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Deutschlands Klimaziele für 2030 und 2040 "Weiter so!" reicht längst nicht mehr

Deutschland legt nach beim Klimaschutz - mit einem neuen Klimaschutzgesetz 2021. Das neue Ziel: 65 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2030. Aber reichen die Maßnahmen dafür aus? Erste Studien sagen: Nein. Bei Weitem nicht.

Stand: 05.01.2023

Ein Kohlekraftwerk und Windräder produzieren Strom. Mit dem Ausstieg aus der Kohle soll u.a. das Klimaschutzziel für Deutschland für 2030 erreicht werden. Doch werden wir es erreichen? | Bild: dpa-Bildfunk/Julian Stratenschulte

Im Juni 2021 hat der Deutsche Bundestag stärkere Klimaschutzziele beschlossen und dafür das neue Klimaschutzgesetz 2021 verabschiedet. Darin verankert wird das Ziel, bis 2045 klimaneutral zu sein - also nicht mehr CO2 auszustoßen, als wieder über Wälder oder andere Wege absorbiert werden kann. Oder aber über den Emissionshandel mit Treibhausgas-Zertifikaten sich mehr Emissionen einzukaufen.

Bis 2030 sollen dafür insgesamt 65 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen eingespart werden (im Vergleich zu 1990), das Klimaschutzziel 2040 sieht 88 Prozent vor. Zum Erreichen dieser Ziele wurden konkrete Maßnahmen festgelegt. Aber ein Gesetz schafft noch keine Tatsachen - und ob es die erhoffte Wirkung haben wird, wird erst die Zukunft zeigen. Oder man kann versuchen, es vorab in Modellierungen zu prognostizieren.

Klimaschutzziele für 2030 werden wohl verfehlt

Alle zwei Jahre muss Deutschland der EU einen Projektionsbericht vorlegen, der abschätzen soll, wie bisherige Maßnahmen und Entwicklungen sich auf die kommenden zwanzig Jahre auswirken werden. Vorab hat das Bundesumweltministerium den Bericht für 2021 im August des Jahres zur Verfügung gestellt. Vier Institute hatten alle beschlossenen Maßnahmen zum Klimaschutz geprüft - allerdings nur solche, die bis August 2020 bereits beschlossen waren - und festgestellt, dass damit bis 2030 bestenfalls etwa 50 Prozent der Treibhausgas-Emissionen von 1990 eingespart werden.

Klimaschutzziel 2020 dank Corona erreicht, aber 2021 wieder verfehlt

Während Deutschland das Klimaziel für 2020 - vierzig Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2020 im Vergleich zu 1990 - aufgrund der Corona-Pandemie mit Mühe und Not erreichte, wurde das Klimaziel 2021 wieder verfehlt. Der Grund: Der Energiesektor wies ein Plus von 27 Millionen Tonnen Treibhausgasen auf. Die Nachfrage nach Strom war gestiegen, die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien aber zugleich vor allem aufgrund schlechter Windverhältnisse um sieben Prozent gesunken.

2022 verfehlt Deutschland Klimaziel erneut

Auch 2022 hat Deutschland die Klimaziele nicht erreicht. Schuld daran waren diesmal kurzfristige Maßnahmen für die Energiesicherheit aufgrund der Energie-Krise. Nach vorläufigen Berechnungen der Denkfabrik Agora Energiewende stagnierte der Ausstoß an Treibhausgasen 2022 bei 761 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2). Der Energieverbrauch sank um 4,7 Prozent gegenüber 2021, unter anderem wegen massiver Preissteigerungen bei Erdgas und Strom und milder Witterung. Durch den stärkeren Einsatz von Kohle und Öl entstanden jedoch nicht weniger Emissionen, obwohl weniger Energie verbraucht wurde, sagen die Experten von Agora Energiewende. Insgesamt habe Deutschland 2022 nur 39 Prozent an Emissionen im Vergleich zu 1990 eingespart - das vorgegebene Sparziel waren aber 40 Prozent.

"Der Erneuerbare-Energien-Ausbau ist das Fundament für alles andere."

Simon Müller, Direktor Agora Energiewende

Laut Simon Müller, dem Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende, müsste sich die Zubau-Geschwindigkeit bei Solaranlagen mehr als verdoppeln, um die Klimaziele zu erreichen. Bei Windkraftanlagen an Land müsste sie sich mehr als verdreifachen und bei Windparks auf See sogar mehr als verachtfachen. Das Tempo müsse steigen, um Treibhausgasemissionen zu senken, aber auch um den zunehmenden Bedarf an Strom, etwa für industrielle Prozesse, zu decken. Insbesondere in den Bereichen Verkehr und Gebäude klafft eine Lücke, worauf auch der Expertenrat der Bundesregierung bereits hingewiesen hatte.

Deutschland sackt im EU-Vergleich ab

Seine Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz hat Deutschland längst verloren. Andere Länder sind inzwischen deutlich engagierter. Im Ranking des Umweltschutz-Verbandes Climate Action Network Europe (CAN Europe) landete Deutschland Ende 2022 auf Platz 16. Die ambitioniertesten Klimaschützer in Europa kommen der Rangliste zufolge aus Dänemark und Schweden. Auch Portugal, die Niederlande, Großbritannien, Norwegen und Estland rangieren vor Deutschland.

Deutschland steigt aus der Kohle aus, aber spät

Die Stilllegung von Kohlekraftwerken ist nötig, um die Klimaschutzziele einzuhalten. Doch dadurch kommt es im Energiesektor zu enormen Veränderungen. Nicht nur, weil Strom auf anderen Wegen produziert werden muss, sondern weil die Regionen, in denen bisher Kohle abgebaut wird, stark von dem Wandel betroffen sind und wirtschaftlich gefördert werden sollen. Seit Juni 2018 rang die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" um eine Lösung, im Januar 2019 fiel die Entscheidung zum Kohleausstieg. 2038 soll in Deutschland das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen.


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