Heidelbeeren Warum die Blaubeere aus unseren Wäldern verschwindet

Von: Ortrun Huber

Stand: 18.08.2022 13:31 Uhr

Lecker und auch noch gesund: Heidelbeeren, auch Blaubeeren genannt, werden bei uns immer beliebter. Nach der Erdbeere ist das blaue Früchtchen in Deutschland mittlerweile das beliebteste Beerenobst, prall gezüchtet und in Peru, Chile oder Marokko gewachsen. Gepflückt und in Plastikschalen verpackt liegen die appetitlichen Beeren bei uns mittlerweile fast ganzjährig im Supermarkt. Aus unseren Wäldern hingegen verschwinden die Heidelbeeren. Wir erklären euch, warum man beim Waldspaziergang kaum noch Blaubeeren findet. Und warum uns das nicht egal sein sollte.

Reife Waldheidelbeeren (Vaccinium myrtillus) sind köstlich und besitzen viele Vitamine - doch in unseren Wäldern sind sie zunehmend gefährdet.  | Bild: picture alliance / Klaus Nowottnick

Zu viel Stickstoff: Darum schadet Dünger unseren Heidelbeeren      

Ein Bauer mit Traktor bring Gülle auf einer Bergwiese aus. | Bild: picture alliance / photothek | Michael Gottschalk

Wie viel Gülle Landwirte ausbringen dürfen, regelt seit 2020 eine Verordnung. Trotzdem ist noch immer zu viel Stickstoff in den Böden.

Es ist der Höhepunkt jeder Wanderung: Nicht nur Kinder pflücken im Wald gerne die süßen Früchte von den krautigen Sträuchern der Heidelbeere (Vaccinium myrtillus). Doch in den letzten Jahrzehnten verschwinden die kugeligen blauen Beeren zunehmend aus unseren Wäldern, Mooren und Heidelandschaften. Gründe dafür gibt es mehrere, der wichtigste liegt im Boden. Er enthält deutlich zu viel Stickstoff.

Stickstoffverbindungen sind für Pflanzen lebensnotwendig. Je mehr sie davon bekommen, desto schneller und besser wachsen sie. Für eine reiche Ernte bringen Landwirte deshalb stickstoffhaltigen Kunstdünger und Gülle auf ihren Feldern aus. Doch die hohen Erträge, die die Bauern bei gleichzeitig guter Qualität einfahren, haben einen Nebeneffekt: Stickstoffüberschuss im Boden. Denn die Nutzpflanzen auf den Äckern nehmen lange nicht den gesamten Stickstoff auf, der ihnen zur Verfügung steht. In der Folge belasten überschüssige Stickstoffverbindungen wie Ammoniak und Nitrat Böden und Wasser.

Die in Mitteleuropa vorkommende Waldheidelbeere enthält sowohl in der Schale als auch im Fruchtfleisch den Pflanzenfarbstoffe Anthocyan, der beim Pflücken und Verzehr Hände, Zunge und Zähne rötlich-blau färbt.  | Bild: picture alliance / dpa Themendienst | Jan Dube

Die in hiesigen Blaubeeren enthaltenen Anthocyane sind entzündungshemmend und färben Finger, Zunge und Zähne beim Beerennaschen lila-rot.

Zusätzlich kommt es zu einem Verdrängungswettbewerb. Denn stickstoffreiche Böden begünstigen stickstoffliebende Pflanzen, sogenannte Nitrophyten, wie Brennnessel und Brombeere, die sich an Standorten mit hohem Stickstoffangebot stark ausbreiten. Anspruchslose Pflanzen wie die heimische Heidelbeere, die besser auf kargen Böden in Wald, Heide und Moor gedeiht, kommen mit dem Stickstoffüberschuss schlecht zurecht. Da die Konkurrenzpflanzen wuchern, fehlt der Blaubeere nicht nur der passende Nährstoffmix, sondern bald auch genügend Licht. Zu viel Stickstoff führt so zum Verschwinden der heimischen Heidelbeeren und anderer anspruchsloser Arten und sorgt langfristig für eine geringere Biodiversität.

