Bomben Gefährliche Altlasten an Land, in Seen und Meeren

Von: Tanja Fieber

Stand: 22.11.2021 15:51 Uhr

Alte Bomben tauchen in Deutschland an Land auf, aber auch in Seen und Meeren. In Nord- und Ostsee wurden nach dem Zweiten Weltkrieg massenhaft Kampfmittel verklappt. Durch Korrosion gelangen giftige Substanzen ins Wasser. Höchste Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Wasserbomben-Fund bei Wangerooge | Bild: picture alliance/dpa/Peter Kuchenbuch-Hanken

Bomben tauchen in Deutschland meist zufällig bei Baumaßnahmen auf, die ins Erdreich oder den Meeresboden, für Windparks oder Pipelines, eingreifen. Kampfmittel werden ausschließlich anlassbezogen und entsprechend der gesetzlichen Anforderungen der Länder geräumt. Es sei denn, es gibt bereits Hinweise, dass ein Areal mit Kampfmitteln belastet ist. An Land gibt es 2.098 solcher Verdachtsstandorte allein im Zuständigkeitsbereich der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA). Diese Zahl steht in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung, die Abgeordnete der Grünen im November 2020 gestellt haben. Wie viele Kampfmittel wo auf dem Meeresboden von Nord- und Ostsee liegen, ist schlechter erforscht als die Situation an Land. Experten schätzen, dass auf deutschem Gebiet in der Nordsee 1,3 Millionen Tonnen konventionelle Munition zu finden sind und 300.000 Tonnen in der Ostsee.

Gezeigt Munition im Meer

Kampfmittelbelastung Norddeutschland | Bild: BR

Diese Karte zeigt nur einen Ausschnitt von Gebieten mit Kampfmittelbelastung an Nord- und Ostsee. In der Ostsee liegen diese nördlich und nordöstlich der Kieler Förde, vor allem das Sperrgebiet Kolberger Heide ist berüchtigt, sowie an der Lübecker Bucht und bei Usedom. An der Nordsee gibt es Hotspots zwischen Wangerooge und Wilhelmshaven (Minsener Oog, Schillig) und bei Helgoland. Wo kommen die Bomben, Minen, Granaten oder chemischen Kampfmittel her? Sie wurden in beiden Weltkriegen abgeworfen, fielen bei Übungen oder Kämpfen auf See ins Meer, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg ins Wasser geworfen oder im großen Stil in Nord- und Ostsee verklappt. Im Auftrag der Alliierten sollen rund 85 Prozent der in Deutschland gefundenen chemischen Kampfmittel im Meer versenkt worden sein.

Gesehen Verklappung von Munition

Im Auftrag der Alliierten wurden nach Ende des Zweiten Weltkriegs massenhaft Kampfmittel in Nord- und Ostsee verklappt. (Foto mit freundlicher Genehmigung der Kampfmittelbeseitigungsfirma SeaTerra GmbH) | Bild: SeaTerra GmbH

Kampfmittelbeseitigung auf See

Aus den Augen, aus dem Sinn: So sah das aus, als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs massenhaft Munition im Meer versenkt wurde.

Gesagt „Das ist 100 Jahre her!“

"Die Munition (vom Zweiten Weltkrieg) liegt da immer noch. Und auch die Munition vom Ersten Weltkrieg liegt da noch. Das ist 100 Jahre her! 100 Jahre hast Du immer noch mit den Lasten des Krieges zu tun!“ Professor Jens Greinert, mariner Geologe, Geomar - Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, in der SWR-Doku 'Zeitbomben am Meeresgrund'

Gefunden Sprengstoff am Strand

Weltweit Munition im Meer

Weltweite Kampfmittelbelastung an Küsten | Bild: SeaTerra GmbH

Kampfmittelbelastung in Küstenbereichen weltweit

Nicht nur Nord- und Ostsee sind mit Kampfmitteln belastet. Bomben und Granaten liegen weltweit in Meeren und werden an Küsten angeschwemmt. Wie groß das Problem ist, zeigt diese Karte. Bei AmuCad.org gibt es genauere Infos.

