Sex & Sperma Stecken Männer in einer Spermien-Krise?

Von: Susi Weichselbaumer

Stand: 20.03.2023

Immer wieder hört und liest man es: Männer, vor allem in den Industrieländern, würden immer weniger Sperma und immer weniger gesunde Spermien produzieren. Stimmt das? Und was ist noch drin im männlichen Ejakulat?

Nackter Mann versteckt sein Geschlecht. | Bild: picture alliance / Zoonar | magann

Studie: Männer produzieren weniger Sperma als früher

Zu wenige, zu langsam - bereits im Jahr 2017 sorgte eine große Überblickstudie, die im Fachblatt "Human Reproduction Update" erschienen ist, für Aufsehen: Forscher der Hadassah-Hebrew Universität in Jerusalem hatten 185 Arbeiten aus der ganzen Welt ausgewertet, mit Daten von knapp 43.000 Männern. "Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass sich 1973 bis 2011 die Spermienzahl bei Männern reduziert hat, in der Größenordnung von 28,5 Prozent bis über 50 Prozent. In 40 Jahren", fasst Artur Mayerhofer, Zellbiologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München, die Studie aus dem Jahr 2017 in einem 2021 geführten BR-Interview zusammen. Und bestätigt schon damals: "Das ist doch eine gewaltige Abnahme, die aus dieser Analyse hervorgeht."

"Spermien-Krise" ist zwar sehr überspitzt ausgedrückt, aber wenn Männer weltweit so eklatant weniger Spermien produzieren, scheint das Sperma tatsächlich in Schwierigkeiten zu sein - besonders auch bei uns: Laut der israelischen Studie aus dem Jahr 2017 hat die Potenz vor allem bei Männern aus Industrieländern gelitten. Die Wissenschaftler berechneten knapp 60 Prozent weniger Spermien pro Samenerguss für Männer in Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland.

Lichtmikroskop-Aufnahme von Spermien.  | Bild: picture-alliance / OKAPIA KG, Germany | Dr. Gary Gaugler

Die Anzahl der Spermien hat sich bei Männern in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verringert.

Eine Folgestudie, die im November 2022 ebenfalls in der Fachzeitschrift "Human Reproduction Update" veröffentlicht wurde und die im Unterschied zur Studie von 2017 auch Männer aus Afrika, Lateinamerika und Asien mit einschließt, kommt zu dem gleichen Ergebnis. Die Meta-Analyse, für die die Forscher Daten von mehr als 57.000 Männern aus 223 Studien in 53 Ländern ausgewertet haben, ergab: Im Untersuchungszeitraum von 1973 bis 2018 sank die Zahl der Spermien in einer durchschnittlichen Ejakulation um 62 Prozent. Die Spermienkonzentration pro Milliliter Samenflüssigkeit sank um 52 Prozent. Der deutlichste Rückgang, so die Autoren, wurde - auch bei der weltweit durchgeführten Untersuchung - bei Männern aus Europa, Nordamerika und Australien festgestellt. Laut den Forschern um den israelischen Epidemiologen Hagai Levine sinkt die Zahl der Spermien damit derzeit mit einer Rate von 1,1 Prozent pro Jahr. Und: Die Daten der Studie deuteten darauf hin, "dass sich dieser weltweite Rückgang im 21. Jahrhundert beschleunigt", heißt es in der Studie.

Video: Warum bewegen sich Spermien?

Spermien-Krise: Ein Trend setzt sich durch

"Das bestätigen Einzelstudien in den letzten Jahren eigentlich immer wieder, dass hier ein Trend zu beobachten ist, der vielleicht vor einiger Zeit schon eingesetzt hat und der sich offensichtlich fortsetzt."

Artur Mayerhofer, Zellbiologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München

Reinhören: Spermien - Wenn es mit der Befruchtung nicht klappt

Spermienqualität: Wann ist ein Mann ein Mann?

Symbol für Männlichkeit, in den Sand gemalt | Bild: picture alliance / imageBROKER | Florian Hiltmair

Ab einem bestimmten Schwellenwert im Hinblick auf die Anzahl der Spermien gilt ein Mann als nicht mehr voll fruchtbar.