Video: Erntezeit auf dem Heidelbeerhof

Kalk im Wald: Stress für Blaubeeren

Ein Flugzeug vom Typ M-18 Dromedar bringt im Erzgebirge über einen Fichtenbestand eine Bodenschutzkalkung aus. Der Kalk soll durch "sauren Regen" eingebrachte schwefelhaltige Schadstoffe im Waldboden neutralisieren.  | Bild: picture-alliance/ ZB | Wolfgang Thieme

Durch Kalkungen aus der Luft versuchen Waldbauern schwefelhaltige Schadstoffe im Waldboden zu neutralisieren.

Auch die Waldkalkung ist ein Problem für die Waldheidelbeere. Forstwirte kalken seit den 1980er-Jahren ihre Forste, als "saurer Regen" die Waldböden in Mitteleuropa belastete. Der Kalk soll den Zustand des Waldbodens stabiliseren und Nährstoffmängel beseitigen. Doch diese Behandlung hat Folgen: Durch die Zufuhr von externen Nährstoffen im Kalk erhöht sich der Stickstoffgehalt in den oberen Schichten der Waldböden. Studien zeigen, dass Waldheidelbeeren sich dadurch auf kleinflächige Standorte wie Baumstümpfe und Wurzelanläufe, also die verdickten Übergänge von Starkwurzeln in den Stamm, zurückziehen. Stickstoffliebende Pflanzen wie Brombeeren, Himbeeren und Brennnesseln machen sich breit und gewinnen schließlich die Oberhand.

Waldumbau: Warum Heidelbeeren Mischwäldern aus dem Weg gehen

Heidelbeeren sind beliebte Früchte die man im Wald für den eigenen Verbrauch pflücken darf. Mit einem speziellen Beerenkamm geht das Einsammeln schneller, dessen Gebrauch ist aber häufig, insbesondere in Naturschutzgebieten, verboten.  | Bild: picture alliance / Alois Litzlbauer / picturedesk.com

Blaubeeren dürfen für den Eigenverbrauch gepflückt werden. Mit einem Beerenkamm geht das schneller, in Naturschutzgebieten ist er aber verboten.

Vielerorts entschließen sich Waldbesitzer, ihre reinen Nadelwälder in naturnahe Mischwälder umzubauen. Der Waldumbau soll den Forst stabiler und widerstandsfähiger gegen Schädlinge machen, ihn gegen den Klimawandel wappnen und auch die Artenvielfalt im Ökosystems des Waldes erhöhen. Doch der europäischen Heidelbeere macht der Waldumbau das Leben schwer. Zwar konnte in Studien durch den Waldumbau eine größere Anzahl von Kleinstlebensräumen und Bäumen nachgewiesen werden. Da sich Laub wesentlich schneller zersetzt als beispielsweise die Nadeln von Fichten, steigt im Mischwald durch den höheren Laubbaumanteil zugleich der Gehalt des im Boden verfügbaren Stickstoffs - gut für viele Arten im Wald, schlecht für die Waldheidelbeere.

Verwilderte Kulturheidelbeere: Die invasive amerikanische Verwandte

Kulturheidelbeeren stammen aus Nordamerika und können über zwei Meter hoch werden.   | Bild: picture alliance / Ralf Hirschberger

Kulturheidelbeeren stammen aus Nordamerika und können über zwei Meter hoch werden.

Mit der Verwandtschaft ist es so eine Sache. Aus der Ferne meist angenehm, kann es problematisch werden, wenn man sich zu nahe kommt. So ist es auch in der Familie der Blaubeeren. Die hiesige Wildheidelbeere (Vaccinium myrtillus) gerät durch ihre Verwandte, die amerikanische Heidelbeere (Vaccinium corymbosum), in Bedrängnis, wenn diese in ihren Lebensraum eindringt.