Auf einen Blick Warum Munition im Meer gefährlich ist

  • Sprengstoffe im Meer, die mechanisch beeinflusst werden, können explodieren.
  • Liegt eine Bombe im Schlick und ein Schiff fährt darauf, kann es zur einer Detonation kommen.
  • Bomben enthalten Sprengstoff und manche auch chemische Kampfstoffe. Die meisten chemischen Kampfstoffe sind für alle Organismen giftig, die in Kontakt mit ihnen kommen. Ein Bestandteil von Sprengstoff ist TNT. Die Substanz ist krebserregend und löst sich im Wasser auf wie Kandiszucker im Tee, aber sehr viel langsamer.
  • Ganze Munitionskörper oder -teile können an Land gespült werden. Sie können von Spaziergängern und Kindern eingesammelt werden, die damit spielen.
  • Munition sollte aus Umweltschutzgründen nur im Wasser gesprengt werden, wenn unbedingt nötig. Bei einer Explosion bleiben Sprengstoffreste zurück und die Substanzen verteilen sich gut im Wasser. Bei diesen sogenannten "Blast in Place"-Räumungen ist es sehr wichtig, die Wucht der Druckwelle abzuschwächen, damit insbesondere Meeressäuger nicht gefährdet werden. Es drohen Beschädigungen des Hör- und Gleichgewichtsorgans.

Fakten Was wir wissen - und was nicht

  • Es ist erwiesen, dass durch alte Munition im Meer Sprengstoff-Substanzen freigesetzt werden.
  • Man weiß, dass es Verklappungsgebiete gibt, in denen Munition liegt.
  • Untersuchungen der Universität Kiel, des Alfred-Wegner-Institus und des Thünen-Instituts für Fischerei-Ökologie zeigen, dass Miesmuscheln und spezielle ortstreue Fische, Klieschen, die sprengstofftypischen Verbindungen (STVs) und chemische Kampfstoffe aus der Munition aufnehmen. Je mehr Sprengstoff offen liegt und je dichter die Faunen dazu leben, desto höher können die Konzentrationen in Organismen werden.
  • In Laborversuchen führte die Aufnahme von Kampf- und Explosivstoffen in Muscheln zu Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit. Welche Auswirkungen das auf das Ökosystem hat, muss noch untersucht werden.
  • Man kennt Verklappungsgebiete in Nord- und Ostsee, aber nicht die Wege dorthin. Funde deuten darauf hin, dass Kampfmittel auch vor den Verklappungsgebieten ins Meer geworfen wurden ("en-route dumping"), zum Beispiel um Benzin zu sparen oder mehrere Verklappungen zu machen. Die Gebiete wurden ursprünglich von den Alliierten ausgewiesen.
  • Man weiß nicht, wo Blindgänger liegen, die als Abwürfe während der Kriegsoperationen nicht explodiert sind.
  • Ob es derzeit gefährlich für Menschen ist, dass Miesmuscheln und Klieschen Sprengstoff-Substanzen aufnehmen und diese dann bei uns auf dem Teller landen, wird gerade erforscht. Nach jetzigem Stand (Februar 2021) besteht aber keine Gefährdung. Allerdings werden in den nächsten Jahren noch wesentlich mehr Explosivstoffe durch die rostende Munition ins Meer gelangen.

Was wäre wenn? TNT verteilt sich in der Ostsee

Ulf Gräwe vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) hat 2017 erstmals mit realistischen Daten berechnet, wie sich TNT, das sich aus Bomben gelöst hat, in der Ostsee (weiß, Landfläche ist grau) verteilen könnte. Diese Simulation zeigt den Strömungsverlauf innerhalb eines Jahres (grün, gelb, rot). Dabei hängt die Abbaurate des TNT von der Temperatur und dem Salzgehalt des Wassers ab. Der mikrobielle Abbau wurde nicht eingerechnet. Aufgrund neuer Kartierungen weiß man inzwischen, dass die TNT-Quellen deutlich weiter verteilt liegen, als 2017 für die Modellrechnung angenommen.

