Arbeitssucht Bist du ein Workaholic?

Von: Constanze Alvarez

Stand: 20.06.2023

Arbeitest du bis tief in die Nacht? Plagt dich im Urlaub ein schlechtes Gewissen? Denkst du ständig an den Job? Dann hast du möglicherweise Probleme, dich von der Arbeit abzugrenzen. Was du dagegen tun kannst, erklären wir hier.

Gerade bei Selbstständigen ist das Risiko zu suchthaftem Arbeiten hoch, weil sie sich ihre Arbeitsstruktur selber erschaffen müssen.  | Bild: picture-alliance/dpa

Definition: Was ist Arbeitssucht?

Wer nur mit schlechtem Gewissen aufhören kann zu arbeiten, sich ständig noch mehr Aufgaben aufhalst und in der Freizeit nur schwer abschalten kann, könnte von Arbeitssucht betroffen sein. Wissenschaftler gehen davon aus, dass suchthaft Arbeitende nicht nur zwanghaft, sondern auch exzessiv arbeiten.

"Exzessives Arbeiten bedeutet in etwa, dass man häufig in der Eile ist oder im Wettlauf mit der Zeit, aber auch viele Sachen gleichzeitig macht und auch grundsätzlich mehr Zeit mit der Arbeit verbringt als mit anderen Aktivitäten im Leben", erklärt Beatrice van Berk. Die Soziologin arbeitet beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und ist an einer neuen Studie beteiligt, wonach jeder zehnte Erwerbstätige in Deutschland von Arbeitssucht betroffen ist. Zwanghaftes Arbeiten äußert sich wiederum an einem intensiven inneren Druck: "Man fühlt sich stark angetrieben, auch wenn es mal keinen Spaß macht. Spaß ist der Unterschied zu engagiertem Arbeiten", erläutert van Berk.

Noch gibt es keine klinische Diagnose für Menschen, die arbeitssüchtig sind. Psychologen orientieren sich ein Stück weit an Abhängigkeitserkrankungen wie der Spielsucht. Für die AOK ist die Diagnose gegeben, wenn drei klassische Suchtkriterien erfüllt sind: Wenn man das Gefühl hat, die Kontrolle über die Arbeit verloren zu haben, immer länger arbeitet (Dosissteigerung) und in der freien Zeit an Entzugserscheinungen leidet.

Der Begriff "Workaholic" setzt sich aus den englischen Wörtern für Arbeit (work) und Alkoholiker (alcoholic) zusammen und bedeutet auf Deutsch übersetzt "arbeitssüchtig". Im Alltag wird "Workaholic" häufig verharmlosend verwendet, für Menschen die viel und engagiert arbeiten. Tatsächlich verbirgt sich dahinter ein ernstzunehmendes Krankheitsbild, das viel Schaden im Leben der Betroffenen anrichten kann.

Arbeitssucht: Wenn sich alles um den Job dreht

Symptome: Wie erkenne ich, ob ich ein Workaholic bin?

Wenn deine Gedanken ständig um die Arbeit kreisen, du neben der Arbeit keine Hobbies hast und kaum Freunde triffst, wenn dich in deiner Freizeit Schuldgefühle plagen und du dich im Urlaub immer wieder ausklinkst, um am Laptop zu arbeiten, dann könnte es sein, dass du Probleme hast, dich von der Arbeit abzugrenzen. Weitere Symptome sind ein enormer innerer Druck, alles perfekt zu erledigen und die Angst vor dem Scheitern. Betroffene setzen sich selber unter Zeit- bzw. Leistungsdruck, auch wenn der von außen gar nicht gegeben ist. "Du möchtest möglichst viel in kurzer Zeit und mit geringem Aufwand erreichen," so formulieren es die Anonymen Arbeitssüchtigen (AAS) auf ihrer Webseite. Weil sich in deinem Leben alles um die Arbeit dreht, leiden auch deine Beziehungen zu anderen Menschen darunter.