Die Qualität von Spermien bewerten Forscher nach Beweglichkeit, Schwimmgeschwindigkeit und Aussehen. Dabei deuten immer mehr Studien auf zu langsame und nicht richtig geformte Spermien hin - und eben in Summe immer weniger Spermien. Dazu gebe es weltweite Untersuchungsrichtlinien, erklärt der Androloge Stefan Schlatt von der Universität Münster: "Prinzipiell gilt, dass nach diesen Standardkriterien Spermien eine gewisse Schwelle haben, ab der der Mann als nicht mehr voll fruchtbar gilt. Das ist bei der Spermienzahl eine Grenze von 15 Millionen Spermien pro Milliliter Ejakulat."

Kurz gefasst: Sperma-Fakten

  • Rund 50 Millionen Spermien befinden sich in einem Milliliter Ejakulat.
  • Durchschnittlich ist ein Spermium 17 Kilometer pro Stunde schnell.
  • Einzelne Spermien schaffen Spitzengeschwindigkeiten von 50 Kilometern pro Stunde!
  • Die schnellsten Spermien sind in rund zwei Stunden im Eileiter.
  • Die Spermien werden von der Eizelle angelockt.
  • Das Spermium, dessen Immungene die der Eizelle am besten ergänzen, dockt an.

Audio: Was macht Männer unfruchtbar?

Ursachenforschung: Warum schwächelt das Sperma?

Skulptur "Menschenpaar" | Bild: picture alliance / dpa | Julian Stratenschulte

Ein ungesunder Lebensstil kann sich auf die Zeugungsfähigkeit von Männern auswirken.

Männer, die eine geringere Menge Spermien produzieren, sind nicht automatisch unfruchtbar. Allerdings wird es schwieriger, Nachwuchs zu bekommen, erklärt der Androloge Stefan Schlatt. Aber warum schwächelt das Sperma? "Das ist die Eine-Million-Euro-Frage. Wir wissen es nicht", sagt der Zellbiologe Artur Mayerhofer. Meinungen und Ideen dazu gebe es jedoch genug: "Man könnte salopp sagen, das ist einfach Umwelt und Lifestyle. Und da kann man natürlich jetzt sagen, da hat sich auch die letzten Jahrzehnte einiges geändert." Und zwar gerade in westlichen Industrienationen. Umweltgifte setzen wohl den Spermien zu. Kurz: Gesunde Männer tun sich bei der Zeugung leichter.

Sterilität: Viele Ursachen, eine Wirkung

"Man weiß, dass zum Beispiel Übergewicht eine Rolle spielt. Man weiß, dass Rauchen eine Rolle spielt. Ob Handys in der Hosentasche eine Rolle spielen, das ist sicherlich noch nicht geklärt. Möglicherweise könnte auch die weitverbreitete Anwendung von Schmerzmitteln eine Rolle spielen. Und wahrscheinlich ist es letzten Endes alles zusammengenommen." Artur Mayerhofer, Zellbiologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München

Entwarnung: Warum es auch künftig Menschen geben wird

baby | Bild: dpa-Bildfunk/Fabian Strauch

Rund jedes zehnte Paar hat Schwierigkeiten, Nachwuchs zu bekommen. Viele werden dank künstlicher Befruchtung Eltern.

Muss Mann sich irgendwann damit geschlagen geben, in einer Spermien-Krise zu stecken und auszusterben? Noch liegt der Durchschnitt bei jungen westlichen Männern bei 41 bis 55 Millionen Spermien pro Milliliter Ejakulat. Weil es erst bei unter 15 Millionen Spermien kritisch für die Fortpflanzung wird, braucht sich die Menschheit gerade keine Sorgen machen. Noch ist ihr Fortbestand gesichert - zumindest wenn man nur von diesem einen Wert und der Gesamtbevölkerung ausgeht.

Wissenschaftler erforschen gerade, welche Umwelteinflüsse an welcher Stelle des Entwicklungsprozesses ein Spermium ausbremsen. Ein Ergebnis, das sich bereits abzeichnet: Bei Stress werden Spermien träge. Vielen Männern und Paaren wird diese Erkenntnis nicht helfen. Sie sollten sich Hilfe holen, untersuchen und individuell beraten lassen.

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