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Der Klimawandel ist schon lange bekannt Die Geschichte der Klimaforschung

Dass sich das Klima ändert und sich die Erde erwärmt, wissen wir schon sehr lange. "Wir haben 25 Jahre verloren. Hätten wir damals sofort reagiert, wären wir nicht in der Lage, in der wir heute sind," klagt ein Klimaforscher.

Von: Renate Ell, Heike Westram

Stand: 05.10.2022

Der Klimawandel ist eines der aktuell drängendsten Themen, doch dass es ihn gibt, ist keineswegs neu. Ein Blick in die Geschichte der Klimaforschung zeigt: Die Zusammenhänge wurden schon vor langem entdeckt, die ersten Warnungen vor dem menschengemachten Klimawandel sind Jahrzehnte her.

Vor zwei Jahrhunderten wird der Treibhauseffekt entdeckt

Schon vor rund 200 Jahren beschreibt Joseph Fourier als erster den Treibhauseffekt, ohne den auf der Erde ein eisiges, lebensfeindliches Klima herrschen würde:

"So steigt die Temperatur durch das Dazwischentreten der Atmosphäre, weil die Wärme in Form von Licht ungehindert in die Luft eindringt – aber dann daran gehindert wird, wieder zurückzukehren, nachdem sie in Wärme umgewandelt wurde."

Joseph Fourier, 1824

Kohlendioxid als Treibhausgas seit den 1850er-Jahren bekannt

Die Amerikanerin Eunice Foote experimentiert in den 1850er-Jahren mit Wasserdampf und Kohlendioxid (CO2) und stellt fest, dass letzteres die Temperatur steigen lässt. Sie kommt zu dem Schluss, dass "eine Atmosphäre mit diesem Gas unserer Erde eine hohe Temperatur verleihen" würde. Um 1862 erforscht der Brite John Tyndall den natürlichen Treibhauseffekt und stellt neben CO2 weitere Treibhausgase fest. Und er bringt Schwankungen der CO2-Konzentration in Verbindung mit den Eiszeiten.

1896: Der Mensch erhöht den CO2-Gehalt in der Atmosphäre

Bereits vor dem Ende des 19. Jahrhunderts erwähnt Svante Arrhenius erstmals, dass der Mensch den CO2-Gehalt der Atmosphäre erhöht. Der schwedische Chemiker erforscht den wärmenden Effekt von Kohlendioxid und seiner Konzentration in der Erdatmosphäre. Allerdings ist dieser anthropogene (menschengemachte) Treibhauseffekt zur damaligen Zeit eher ein Grund zur Hoffnung als zur Sorge:

"Durch Einwirkung des erhöhten Kohlensäuregehaltes der Luft hoffen wir uns allmählich Zeiten mit gleichmäßigeren und besseren klimatischen Verhältnissen zu nähern, besonders in den kälteren Teilen der Erde; Zeiten, da die Erde um das Vielfache erhöhte Ernten zu tragen vermag zum Nutzen des rasch anwachsenden Menschengeschlechtes."

Svante Arrhenius, 1906

Der Kanadier Guy Steward Callendar, der in den 1930er-Jahren erforscht, wie stark die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zugenommen hat, stellt fest, dass die Erde sich pro Jahr um 0,005 Grad Celsius erwärmt - zu viel für einen natürlichen Klimawandel, aber auch in seinen Augen ein positiver Effekt.

1941: Erste Warnungen vor der Klimaveränderung

Ein paar Jahre später, mitten im zweiten Weltkrieg, beschäftigt sich der junge deutsche Meteorologe Hermann Flohn im Reichsamt für Wetterdienst mit der Frage, wie Menschen das Klima verändern. Er erforscht die Wirkung von Städten, Stauseen und Wäldern auf das lokale Mikroklima und die Industrie-Emissionen wie CO2, aber auch Staub und Ruß. Angesichts der Komplexität der Zusammenhänge warnt Flohn:

"Mit einem Fortschreiten dieser sehr langsamen Erhöhung der Temperatur … muss gerechnet werden. Damit wird aber die Tätigkeit des Menschen zur Ursache einer erdumspannenden Klimaänderung, deren zukünftige Bedeutung niemand ahnen kann."