Masterplan Bestandsaufnahme Munition im Meer

Projekt BASTA: Intelligentes Unterwasserfahrzeug (AUV) wird ins Wasser gelassen. | Bild: Torsten Frey / GEOMAR

Intelligentes Wasserfahrzeug (AUV) vom Geomar wird zu Wasser gelassen.

Die Kampfmittelbeseitigung in Häfen oder bei der Verlegung von Pipelines sei gut geregelt, sagt Professor Greinert. „Die gute Organisation hört da auf, wo ökologische Aspekte ins Spiel kommen.“ Greinert und andere Wissenschaftler sowie Sprengstoff-Experten haben sich deshalb zusammengetan und einen Masterplan entworfen, um sich über die Kampfmittelbelastung im Meer einen Überblick zu verschaffen. Mit 3-Jahres-Projekten will man Schritt für Schritt Informationen über Munition im Meer sammeln, von der Sondierung des Meeresbodens über Sprengstoff im Wasser bis hin zur Beseitigung und Entsorgung der Kampfmittel.

So läuft seit Anfang 2020 das Projekt BASTA (Boost Applied munition detection through Smart data inTegration and AI workflows). Mit einem hochauflösenden 3D-Sedimentecholot und intelligenten Unterwasserfahrzeugen (AUVs) soll systematisch der Meeresboden auf Munition abgesucht werden. Die gesammelten Daten werden zusammen mit historischen Informationen in eine Datenbank eingespeist. Das nächste Projekt namens CONMAR soll klären, wie gefährlich die Munitionsbelastung auf die marine Umwelt ist und auch wie sie sich über die Nahrungskette bis zum Menschen ausweiten könnte. Eins ist jetzt schon klar: Je später die Bestandsaufnahme erfolgt, desto teurer und gefährlicher wird die Bergung, "wenn es denn einmal wirklich sein muss", sagt Greinert.

Gefunden Ein Torpedo im Starnberger See

Am 17. September 2008 sorgte die Kampfmittelräumung eines Torpedos im Starnberger See für Aufregung. Die Unterwasserwaffe wurde gezielt gesprengt. | Bild: picture-alliance/dpa/Andreas Gebert

Kampfmittelräumung im Starnberger See im Jahr 2008

Gefährliche Fundstücke gibt es nicht nur im Meer oder am Strand. Munition wird auch in Binnengewässern gefunden, regelmäßig und landesweit. So hieß es am 17. September 2008: Torpedo im Starnberger See gefunden! Der Taucher Lino von Gartzen hatte die Unterwasserwaffe bereits 2003 bei einem Tauchgang entdeckt. In der Nähe einer skelettierten Leiche. 2008 konnte er ein so gutes Foto vorlegen, dass seine Warnung ernstgenommen wurde und Kampfmittelräumer ausrückten. Der rund 60 Jahre alte Torpedo musste gezielt gesprengt werden. Eine Räumung war nicht möglich. Im Juni 2018 sorgten Luftblasen im Sennfelder See, Landkreis Schweinfurt, erst für Erheiterung und „Nessie“-Rufe, dann für Schauder: Zwei undichte, rund 15 Kilogramm schwere Brandbomben aus dem Zweiten Weltkrieg verursachten das Geblubber. Als weitere Luftblasen aufstiegen, wurden rund 26.000 Quadratmeter des Sees abgesucht. Ergebnis: weitere Bomben, unter anderem eine 125 Kilogramm schwere Brandbombe.