Fachleute sprechen von sogenannten Neophyten, wenn Pflanzen durch den Menschen beabsichtigt oder unbeabsichtigt in einem Gebiet verbreitet werden, in dem sie nicht natürlich vorkommen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass in Deutschland in den vergangenen 500 Jahren rund 800 gebietsfremde Tier- und Pflanzenarten von Menschen eingeschleppt und aktiv ausgesetzt wurden. Eine von ihnen ist die amerikanische Verwandte der europäischen Wildheidelbeere: die verwilderte Kultur-Heidelbeere.

Heidelbeeren in einer Plastikbox | Bild: picture alliance / Zoonar | GRAZVYDAS JANUSKA

Blau, prall und mit hellem Fruchtfleisch - die amerikanische Kulturheidelbeere ist bei vielen Supermarktkunden beliebt.

In ihrer kultivierten Form kennt jeder Supermarktkunde die kleinen prallen blauen Früchte aus den Plastikschalen. Ursprünglich in Nordamerika zu Hause, färben die populären Beeren, anders als unsere heimischen Blaubeeren, beim Verzehr Zähne und Zunge nicht blau. Sie sind auch nicht ganz so aromatisch, aber dafür etwas größer und länger haltbar. Häufig aus Chile, Peru und Marokko exportiert, wird die schmackhafte Kulturheidelbeere inzwischen auch hierzulande auf Plantagen angebaut. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden 2019 mit gut 14.800 Tonnen Heidelbeeren 16 Prozent mehr Kulturheidelbeeren geerntet als 2018. Gemessen an der ersten vergleichbaren Erhebung im Jahr 2012 ist das eine Steigerung um rund 70 Prozent. Und das ist das Problem.

Verbreiten Vögel nämlich den Samen der Kulturheidelbeere in der Umgebung der Blaubeerfelder, verwildert die Kulturheidelbeere. Die bis zu drei Meter hohen Sträucher verschatten dann den Lebensraum der nur kniehoch wachsenden europäischen Heidelbeere und anderer niedrigwüchsiger Vegetation in Nadelwäldern und Feuchtgebieten. Gleichzeitig entziehen die großen Beerensträucher dem Untergrund durch erhöhte Verdunstung mehr Wasser, was die Austrocknung der Böden beschleunigt. Um die weitere Ausbreitung  der Kulturheidelbeere zu verhindern, gehen Naturschutzbehörden, beispielsweise in Niedersachsen, mittlerweile aktiv gegen die Eindringlinge vor und entfernen in Mooren verwilderte Büsche.  

Waldheidelbeere: Weide für Fuchs und Falter

Nahezu alle Bläuling-Arten Mitteleuropas gehten als gefährdet. Viele der Schmetterlings-Männchen der europäischen Arten haben blau gefärbte Flügeloberseiten.   | Bild: picture alliance / Bildagentur-online/Rolfes-McPhot | Bildagentur-online/Rolfes-McPhoto

Die Raupen vieler gefährdeter Falterarten, darunter der Bläuling, nutzen die Wildheidelbeere als Futterpflanze.

Heidelbeeren in Mooren und Wäldern sind Lebensraum für zahlreichen Tierarten. Nicht nur Reh und Rothirsch ernähren sich von den Trieben der niedrigwachsenden Büsche. Auch Arten, die an Baum- und Buschfrüchte weniger leicht gelangen können, wie beispielsweise der Fuchs oder das Auerhuhn, profitieren von der Blaubeere, die gerade im Winter eine wichtige Futterquelle darstellt.

