neue Denkräume helfen gegen Angst und Krisen: Gespräch mit Philosophin Ina Schmidt

Mehr Infos: Quellen, weitere Infos und Sendungen zum Umgang mit der Angst

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