Ob die Arbeitssituation zu viel Raum im Leben einnimmt und ob es einem schlecht geht, sollte man jedoch selbst bewerten. Oder im Zweifelsfall mithilfe eines Therapeuten. Viele Menschen würden versuchen, sich über eine Selbstdiagnose per Multiple-Choice-Test Klarheit zu verschaffen. Das ist jedoch nicht wirklich hilfreich, denn ein paar Fragen bilden noch keine belastbare Basis für eine Diagnose: "Es gibt nicht diesen Zehn-Punkte-Test, wo ich sagen würde, den sollte man nutzen", urteilt van Berk.

Video: Was hilft, wenn ihr Workaholics seid?

Arbeitssucht: Jeder zehnte Erwerbstätige in Deutschland ist davon betroffen

Suchthaftes Arbeiten; Quelle: Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) | Bild: BR

Jeder zehnte Erwerbstätige in Deutschland arbeitet exzessiv und zwanghaft.

Um suchthaftes Arbeiten in Deutschland zu messen, nutzten die Forscher des Bundesinstituts für Berufsbildung und der TU Braunschweig die international etablierte "Dutch Work Addiction Scale". Demnach wird suchthaftes Arbeiten als das gemeinsame Auftreten von exzessiven und zwanghaftem Arbeiten konzipiert. Die Forscher befragten 8.006 Erwerbstätige zwischen Oktober 2017 und Mai 2018 zu ihrem Arbeitsverhalten. Probanden, die mit ihren Antworten sowohl in der Kategorie "exzessiv" als auch "zwanghaft" den Schwellenwert von 3,5 überschreiten, gelten als suchthaft Arbeitende.

Ursachen: Wie entsteht Arbeitssucht?

Hinter einer suchthaften Neigung zur Arbeit stecken meistens mehrere Ursachen. Die Wissenschaft diskutiert dabei unterschiedliche Theorien. Fest steht, dass die Persönlichkeit eine Rolle spielt: So sind Perfektionisten, die sich stark über ihren Erfolg in der Arbeit definieren und ein hohes Bedürfnis nach Anerkennung haben, eher gefährdet als andere. Auch die familiäre Prägung spielt eine Rolle: "Wenn Kinder beispielsweise bei ihren Eltern sehen, dass die sehr viel arbeiten und Arbeit einen hohen Stellenwert im moralischen Kompass hat oder auch generell als sehr wichtig bewertet wird in der Familie, dann übernehmen Kinder in ihrem Erwerbsleben diese Einstellung häufig", erklärt Beatrice van Berk.

Finanzielle Probleme oder eine Beziehungskrise können ebenfalls Auslöser für Arbeitssucht sein. Im Fokus der Wissenschaft steht neuerdings jedoch der zunehmende Druck in der Arbeitswelt, immer mehr in kürzerer Zeit auf Top-Niveau leisten zu müssen, auch durch die Digitalisierung. "Steigende Anforderungen in der Arbeit, gepaart mit einem wachsenden Zeitdruck zählen möglicherweise zu den wichtigsten Faktoren für die Entstehung suchthaften Arbeitens", sagt Morteza Charkhabi. Der Psychologe arbeitete mit an einer Studie, die 2021 im International Journey of Environmental Research and Publik Health veröffentlicht wurde. Gerade bei Menschen mit einer hohen Arbeitslast, wenig Kontrolle über das Arbeitspensum und geringer Entscheidungsmacht sei das Risiko der Arbeitssucht besonders hoch.

Folgen: Wie wirkt sich Arbeitssucht auf die Gesundheit aus?

Arbeitssucht hat äußerst negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Wer nachts nicht schlafen kann, weil das Hirn nicht zur Ruhe kommt, oder sich im Urlaub ständig Sorgen macht über unerledigte Aufgaben, kann sich nicht richtig erholen. Suchthaft Arbeitende leiden deswegen deutlich häufiger als andere an Müdigkeit, Niedergeschlagenheit und körperlicher Erschöpfung. Das Risiko, an einer Depression oder Burnout zu erkranken, ist bei Workaholics besonders hoch. Auch dauerhafte Schlafstörungen, kardiovaskuläre Probleme bis hin zum Herzinfarkt, Verspannungen und Magen-Darm-Beschwerden können die Folge von Arbeitssucht sein. Hinzu kommt: Um die Leistungsfähigkeit aufrecht zu erhalten, greifen suchthaft Arbeitende häufig zu Alkohol oder Aufputschmitteln und begeben sich dadurch noch stärker in einen Teufelskreis aus Abhängigkeiten.