Zwei Beispiele, aber keine Einzelfälle! „Ziemlich alles“ an Bomben wurde schon in Binnengewässern in Bayern gefunden, sagt der Betriebsleiter einer Kampfmittelräumfirma, Andreas Heil. „Und je nach Wasserstand und Bewegung gelangt einiges an die Ufer!“ Zum Beispiel bei Hochwasser. Oder Taucher und Schwimmer stoßen auf die gefährlichen Fundstücke. Zwar liegen in deutschen Binnengewässern deutlich weniger Bomben als in Nord- und Ostsee, aber sie sind da und korrodieren nach Jahrzehnten im Wasser.

TIPP Andreas Heil empfiehlt

  • Finger weg von verdächtigen Objekten!
  • Hat man nach Munitionskontakt Phosphor an den Händen, sieht man das anfangs nicht. Bei Berührung mit Augen, Mund oder - wildpinkelnde Männer, aufgepasst - Geschlechtsteilen droht massive Verletzungsgefahr!
  • Bei verdächtigem Fund Polizei anrufen. Sie regelt die Kampfmittelbeseitigung.
  • Lieber zwangzigmal zu viel die Polizei anrufen, als nicht anrufen.

Fakt Bomben-Hotspots an Land

Stadtansicht von Nürnberg vom Juni 1945. Die Stadt ist eine der Zentren der Bombadierung in Bayern. Besonders viele Blindgänger sind hier zu finden. | Bild: picture alliance/prisma/Schultz Reinhard

Die zerbombte Innenstadt von Nürnberg im Juni 1945

Kampfmittel findet man zu Land in Deutschland besonders im Ruhrgebiet, Berlin, Köln, Hamburg sowie in Großstädten und in Gebieten, in denen während der Weltkriege intensiv gekämpft wurde. Zentren der Bombardierung und Hotspots in Bayern sind: Nürnberg, Regensburg, Ingolstadt, München, Cham, Würzburg, Aschaffenburg und Schweinfurt.

Kurios Prozess nach Bombensprengung in München

Fakt Kampfmittelbeseitigung in Bayern

In Bayern wurden 2020 rund 150 Tonnen - 2019 waren es rund 230 Tonnen - Kampfmittel beseitigt. Kostenpunkt: Mehr als 1,2 Millionen Euro. Etwa zehn Prozent der im Zweiten Weltkrieg abgeworfenen Spreng- und Splitterbomben sind nach Schätzungen von Experten nicht detoniert. Kampfmittelbeseitigung in Bayern ist so geregelt: Grundeigner oder Investoren sind - anlassbedingt - für die Sondierung und Freilegung eines Baugrundes zuständig. Wird eine Bombe gefunden, sind untere Sicherheitsbehörden (z. B. Gemeinde, Landratsämter) in der Pflicht und der Kampfmittelbeseitigungsdienst arbeitet auf Staatskasse. Die Regelungen für alle Bundesländer finden Sie hier.

Trotz der Regelungen kommt es zu Prozessen, weil wie in München-Schwabing eine Bombe mitten in einer Stadt gesprengt werden muss oder sich Grundstückseigner an Räumungskosten beteiligen sollen. Und auf gefährliche Fundstücke wie Phosphor trifft man nicht nur an norddeutschen Küsten, sondern auch in München.

Wie können die Kampfmittel im Meer entsorgt werden? Das ist Thema eines Projektes, das bis 2024 läuft und an dem auch das Geomar beteiligt ist. Schon jetzt ist klar, dass es für die Kampfmittelbeseitigung im Meer neue Technologien braucht, um Bomben direkt im Meer zu entsorgen und sie nicht weit über Land transportieren zu müssen. Lohnt sich der teure und aufwendige Eingriff auf See? Antworten von Torsten Frey vom Geomar.

Filme Spannende Dokus

  • Zeitbomben am Meeresgrund: Artikel und Doku von Michael Stocks (SWR)
  • Bomben im Meer - Minenfeld Ostsee: Youtube-Video von Terra X (ZDF)