Auch zahlreiche Falter nutzen als Raupen die Heidelbeere als Futterpflanze und überwintern als Puppen im dichten Heidelbeergestrüpp. Darunter sind auch gefährdete Falterarten wie der Bläuling, die Weidenglucke (auch Blaubeerglucke genannt) oder der Augsburger Bär. Machen invasive Gewächse aber heimischen Pflanzenarten wie der Wildheidelbeere Konkurrenz, hat dies auch Konsequenzen für die Fauna. Denn der Verdrängungsprozess erschwert Bienen, Hummeln und Schmetterlingen, die auf das heimische Heidekrautgewächs spezialisiert sind, das Überleben.

Gesundes Heidekraut: Das steckt alles in der Blaubeere

Blaubeer-Joghurt mit frischen Blaubeeren | Bild: picture alliance / Zoonar | Anastasiia Yanishevska

Vitaminreiche Heidelbeeren sind in Kombination mit Joghurt, der das sattmachende Protein Casein enthält, ein bekömmliches Frühstück.

Sie sind kalorienarm, gesund und auch noch lecker: Kein Wunder, dass Heidelbeeren nach Erdbeeren zum beliebtesten Beerenobst der Deutschen avancieren. Seit Jahren steigt der Absatz der kleinen Früchte, 2019 waren es rund 663 Gramm pro Verbraucher.

Doch die blaue Beere schmeckt nicht nur gut, in ihr stecken auch viele gesunde Inhaltsstoffe. Wir erklären euch die Wichtigsten:

  • Da wäre zunächst der Pflanzenfarbstoff Anthocyan, ein natürliches Polyphenol, der der Blaubeere zu ihrer charakteristischen Farbe verhilft. Anthocyane sind Antioxidantien, das heißt sie wirken entzündungshemmend. Außerdem unterstützen sie durch ihre antibakterielle und antivirale Wirkung das Immunsystem. Eine Studie konnte nachweisen, dass Heidelbeeren durch die darin enthaltenen Polyphenole den Blutdruck senken können, da sie die Blutgefäße flexibel machen. Auch der Fettstoffwechsel soll durch Anthocyane verbessert werden. Eine weitere Studie konnte zeigen, dass durch eine anthocyanreiche Ernährung der Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren steigt, der Anteil an gesättigten Fettsäuren aber abnimmt. Dies könnte das Risiko für Typ-2-Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren, so die Experten.
  • Heidelbeeren enthalten viele Ballaststoffe und Gerbstoffe. Während die Ballaststoffe sich positiv auf die Verdauung auswirken und lange satt machen, helfen die Gerbstoffe - in Maßen genossen - gegen Durchfall, denn sie wirken antibakteriell und unterstützen die Schleimhäute, was auch bei Entzündungen im Mund hilft. Aber Achtung! Wer zu viele frische Blaubeeren isst, muss mit Durchfall rechnen, denn in großen Mengen wirken die Beeren abführend.
  • In Heidelbeeren stecken viele Vitamine, vor allem größere Mengen an Vitamin A, C und E. Während Vitamin C und E das Immunsystem unterstützen und als Antioxidantien die Zellen schützen, hilft Vitamin A dem Sehvermögen. Zusätzlich unterstützt Vitamin C die Produktion von Kollagen, das für Elastizität und Festigkeit der Haut sorgt.


Wie für alle Obst- und Gemüsesorten gilt auch für Heidelbeeren: Am gesündesten sind die Früchte, wenn sie aus heimischem Anbau stammen und frisch gegessen werden. Denn so sind die Beeren am wenigsten mit Pestiziden belastet. Anders die Importware aus Übersee: Die aus dem Ausland eingeführten Beeren werden nicht nur mit Insektengiften, sondern häufig auch mit Pilzgiften behandelt. Dies soll dafür sorgen, dass das Beerenobst auf dem weiten Weg nach Deutschland nicht schimmelt. Frisch kaufen sollte man die blauen Früchten deshalb besser nur, wenn sie bei uns Saison haben: im Sommer. Und im Winter einfach auf Tiefkühlware zurückgreifen.

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