Klimaneutral bis 2045 So könnte die Energiewende noch gelingen

Von: Leander Beil

Stand: 13.10.2021

Die Klimaziele für Deutschland sind im Klimaschutzgesetz klar bestimmt. Aber die Frage bleibt, wie der Weg zur Klimaneutralität über alle Sektoren hinweg klappen soll. Wie schaffen wir also bis 2045 die Energiewende?

Ein Mann geht über einen Feldweg, während am Horizont das Kohlekraftwerk Mehrum zu sehen ist. | Bild: picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte

Klimaschutzgesetz: Nächste Regierung muss schnell handeln

Svenja Schulze bei PK zur Erweiterung des Klimaschutzgesetzes | Bild: dpa-Bildfunk/Kay Nietfeld

Es ist der 12. Mai 2021. Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für Umwelt, gibt eine Pressekonferenz zum Beschluss des Bundeskabinetts zum erweiterten Klimaschutzgesetz. Nun soll Deutschland doch früher die Klimaneutralität schaffen: Das Ziel ist es, die Treibhausgasemissionen zunächst bis 2030 um 65 Prozent zu senken. Und bis 2040 soll Deutschland dann 88 Prozent weniger CO2 ausstoßen. Im Jahr 2045 muss schließlich vollständige Klimaneutralität erreicht sein - fünf Jahre früher als bislang vorgesehen. Die nächste Bundesregierung muss also schnell handeln, wenn sie den Änderungen am Klimaschutzgesetz folgen will.

Video: So können wir die Klimakrise bewältigen

Zahlen: Das kostet die Klimaneutralität

Fünf Billionen Euro - so viel soll es kosten, um für Deutschland bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die das Prognos Institut, Nextra Consulting und das Institut für nachhaltige Kapitalanlagen (NKI) im Auftrag der staatlichen Förderbank KfW vorgestellt haben. Die Riesensumme schrumpft jedoch auf weniger als die Hälfte, wenn man Folgendes berücksichtigt: Der Großteil der Summe betrifft Investitionen, die sowieso getätigt werden müssen - nun aber in nachhaltigen Sektoren. Laut den Berechnungen fallen für die Klimaneutralität bis 2045 reine Mehrkosten von 1,9 Billionen Euro an.

Fünf Billionen Kosten | Bild: BR

Neue Modelle: So könnte die Energiewende gelingen

Forschende aus mehr als zehn Instituten zeigen nun in dem neuen Szenarien-Report "Ariadne", wie in Deutschland gemäß dem Klimaschutzgesetz über alle Sektoren hinweg Klimaneutralität bis 2045 konkret erreicht werden kann. Laut der Studie sind dabei bis 2030 unter anderem folgende Eckpunkte zentral: Zunächst müsse die Stromerzeugung aus Wind und Sonne um etwa 50 Prozent mehr wachsen als geplant. Die Politik müsse den Kohleausstieg bereits 2030 vollziehen.

Auch den Gebäudesektor nehmen die Forschenden in den Blick: Hier werde ein Anstieg der jährlichen Gebäude-Sanierungsrate auf 1,5 bis zwei Prozent nötig und es müssen insgesamt fünf Millionen Wärmepumpen in Betrieb genommen werden. Entscheidend sei auch, das deutschlandweite Fernwärmenetz um etwa 1,6 Millionen Gebäude zu erweitern.

Gesagt: Klimaneutralität bis 2045 - erreichbar oder nicht?

"Wir wollten ein breites Spektrum von Klimaschutzfragen untersuchen. Innovativ an unserer Arbeit ist, dass wir das Gesamtsystem und die Sektormodelle, also Industrie, Gebäude, Verkehr, zusammengebracht haben. Wir haben für alles die gleichen Szenarien durchgerechnet und dann abgeglichen. Und unsere zentrale Einsicht ist: Wir können diese Ziele aus dem Klimaschutzgesetz erreichen, aber dafür müssen wir radikal den Politikansatz ändern. Sonst wird man diese Ziele nie und nimmer erreichen. Wir brauchen einen langfristigen systemischen Plan."

Prof. Dr. Gunnar Luderer, stellvertretender Leiter des Projekts Ariadne, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Perspektive: Problemfall Verkehrssektor

Berlin: Luftverschmutzung am Morgen im Verkehrschaos | Bild: picture alliance / photothek | Florian Gaertner

Ob Energie-, Industrie- oder Gebäudesektor – in keinem dieser Bereiche war in Deutschland in den letzten Jahrzehnten die Abnahme der Treibhausgasemissionen so gering wie beim Verkehr: Gerade mal elf Prozent konnten seit 1990 eingespart werden. Bei der Energiewirtschaft sind es beispielsweise über 50 Prozent.

Der Ariadne-Report untermauert diese Daten: Etwa 14 Millionen Elektroautos müssen laut Studie bis 2030 auf die Straße. Das heißt wiederum, dass 1,3 bis 1,7 Millionen Neuzulassungen von E-Pkw pro Jahr im Durchschnitt zwischen 2020 und 2030 notwendig werden. Und dazu kommt noch die dringend nötige Ladeinfrastruktur. Besonders der Altbestand an Verbrennern stelle das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 vor erhebliche Probleme, bleibe aber machbar, so die Forscher. Hingegen seien die Ziele des Klimaschutzgesetzes bis 2030 für den Verkehrssektor nicht mehr zu erreichen.

Gesagt: Die Verkehrswende betrifft die gesamte Gesellschaft

"In den letzten 20 Jahren wurden bei Emissionen im Verkehr quasi keine Fortschritte gemacht. Die Klimaschutzziele für den Verkehr sind deshalb so schwierig zu erreichen, weil wir den Fahrzeugbestand sehr schnell umbauen müssen. Denn der Fahrzeugbestand ist da - und der basiert größtenteils auf Kohlenwasserstoffen. Das muss man erst mal umstellen. Deswegen ist es wichtig, dass wir den Umstieg zur E-Mobilität schnell hinkriegen. Das ist ein Hebel, den wir haben. Aber es dauert halt, bis man eine Ladeinfrastruktur aufgebaut hat. Man muss die Verkehrswende auch gesamtgesellschaftlich sehen. Allein wegen Lärm, Flächenverbrauch und Stau. Da muss man gerade in der Stadt mit ganzheitlichen Verkehrskonzepten viel erreichen."

Professor Gunnar Luderer, stellvertretender Leiter des Projekts Ariadne, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Kritik: Klimaziele reichen nicht aus

Klimaprotest: Reichen die Ziele aus dem Klimaschutzgesetz? | Bild: picture alliance / Winfried Rothermel

Die Kritik an den bisherigen Maßnahmen, aber auch an den Zielen der Bundesregierung zur Bekämpfung des Klimawandels reißt nicht ab – trotz Neuauflage des Klimaschutzgesetzes. So hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen erst vor Kurzem ein Impulspapier zu den anstehenden Koalitionsverhandlungen veröffentlicht. Hier wird das deutsche Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 zwar als "herausfordernder", aber "nicht ausreichender Schritt hin zu den Klimazielen von Paris" beschrieben. Der Umweltrat fordert in dem Papier, dass die Bundesregierung die Klimaziele von einem globalen CO2-Budget ableitet. Erst dann könne sie die diesbezügliche Forderungen vom Verfassungsgericht erfüllen.

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