Hermann Flohn, 1941

Wissenschaft bleibt skeptisch gegen anthropogenen Klimawandel

Aber auch danach zweifeln Forscher noch lange, ob die Klimaerwärmung tatsächlich auf menschlichen Einfluss zurückzuführen ist. Noch sind Messungen zum CO2-Gehalt der Atmosphäre schwierig und natürliche CO2-Quellen wie verrottende Pflanzen werden als viel wirksamer erachtet. 1957 stellen die Forscher Roger Revelle und Hans Suess jedoch fest, dass der Anteil des CO2-Isotops aus fossilen Quellen - Kohle etwa - in der Atmosphäre gestiegen ist und auch nicht im vermuteten Maße von den Ozeanen wieder aufgenommen wird:

"Die Menschheit führt derzeit ein groß angelegtes geophysikalisches Experiment durch."

Revelle und Suess, 1957

Ein Jahr darauf beginnt unter Mitwirkung von Revell die systematische Erforschung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre, am Observatorium auf dem Vulkan Mauna Loa in Hawaii. Ab da ist es messbar: Jahr für Jahr steigt der CO2-Gehalt. Bis heute hat er seit 1958 um etwa ein Viertel zugenommen.

Die Menge und Wirkung anderer Treibhausgase wie Methan bleibt der Forschung jedoch zunächst weiterhin unbekannt. Ab den 1970er-Jahren werden mit Flugzeugen systematisch Luftproben aus den höheren Schichten untersucht.

Ab 1960: Immer mehr Daten und neue Technik liefern erste Klima-Modelle

Ab den 1960er-Jahren gibt es immer mehr Messdaten für Treibhausgase. Auch die Computertechnik macht Fortschritte. Erste Klima-Modelle entstehen: Computerprogramme berechnen das komplexe Geschehen in der Atmosphäre. Viele Prozesse können sie noch nicht abbilden– aber sie liefern Argumente.

1971: Die erste große Warnung vor irreversiblen Folgen

1971 meldet sich zum ersten Mal die Deutsche Physikalische Gesellschaft zu Wort, nach einem aufrüttelnden Vortrag von Hermann Flohn bei der Jahrestagung. Und warnt davor, dass der Klimawandel unumkehrbar sein könnte:

"Geht aber die Industrialisierung und die Bevölkerungsexplosion ungehindert weiter, dann wird spätestens in zwei bis drei Generationen der Punkt erreicht, an dem unvermeidlich irreversible Folgen globalen Ausmaßes eintreten."

DPG, 1971

1979: Die erste Weltklimakonferenz

In dem Maße, in dem die Klimamodelle und Berechnungen verfeinert werden, steigt auch die Sorge unter Wissenschaftlern. Der erste weltweite Klimagipfel findet im Februar 1979 statt, damals unter der Leitung der World Meteorological Organization WMO. Die Politik ist dabei noch außen vor, beteiligt sind nur Wissenschaftler, auch der Klimaforscher Hermann Flohn:

"Das Thema ist so entscheidend wichtig für die Zukunft, dass wir auf jeden Fall alle Meteorologen damit vertraut machen sollten und die Forschung in die Richtung treiben, dass wir die Ursachen und die Möglichkeiten einer solchen Klima-Entwicklung näher untersuchten."

Hermann Flohn in einem Interview mit dem SWR

Die Konferenz mündet in einem Aufruf der Wissenschaft an die Politik, die Klimawandel-Forschung zu intensivieren, um weltweite schwere Folgen des Klimawandels zu verhindern. Im Jahr darauf wird das Welt-Klima-Forschungsprogramm gegründet.

1985: Die DPG warnt erneut - Jetzt muss begonnen werden!

1985 meldet sich die Deutsche Physikalische Gesellschaft ein zweites Mal zu Wort – diesmal deutlicher. Sie warnt: Durch die stark zunehmenden Treibhausgas-Emissionen könnte die Welt-Durchschnitts-Temperatur in den nächsten 50 bis 100 Jahren um mehrere Grad ansteigen, die Meeresspiegel um fünf bis zehn Meter steigen.