Heilung: Was kann ich gegen Arbeitssucht tun?

Auch wenn es schwerfällt: Versucht in einem ersten Schritt, Abstand zur Arbeit zu gewinnen. Zum Beispiel in Form eines mehrwöchigen Urlaubs. "Die Gedanken an die Arbeit gehen ja nicht weg, wenn ich fünf Tage Urlaub mache. Das kennen auch viele Erwerbstätige, die nicht suchthaft arbeiten. Man braucht eine gewisse Zeit, um in der Freizeit anzukommen", rät die Wissenschaftlerin Beatrice van Berk vom Bundesinstitut für Berufsbildung.

"Wichtig ist, einmal rauszukommen aus dem Hamsterrad. Einen Moment zu haben, die eigene Lebenssituation zu reflektieren, um dauerhaft etwas verändern zu können." Dann lassen sich auch wichtige Fragen leichter beantworten: Woher kommt der Druck, den ich verspüre? Bin ich das oder kommt er aus meinem Arbeitsumfeld? Wird von den Arbeitgebern ständige Erreichbarkeit erwartet? Sind Überstunden selbstverständlich? Werde ich selber mit dem Problem fertig oder sollte ich mit einem Therapeuten oder Therapeutin sprechen?

Wichtig ist: Sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht. Suchthaft Arbeitende haben zwar mehr gesundheitliche Probleme als andere Erwerbstätige, gehen aber selten zum Arzt, das zeigt die Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung. Was auch hilft: Pausen machen. Wenn man krank ist, sollte man sich auch krankmelden und nicht weiterarbeiten. Das ist für Selbstständige natürlich schwierig. Gerade bei ihnen ist das Risiko zum Workaholic zu werden, besonders groß. Nach Möglichkeit sollten Freiberufler deswegen Geld zurücklegen, für umsatzschwache Monate. Damit gewinnen sie ein wenig Sicherheit und können auch mal einen Auftrag ablehnen.

Prävention: Die Betriebskultur ist entscheidend

"Führungskräfte spielen bei der Prävention von Arbeitssucht eine Schlüsselrolle", sagt Soziologin Beatrice van Berk. Denn sie steuern die Art, wie im Betrieb gearbeitet wird. Nicht nur, wie groß das zu bewältigende Arbeitspensum ist, sie definieren auch die Betriebskultur, wenn es um Urlaubsplanung geht. Wird einem Arbeitnehmer nahegelegt, die Urlaubstage zu nehmen? Und wie viel Rücksicht nimmt man bei der Urlaubsplanung aufeinander?

"In kleineren Betrieben gibt es weniger Regelungen, ab wie vielen Überstunden ein Zeitausgleich genommen werden muss beispielsweise oder generell, wie die Überstunden abgebaut werden." In größeren Unternehmen gibt es hingegen häufiger Vereinbarungen, die stärker festschreiben, was eigentlich passiert, wenn jemand sehr viel mehr arbeitet als es im Arbeitsvertrag vereinbart wurde. Auch die Vertretungsregeln sind anders: Wenn in einem kleinen Betrieb jemand fehlt, gibt es weniger Personen, die sie oder ihn vertreten können. Das kann ein großes Unternehmen anders abfedern.

Im Büro: Wie kann ich jemandem helfen, der arbeitssüchtig ist?

  • In einem ruhigen Moment fragen, woran das liegt, dass die Person so viel Arbeit hat.
  • Die Arbeit im Team anders verteilen.
  • Darauf achten, dass nicht immer die gleichen Personen von sich aus Aufgaben übernehmen und sich damit dauerhaft überlasten.
  • In der Betriebskultur dem entgegenwirken, dass nach Feierabend noch weitergearbeitet wird.
  • Wenn der oder diejenige wiederholt SMS oder E-Mails am Wochenende verschickt, sollte das im Team thematisiert und anders gelöst werden.

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