"Um die drohende Klimakatastrophe zu vermeiden, muss bereits jetzt wirkungsvoll damit begonnen werden, die weitere Emission der genannten Spurengase drastisch einzuschränken. Wenn diese Einschränkungen aufgeschoben werden, bis in vermutlich 1 bis 2 Jahrzehnten deutliche Klimaveränderungen sichtbar werden, wird es aller Voraussicht nach bereits zu spät sein."

DPG, 1985

Einer der Unterzeichner ist der Klimaforscher Klaus Heinloth, der seine eindringliche Warnung 1987 in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk wiederholt:

1986: Die Klimakatastrophe erreicht die Medien

In den Medien wird der Klimawandel zum Thema, als das Magazin "Der Spiegel" im Oktober 1986 der "Klima-Katastrophe" seine Titelstory widmet. 1987 veröffentlichen deutsche Physiker einen Aufruf in einer Fachzeitschrift. Im selben Jahr sagte der Klimaforscher und spätere Nobelpreisträger Klaus Hasselmann in einem Radiointerview des Bayerischen Rundfunks:

"Das Problem, vor dem wir stehen, ist, wenn wir so lange warten wollen, bis der menschliche Einfluss ganz eindeutig über den natürlichen Klimaschwankungspegel steht, dann ist es um die Änderungen so gravierend, dass es zu spät ist, korrigierend einzuwirken."

Klaus Hasselmann, Physik-Nobelpreisträger 2021 und Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie, 1987 im Bayerischen Rundfunk

Ab 1987: Politische Gremien zum Klimaschutz

Aufgerüttelt durch Medien und Wissenschaftler gründet der Bundestag 1987 die Enquete-Kommission "Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre", die 1994 ihren Abschlussbericht veröffentlicht. Das Fazit: Es müsse etwas gemacht werden, es sollten ganz konkrete Maßnahmen definiert werden.

Das war vor mehr als einem Vierteljahrhundert. Mit welchen Folgen, resümiert Klimaforscher Wolfgang Seiler:

"Aber ich muss sagen, es ist im Grunde genommen relativ wenig passiert. Das ist das, was mich an stärksten schmerzt. Wir haben 25 Jahre verloren. Hätten wir damals sofort reagiert, wären wir nicht in der Lage, in der wir heute sind, dass wir unsere CO2-Emissionen und auch die anderen Treibhausgasemissionen so drastisch reduzieren müssen, dass das tiefe Einschnitte in die Wirtschaft und auch in die Gesellschaft gibt."

Wolfgang Seiler, ehemaliger Leiter des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung in Garmisch-Partenkirchen

Auch der Weltklimarat IPCC wird zu dieser Zeit gegründet, im Jahr 1988. Mit seinem ca. alle sechs Jahre erscheinenden Weltklimabericht will der IPCC die Politik ganz konkret zum Handeln auffordern.

1992 beschließen die Vereinten Nationen auf der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung  in Rio de Janeiro die Klimarahmenkonvention. 1997 entsteht das Kyoto-Protokoll, in dem sich die Industrienationen erstmals zur Senkung der Treibhausgas-Emissionen verpflichten. 2015 wurde das Kyoto-Protokoll vom Pariser Klimavertrag abgelöst.

2007: Der Klimawandel wird offiziell

Erst im vierten Sachstandbericht des IPCC im Jahr 2007 gilt der Klimawandel wirklich als gesetzt und nicht mehr widerlegbar:

"Die Haupt-Schlussfolgerung ist, dass die Erwärmung des Klimas jetzt eindeutig ist, eindeutig, und das wird offensichtlich durch Beobachtungen der Luft- und Ozean-Temperaturen, Schnee- und Eis-Schmelze, Anstieg des Meeresspiegels."

Susan Solomon, Leiterin der Arbeitsgruppe 'Physikalische Grundlagen' für den Klimabericht 2007

Als eindeutig anthropogen, menschgemacht, wird der Klimawandel erst im folgenden Bericht des Weltklimarates bezeichnet, sieben Jahre später.

Und heute? Das Wissen um den Klimawandel, seine Ursachen und seine Folgen, ist längst da. Seit Jahrzehnten sammeln wir die Hinweise. Die Klimaforschung muss natürlich weitergehen. Doch was jetzt längst gefragt ist, ist politisches Handeln: wirksame Klimapolitik.


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